"Alfred Heldenmuth - Verbleib unbekannt"
Die Odyssee der 10 Monate alten Lilo Hellen Goldstone geb. Heldenmuth


Diese Archivaufnahme zeigt die Reklametafel des Viehhändlers Alfred Heldenmuth auf den Brockhauser Wiesen im Lennetal.

Plettenberg. (HH) Diese Geschichte beginnt mit einem Foto, das einige Kühe auf der Wiese Kirchstraesser zwischen Brockhausen und der Lenne bzw. der heutigen Bundesstraße 236 zeigt. Auf einem Schild wirbt der Viehhändler Alfred Heldenmuth. Dieses bislang wenig beachtete Bild schlummerte in meinem Archiv, bis sich vor wenigen Tagen die gleiche Aufnahme im Internet auf der Seite des "United Staates Holocaust Memorial Museum" fand.

Auf den Seiten des amerikanischen Holocaust Museums fanden sich überraschend weitere Hinweise und ein bislang unbekanntes Foto der Familie Heldenmuth, deren jüngstes Mitglied damals (im Jahre 1939) die in Plettenberg geborene Lilo Hellen Sara Heldenmuth war. Die jüdische Familie war damals gezwungen, Deutschland zu verlassen. Darüber heißt es im Band 6 der Stadtgeschichte (S. 188):
"Der Betriebsleiter Fritz Kuhenne kaufte von dem Viehhändler Alfred Heldenmuth sämtliche im Grundbuch von Plettenberg, Band 25, Blatt 602, verzeichneten Parzellen zum Einheitswert von 25.300 RM."

Im gleichen Band auf Seite 201 ist neben vielen weiteren jüdischen Familien aus Plettenberg auch die Familie Heldenmuth aufgelistet. Hierzu heißt es: "Alfred Heldenmuth; Verbleib unbekannt", und eine Seite später: "Wahrscheinlich überlebt haben . . . Heldenmuth, Selma; Hubana (Cuba) Heldenmuth Lilo Helen, Hubana (Cuba)." Dass dies nur die halbe Wahrheit ist, klärt sich schnell bei einem kleinen Exkurs durch die Internet-Seiten des "United Staates Holocaust Memorial Museum". Hier findet sich nämlich ein Bild, dessen Existenz man niemals vermutet hätte: Es zeigt die Heldenmuth-Familie (Selma, Alfred [mit Tochter Lilo]) am 13. Mai 1939 im Hamburger Hafen, als sie mit mehr als 930 Juden an Bord der "SS St. Louis" gehen, die für die Hamburg-America-Linie fährt. Demnach ist Tochter Lilo Heldenmuth (im Kinderwagen so eben zu sehen) 1938 in Plettenberg (dort fälschlich "Clettenberg" genannt") geboren. Die letzte Adresse der Familie Heldenmuth lautete Scharnhorststr. 6.


Die Familie Heldenmuth geht im Hamburger Hafen an Bord der "St. Louis". Vorne Selma Heldenmuth (*14.07.1908 Erfeld), dahinter Alfred Heldenmuth (*27.05.1894 Wetzlar), der den Kinderwagen schiebt, in dem die 10 Monate alte Lilo Hellen (*09.06.1938 Plettenberg) sitzt. Offensichtlich pflegte man damals schon die heute übliche Aktion auf Kreuzfahrtschiffen, jeden an Bord gehenden Passagier abzulichten und die Bilder später zum Kauf anzubieten.

Quelle: United Staates Holocaust Memorial Museum

Dieses Foto belegte zwar, dass die Plettenberger Familie Heldenmuth es geschafft hat, Nazi-Deutschland zu verlassen, doch der dann folgende Text des Holocaust-Museum zeigt, dass der Weg in die Freiheit damals nicht nur schwierig, ein Bangen und Hoffen, sondern oft auch ein Umweg ins Ungewisse war. Statt in Cuba von Bord gehen zu können, wie sich die Familie Heldenmuth das erhofft hatte, drehte das Schiff um, fuhr schnurstracks noch einmal über den Atlantik und steuerte jetzt den Hafen von Antwerpen/Belgien an. Dazu heißt es auf der Museums-Seite (freie Übersetzung):

"Die St. Louis war eine deutscher Luxusüberseedampfer, der mehr als 930 jüdische Flüchtlinge von Nazi-Deutschland nach Kuba im Mai 1939 bringt. Gemäß Schiffsatzsegel von Hamburg am 13. Mai 1939 besaßen alle Flüchtlingspassagiere legitime Einreisepapiere für Cuba. Jedoch, während der zwei Wochen langen Periode, die das Schiff unterwegs nach Havana war, wurden die Landungsbescheinigungen, die vom kubanischen Direktorgeneral der Einwanderung an Stelle von regelmäßigen Visa gewährt worden waren, von der profaschistischen kubanischen Regierung für ungültig erklärt.
Die St. Louis hat Havana am 27. Mai 1939 erreicht, aber 28 von den jüdischen Flüchtlingen wurde die Einreise verweigert. Das amerikanische jüdische Gemeinschaftliche Austeilungskomitee (JDC) hat Lawrence Berenson nach Kuba befördert, mit örtlichen Beamten zu verhandeln, aber der kubanische Präsident Federico Laredo Bru hat auf der Ablehnung der Einreise in Havana Hafen bestanden. Den Flüchtlingen wurden ebenso der Zugang in die Vereinigten Staaten abgelehnt.
Folglich war das Schiff am 6. Juni gezwungen, nach Europa zurückzukehren. Während das Schiff auf dem Weg nach Antwerpen war, haben mehrere europäische Ländern die Übernahme der Flüchtlingen (287 nach Großbritannien; 214 nach Belgien; 224 nach Frankreich; 181 zur Niederlande) angeboten. Nur die, die von Großbritannien angenommen wurden, haben relative Sicherheit gefunden. Die anderen waren bald, durch der deutschen Invasion von Westeuropa 1940, erneut in Gefahr. Einigen wenigen, glücklichen, ist die Auswanderung gelungen, bevor dies unmöglich geworden ist. Am Ende haben viele der St. Louis-Passagiere, eine vorläufige Zuflucht gefunden in Belgien, Frankreich und den Niederlanden, wo viele durch die Nazis gestorben sind, aber die Mehrheit hat den Krieg überlebt."

Zu den Familien, denen die Einreise nach England gelang, zählten auch die Heldenmuths. Das Museum meldet: Lilo wuchs in England und Wales auf, die Familie emigrierte 1945 in die USA."
Lilo Heldenmuth, *09.06.1938 Plettenberg, die im Alter von 11 Monaten schon zweimal den Atlantik überquert hatte, heißt heute Lilo Goldstone, lebt in Skokie/Illinois, besuchte die George Washington High School, studierte vermutlich Physics an der University of Texas in Arlington. Sie kann am 9. Juni 2008 ihren 70. Geburtstag feiern.
Im Archiv des "US Holocaust Memorial Museum" findet man über die Heldenmuth-Familienmitglieder Lilo Goldstone, Alfred Heldenmuth, Selma Heldenmuth und Solomon Heldenmuth einige Fotos und Schriftstücke, darunter Bücher, Zeitungen, fünf Aufnahmen aus Plettenberg, Hinweise auf die Viehhandlung Heldenmuth von 1930 bis 1940, über die Emigration und Imigration.

Einer, der sich mit der Geschichte der Familie Heldenmuth in Plettenberg ausführlich befasst hat, ist Martin Zimmer. Der damalige Stadtarchivar sorgte 1988 mit einer Ausstellung über die Geschichte "Erinnerung an jüdische Mitbürger in Plettenberg" für Aufsehen und heiße Diskussionen.


Blick auf jenen Teil der von Martin Zimmer erstellten Ausstellung zur "Erinnerung an jüdische Mitbürger in Plettenberg" (1988), der die Familie Heldenmuth zeigt.

Am 4. Mai 1939 wurde in Plettenberg der Reisepass für Selma Heldenmuth ausgestellt, gut eine Woche später ging die Familie in Hamburg an Bord der St. Louis. Der Reisezweck "Auswanderung" suggeriert, dass die Familie Deutschland freiwillig verlässt.


Quelle: WR vom 31.05.2008


Quelle: http://www.schiffe-maxim.de/Louis.htm

ST. LOUIS ( 1929 – 1946 )
Reederei: Hamburg – Amerika Linie ( HAPAG ), Werft: Vulkan Werft, Bremen; Tonnage: 16732 BRT, Stapellauf: 02.08.1928, Länge: 174,90 m, Breite: 22,10 m, Jungfernfahrt: 28.03.1929

Der Musikdampfer St. Louis war ein Traumschiff der Hamburg-Amerika-Linie. Die St. Louis war das Schwesternschiff der Milwaukee und zählte zu den kombinierten Fracht- und Passagierschiffen. Nach ihrer Jungfernreise von Hamburg nach New York, die am 28.März 1929 begann, blieb die St. Louis überwiegend im Nordatlantikdienst.

Neben dem Linienverkehr setzte die Reederei sie aber auch für Kreuzfahrten ein, besonders im Frühjahr und Herbst zu den Kanarischen Inseln, nach Madeira und nach Marokko. Diese damals sehr beliebten Reisen dauerten 16 bis 17 Tage und man legte etwa 4500 Seemeilen zurück. Ab 1934 unternahm das Schiff jeweils mit 900 Urlaubern an Bord erstmals KdF-Reisen nach Norwegen. Bereedert wurde sie allerdings noch von der HAPAG.

Aber die St. Louis wurde der Weltöffentlichkeit durch ihre sich Mitte Mai bis Mitte Juni 1939 hinziehende Odyssee bekannt. Mit 937 jüdischen Emigranten, die unter Zurücklassung ihres Besitzes aus dem nationalsozialistischen Deutschland flüchteten, fuhr die St. Louis am 13.März 1939 von Hamburg nach Kuba. Die dortigen Behörden erklärten die Visa, für die jeder Passagier tausend Dollar hatte aufbringen müssen, für ungültig und verweigerten die Einreise. Nach einer Woche vergeblicher Verhandlungen verließ die St. Louis Havanna und kreuzte vor der Küste Floridas hin und her, während Kapitän Gustav Schröder, die HAPAG und jüdische Organisationen auf telegrafischen Wege fieberhaft eine Lösung herbeizuführen suchten, doch auch die USA waren nicht bereit die Flüchtlinge an Land zu lassen. Schließlich nahm die St. Louis mit den verzweifelten Menschen an Bord wieder Kurs auf Europa. Die Gestapo (Geheime Staatspolizei) gab der HAPAG - Leitung unterdessen zu verstehen, dass alle Passagiere nach ihrer Rückkehr nach Deutschland ins Konzentrationslager eingeliefert würden. Erst wenige Tage bevor die St. Louis den Kanal erreichte, konnte die jüdische Weltorganisation, HAPAG - Direktor Holthusen die Regierungen von Belgien, Niederlande, Frankreich und Großbritannien zur Aufnahme der Emigranten bewegen und am 17. Juni 1939 gingen die Flüchtlinge in Antwerpen von Bord.

Die St. Louis verließ kurz vor Kriegsbeginn New York, traf am 11.September 1939 im sowjetischen Murmansk ein und erreichte am 1. Januar 1940 schließlich Hamburg. Nach einem Umbau im Mai 1940 in der Marinewerft in Wilhelmshaven nutze die deutsche Kriegsmarine die St. Louis als Wohnschiff in Kiel, wo sie bis auf eine kurze Unterbrechung ( von September bis Dezember 1940 in Stettin ) stationiert blieb.

Während eines Luftangriffes auf Kiel am 30.August 1944 erhielt sie mehrere Bombentreffer und brannte teilweise aus. Das erheblich beschädigte Schiff wurde am 22.September auf den Strand gesetzt und 1946 nach Hamburg zur notdürftigen Reparatur geschleppt. An der Altonaer Landungsbrücke festgemacht, diente die St. Louis der HAPAG bis 1950 als Hotelschiff. Anschließend wurde sie nach Bremerhaven zum Abbruch verkauft und dort 1952 abgewrackt.