Das Plakat zur Ausstellung kam vom damaligen Werkstatt-Stipendiaten Jürgen Jansen (Repro: HH)

Jüdische Geschichte in Plettenberg

... damit befasste sich als erster der damalige Stadtarchivar Martin Zimmer: 50 Jahre nach der Progromnacht dokumentierte Martin Zimmer die Schicksale der jüdischen Mitbürger in einer Austellung im November 1988 im Heimathaus.

Einen Überblick über die Ereignisse zwischen 1933 und 1945 gab Martin Zimmer in einem vielbeachteten Vortrag im völlig überfüllten Ratssaal. Zeitzeugen hören und überlieferte Geschichten festhalten war im Oktober 1988 ein Gesprächskreis im Stadtarchiv.

Hinter den Kulissen hatte Martin Zimmer wegen seines Engagements viele persönliche Anfeindungen erfahren und Drohungen erhalten, was ihn aber nicht daran hinderte, viele bis dahin unbekannte Geschehnisse oder Verstrickungen noch lebender Personen (ohne Namensnennung) öffentlich zu machen.


Stadtarchivar Martin Zimmer bei den Vorbereitungen zur Ausstellung "Erinnerung an jüdische Mitbürger in Plettenberg" vom 9.-20.11.1988 im Heimathaus.


Im Stadtarchiv, das damals im Keller der Zeppelinschule untergebracht war, traf sich im Oktober 1988, also im Vorfeld der Ausstellung, ein Gesprächskreis, um eigene Erlebnisse oder überlieferte Geschichten rund um jüdische Mitbürger in Erinnerung zu rufen.

Quelle: Süderländer Tageblatt vom 05.11.1988

Ausstellung im Heimathaus beweist: Judenverfolgung
gab es vor 50 Jahren auch in Plettenberg

Erinnerung an jüdische Mitbürger:
Schutzhaft führte Erich Sternberg
in das KZ Sachsenhausen

Plettenberg. (HH) Gleich am Eingang des Heimathauses kann man jene Sprüche lesen, die auch 1988 immer noch von den Ewiggestrigen anonym am Telefon oder offen im persönlichen Gespräch zu hören sind: "Die Sache mit den Juden? Davon weiß ich nichts. Wir in Plettenberg haben davon ja nichts mitbekommen."

Auch Sätze wie "Adolf hat jedenfalls von '33 bis '39 dafür gesorgt, dass es mit uns wieder aufwärts ging!" sind zu hören oder "6,5 Millionen Juden in Gaskammern getötet? Das ist Greuelpropaganda der damaligen Feinde!" Stadtarchivar Martin Zimmer hat alle diese Aussprüche des Jahres 1988 gesammelt und leitet damit die Ausstellung "Erinnerungen an jüdische Mitbürger" ein, die am kommenden Mittwoch im Heimathaus eröffnet wird.

Das ST konnte den Aufbau der Ausstellung verfolgen. Auf großen braunen Stellwänden mit gelben Hinweisschildern wird die Geschichte Plettenberger Juden erzählt. Dokumente aus den Unterlagen des Stadtarchivs, wie die Pässe der Juden, Schreiben der Gestapo oder des Amtsbürgermeisters, sind ebenso zu sehen wie Fotos der jüdischen Familien, die in Plettenberg lebten und insbesondere als Einzelhändler in Konfektionswaren oder als Metzger zum Mittelstand gehörten.


Unter den Besuchern der Ausstellung war auch der damals 85-jährige Engelbert Wahle, von März 1934 bis Mai 1938 Amtsbürgermeister in Plettenberg.

Die Ausstellung zeigt ungeschminkt, dass der Judenhass kein Thema weit entfernt in der Großstadt war, sondern in einer Kleinstadt wie Plettenberg, besonders im Jahre 1938, im Vorfeld und Nachgang der Ereignisse des 9. Novembers - der sogenannten "Kristallnacht" - zum Ausbruch kam. Im Heimathaus wird mit Dokumenten belegt, dass in der Kristallnacht in Plettenberg nicht nur Schaufensterscheiben jüdischer Geschäfte zu Bruch gingen, sondern auch die Privaträume jüdischer Mitbürger in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Für die jugendliche Besucher der Ausstellung , die am kommenden Mittwoch um 16 Uhr eröffnet wird, dürfte ein Dokument besonders interessant sein, weil man in Plettenberg sehr wohl wissen konnte und auch wusste, dass es Konzentrationslager gab:

Einen Tag vor Heiligabend 1938 trifft in Plettenberg beim Bürgermeister ein Schreiben der Gestapo (Geheime Staatspolizei) Dortmund ein. Betrifft: Schutzhaft gegen den Juden Erich Sternberg, geb. am 20.05.07 zu Plettenberg, wohnhaft in Plettenberg, Adolf-Hitler-Straße 19. Darin heißt es:

"Sternberg wurde am 12. November 1938 mittels Sammeltransportes dem Konzentrationlager Sachsenhausen überstellt. Seine Entlassung wurde am 2. Dezember 1938 beantragt. Ich bitte um Mitteilung, ob Sternberg dort eingetroffen ist und an welchem Tag er entlassen wurde." Was aus Erich Sternberg dann geworden ist, belegt die Ausstellung im Heimathaus.


Stadtarchivar Martin Zimmer hat nicht nur anklagende Dokumente für die Ausstellung ausgewählt. Beispielhaft für die Plettenberger, die trotz massiv angedrohter Folgerungen ihren jüdischen Mitbürgern geholfen haben oder weiter zu ihnen standen, ist ein Schreiben von Alfred Lennhof und Selma Heldenmuth (siehe auch: Alfred Heldenmuth - Verbleib unbekannt) an den Böddinghauser August Bitter. Von Bord der "St. Louis", einem Schiff der Hamburg-Amerika-Linie, schrieb Alfred Lennhof:

"14. Mai 1939
Lieber August, am 9. Mai erhielt ich die endgültige Nachricht, dass ich nach Habana auf Cuba die Einreisegenehmigung erhalten habe und ich mit Familie am 11. Mai vormittags schon in Hamburg sein musste. Aus diesem Grund, lieber August, war es mir nicht möglich, dir zum letzten Lebewohl die Hand zu schütteln und dir alles erdenklich Gute für die Zukunft zu wünschen, da ich noch eine ganze Menge Formalitäten zu erledigen hatte, welche meine Zeit in Anspruch nahmen. Habe mich zwar von ganz wenigen verabschiedet, jedoch hatte ich bis zur letzten Minute gehofft, noch einmal nach Böddinghausen zu kommen. Da ich aber noch keinen Postausweis hatte, habe ich in Plettenberg bis 8 1/4 Uhr abends auf den Postmeister gewartet und musste um 1/2 9 Uhr schon mit der Kleinbahn.
Ich benutze jetzt die erste Gelegenheit, die aus Europa die letzten Grüße zu senden. Noch ein herzliches Lebewohl und viele Grüße an deine Familie, Eltern und Freunde von deinem stets mit Hochachtung an dich denkenden Alfred
Auch meinerseits das Allerbeste wünschend, sende ich Ihnen den letzten Gruß aus Europa und bin Ihre Selma Heldenmuth

Begleitend zur Ausstellung im Heimathaus gibt es einen Vortrag von Martin Zimmer am Mittwoch um 20 Uhr im Ratssaal.


Martin Zimmer bei seinem Vortrag im völlig überfüllten Ratssaal. (Fotos: Hassel)



Das Kaufhaus Sternberg, der "obere Sternberg" an der Wilhelmstraße, nach der "Kristallnacht". Die eingeworfenen Schaufensterscheiben sind mit Tüchern abgedeckt.

Quelle: WR Plettenberg, 12.11.1988

Leidensweg früh vorgezeichnet
Aktionen von
SA/SS gegen
Juden von der
Polizei gedeckt

Plettenberg. (mg) "Erinnerungen an jüdische Mitbürger der Stadt Plettenberg": Wer dieses unrühmliche Geschichtskapitel der Stadt besser verstehen will, muss die Entwicklung dieser Minderheit in Plettenberg kennen. Stadtarchivar Martin Zimmer nannte in seinem vielbeachteten Vortrag wichtige Daten und Fakten, die den Leidensweg der Juden verdeutlichen.
Am 6. Februar 1846 fand im Arbeitszimmer des damaligen Plettenberger Bürgermeisters Hollmann eine Versammlung aller hier wohnenden jüdischen Hausväter statt. Anlass war die Unterzeichnung mehrerer Schriftstücke, in denen die Juden laut Verfügung einen selbstgewählten Familiennamen zu Protokoll geben mussten. Darin heißt es:
"Die Metzger Simon und Jakob Isai haben den Familiennamen Lennhoff gemeinschaftlich für sich und ihre Kinder

angenommen und bemerkten, dass dieser Name hier gar nicht vorkomme, welcher von ihnen nach dem Fluss Lenne gewählt sei." Knapp 100 Jahre später, im Dezember 1938, wurden alle Juden per Gesetz verpflichtet, einen vorgeschriebenen Vornamen anzunehmen: Alle weiblichen Mitbürger erhielten den Namen Sara und die männlichen nannten sich fortan Israel.



Dieses Dokument aus der Ausstellung belegt, dass schon laut Verordnung von 1933 das Brief- und Postgeheimnis für jüdische Mitbürger aufgehoben war.


In der sogenannten "Reichskristallnacht" wurden nicht nur die Schaufenster jüdischer Geschäfte eingeworfen, in der darauffolgenden Nacht auch noch mit Farbe beschmiert. Wie dieses Dokument aus der Ausstellung belegt, war auch ein "arisches" Geschäft betroffen, z. B. das des "Pg (Parteigenosse) Krage" (Friseurmeister Otto Krage, Wilhelmstr. 45 ?). Hier hatte man das Wort "Kritiker" mit teerähnlicher Farbe auf die Scheibe gepinselt.


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