Quelle: Erinnerungen von Herbert May an 1939-1945, 3 DIN A 4-Seiten maschinengeschrieben, vom 13. August 2008
"Wilhelm, Wilhelm, wir haben Krieg!"
Erinnerungen von Herbert May
Ein paar Jahre der Euphorie vergingen schnell. Deutsche Städte wurden
bombardiert, der Krieg kam in die Heimat. Als Hitlerjungen mußten wir
zur „Vormilitärischen Ausbildung“ in Wochenendlehrgängen. Die Ausbildung
an Schußwaffen und Handgranaten wurde Ernst, Spielen gabs nicht mehr.
Inzwischen waren auch meine 3 Brüder zum Wehrdienst gezogen. (die zwei
ältesten sind 1943 und 1944 gefallen) Sirenengeheul war an der Tagesordnung.
Nachts mußte ich mit meinem Vater und meiner Schwester (meine Mutter
war 1940 verstorben) in den Luftschutzkeller. Tagsüber ging ich in den
kleinen Wald unterhalb der Hallenbergstraße unweit der Villa Eweler.
Ich traf mich dort mit meinem Freund. Wir hatten uns ein kleines Erdloch gegraben.
Auch wir Jugendliche merkten bald, daß der Krieg eine Wende genommen hatte.
Alliierte Truppen hatten schon einen Teil Deutschlands besetzt. Die
Luftangriffe alliierter Bombenflieger und Jagdbomber nahmen zu. Auch
während der Schulstunden gab es häufiger Fliegeralarm und wir mußten
in den Luftschutzkeller.
Anfang 1945 war die Provinzialstraße (heute die B 236) mit deutschen
Truppen auf dem Rückzug oder Vormarsch, sie wußten es selber nicht.
Im Ruhrgebiet zog sich der „Ruhrkessel“ zu. Zu den Tieffliegerangriffen
fielen auch die ersten Bomben .Die ersten Toten waren zu beklagen. Die
Angriffe am Tage haben mein Freund und ich immer aus unserm Erdloch
beobachtet. Die Jagdbomber kamen so tief, daß wir den Piloten in der
Kanzel sehen konnten. Von hier konnten wir auch den Absturz eines
amerikanischen 4mot-Bombers beobachten, der aus Richtung Affeln flog,
über Böddinghausen schon Bäume streifte und in der Kersmecke in die
Tannen stürzte.
Die Situation verschärfte sich. Immer häufiger wechselten Tiefflieger
und Bomber und beharkten die auf dem Rückzug befindlichen deutschen
Truppen. Immer häufiger wurden die Schulausfälle. Manche Eltern schickten
ihre Kinder schon gar nicht mehr. So wurde im März der Schulunterricht
freiwillig. Besonders gefährlich wurde es auch für uns in der „Tüte“
direkt am „Eiringhauser Verkehrsknotenpunkt“ gelegen. Ein Bekannter
meines Vaters an der Affelner Straße hatte meinem Vater 2 Zimmer in
der Kellerwohnung angeboten, wo wir, mein Vater, meine Schwester und
ich, vorübergehend wohnen konnten. So warteten wir der Dinge die da
kommen werden.
Die Luftangriffe nahmen zu und wurden immer gezielter. Bombardierung der Bahnlinie, des Bahnhofs,
der Provinzialstraße. Die ersten Wohnhäuser wurden zerstört. Ein im Bahnhof stehender Personenzug
mit Flüchtlingen wurde in der Nacht angegriffen und bombardiert. Es gab viele Tote und Verwundete.
Die Toten hatte man im Luftschutzkeller unter der Katholischen Kirche aufgebahrt.
Am folgenden Morgen während der Messe, ich hatte Dienst als Meßdiener,
gab es Fliegeralarm, die Messe wurde abgebrochen und die Besucher der
Messe wollten in den Keller. Ein Aufschrei des Entsetzens als man dort
die Toten liegen sah. An diesem Nachmittag ließ auch eine Mutter ihr
Kind taufen. Bei dieser Tauffeier war ich Meßdiener und Taufpate zugleich.
Anfang April 1945. Die Lage wurde immer bedrohlicher. Täglich Luftangriffe
auf die Bahnlinie und die Fahrzeugkolonnen auf der Straße. Schon konnte man
den Geschützlärm in der Ferne hören. In der „Tüte“ waren alle Familien ausgezogen
und bei Bekannten untergekommen. Schulunterricht gab es nicht mehr. Die
Schulentlassungszeugnisse mußten wir bei unserem Lehrer in Böddinghausen
abholen. Er verabschiedete jeden seiner Schüler und wünschte alles Gute für
den weiteren Lebensweg.
Das Abholen meines Zeugnisses nahm, obwohl ich mich schon sehr früh auf den Weg gemacht hatte, bis zum späten Nachmittag. Drei Tieffliegerangriffe waren an diesem Tag. Da die „Tüte“ unbewohnt war, ging ich jeden Morgen in unsere Wohnung um noch wichtige Sachen zu holen und nach dem Rechten zu sehen. So auch am 13. April. Nachdem ich mit Pastor Busch und einigen Kirchgängern die Hl.Messe gefeiert hatte, ging ich noch einmal in unsere Wohnung. Aus dem Küchenfenster konnte ich sehen, wie noch einige deutsche Soldaten sich in der Nähe der Katholischen Kirche sammelten. Es war Mittag als ich das Haus verlassen wollte, sah ich das sich ein einzelner Soldat hinter der Kastanie am Kanal mit reichlich Munition verschanzte. Sein Motorrad, eine 350er DKW stand hinter der Treppe zum Eingang Bergmann. Als er mich sah, schrie er mich an ich sollte sofort in den Keller gehen, amerikanische Truppen wären am Ortseingang. Ich gab zu verstehen, das ich die Straße überqueren müßte. In diesem Moment schlichen sich die ersten Amerikaner in die Reichstraße. Im gleichen Moment eröffnete der Soldat hinter der Kastanie das Feuer. Im Dauerfeuer schoß er seine Magazine leer. Einen Moment war Totenstille. Er gab mir ein Zeichen daß ich so schnell wie möglich die Straße überqueren sollte. Dann setzte er sich auf sein Motorrad und raste davon. Später hörte ich das dieses Feuergefecht viele Verwundete bei den Amerikanern gegeben hatte Nach einer längeren Pause wurden Panzer angefordert. Auf dem Weg zu unserer Ersatzwohnung hörte ich die ersten Schüsse. Eine Panzergranate schlug in die „Tüte“ ein. Nachdem die Staubwolke weg war sah ich ,daß der Einschlag nicht in unserer Wohnung sondern eine Etage tiefer lag.
Die Neugierde zog mich über den Katholischen Friedhof von wo ich in das Lennetal bis Leinschede sehen konnte. Die gesammte Straße war voll mit Panzern und Fahrzeugkolonnen der Amerikaner.. Als ich wieder zurück wollte staunte ich nicht schlecht. Amerikanische Truppen waren von der Blemke hoch und lagen bereits indem Tannenwäldchen des Friedhofs.
Man nahm mich fest. Nach einer längeren Beratung der Amerikaner wollte man von mir wissen wo ich herkam und was ich hier wolle. Da das Haus meiner Familie in Sichtweite lag, wurde ich von einer kleinen Patrouille meinem Vater übergeben. Anschließend kontrollierten sie das Haus und fragten nach deutschen Soldaten. Danach kontrollierten sie die anderen 4 Häuser. Am anderen Morgen ging ich sofort in unsere Wohnung um nach Schäden zu sehen. Die Haustür stand offen, mit einigen Schüssen hatte man das Schloß zerschossen, alle Wohnungen waren aufgebrochen und durchsucht worden Schränke standen auf aber es war nichts gestohlen.Inzwischen war auch mein Vater gekommen und wir haben ,nachdem sich auch weitere Hausbewohner einfanden , die Schäden so weit wie möglich behoben. Als wir dann wieder an unserer Ersatzwohnung angekommen waren mußten wir feststellen das die ersten 4 Häuser von den Amerikanern beschlagnahmt waren und alle Bewohner in dem 5. dem letzten Haus (vor der Friedhofskurve) untergebracht waren. Allerdings nur für eine Nacht. Die Evakuierung war nötig geworden ,weil aus der Friedhofskurve schwere Geschütze die Stadt Werdohl beschossen und die dazu gehörige Besatzung in den Häusern wohnte.
Am Nachmittag war ich noch mal „im Dorf“. Auf dem Hof der Villa Eweler hatte
man einen Lebensmittelwagen der Deutschen Wehrmacht ausgemacht, der aber schnell
geleert war. In dem Wohnhaus der Firma Fastenrath und Siepmann hatte sich ein
Truppenarzt der Nachschubeinheit einquartiert. Er sprach gut Deutsch und ich
war ihm aufgefallen, da ich mehrmals am Tage an diesem Haus vorbeikam. Am Tag
darauf sprach er mich an und fragte nach deutschen Briefmarkenalben. Als Junge
hatte ich nur Sondermarken „zum Tag der Deutschen Wehrmacht“ und zum „Geburtstag
des Führers“ gesammelt. Als ich ihm von dieser Sammlung erzählte, bekam er Glanz
auf den Augen und wollte sie sehen. Er nahm mich mit ins Haus und fragte, ob
ich ihm die verkaufen wolle. Dann holte er einen großen Karton packte einige
Stangen Chesterfield, mehrere 500 gr. Dosen Nescafe., kartonweise Schokolade
und Kaugummi hinein - als Preis für die Briefmarken. Jetzt bekam ich Glanz in
den Augen und willigte ein. Wir haben Freundschaft geschlossen und jedesmal
wenn ich wieder vorbeikam habe ich eine Kleinigkeit bekommen, leider nur eine Woche lang.
Die folgenden Wochen streiften wir die Wälder ab auf der Suche nach Überbleibsel der Wehrmacht. Nach vielem brauchbaren wie Funkgeräte ,Generatoren usw. interessierte uns dann auch die Munition. Eine Kiste mit Stielhandgranaten und eine Kiste mit 3 Panzerfäusten musten unter größten Sicherheitsmaßnahmen vor den Amerikanern in ein Versteck gebracht werden. Mit den Handgranaten wurden in der Lenne Forellen „gefangen“. Hier muß ich einfügen, daß uns die damalige „ Vormilitärische Ausbildung „ hier vielleicht das Leben gerettet hat.
Ein Kuriosum muß ich noch berichten. Um 19 Uhr war Sperrstunde. Wenn die
Sirenen heulten, mußten alle in ihren Häusern sein. Eines Tages hatte
ich einen ausgiebigen „Kontrollgang“ durch die Affelner Berge unternommen.
In Höhe der Affelner Höhe hörte ich die Sirenen. Über den Fuhrweg, den
„Alten Graben“ runter; Affelnerstraße bis nach Bergmanns an die Ecke,
hinterm Kastanienbaum und dann die „Tüte“ angesteuert, geschafft.
Scheiße wars. Mein Haustürschlüssel hatte sich in dem zerschossenen
Türschild verhakt und ich bekam ihn nicht los. Just in dem Moment kommt
ein Jeep der Militär-Polizei die Bachstraße hochgefahren , sieht mich,
und schon sitze ich im Jeep.
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