Quelle: Westfälische Rundschau vom 14.06.1985
WR-Serie über Zwangsarbeiter in Plettenberg - Victor Clemens berichtet über die letzten Tage
Am Ende stellten die Kriegsgefangenen Bescheinigungen aus
Plettenberg. (kr) In der ersten Folge über das Leben von Zwangsarbeitern
in der Vier-Täler-Stadt zitierte die WR aus einem Schreiben des 74-jährigen
polnischen Schuhmachers Victor Clemens aus Bielsko-Biala an Stadtarchivar Martin
Zimmer. Clemens war während des II. Weltkrieges einer der rund 1500 Zwangsarbeiter,
die in Plettenberg bei heimischen Betrieben und Werkstätten arbeiten mussten. Zum
Teil Kriegsgefangene, zum Teil aber auch verschleppte Zivilisten, meist junge
Männer und Frauen aus Polen, Russland, Frankreich, Italien - sie alle waren in
der Vier-Täler-Stadt untergebracht und mussten hier bis zum Einmarsch der Amerikaner
im April 1945 arbeiten.
Im Stadtarchiv lagern unter der Obhut von Martin Zimmer Karteikästen mit beinahe
1500 Karten - also den Fotos und Daten fast sämtlicher in Plettenberg lebender
Zwangsarbeiter. Damit diese Datensammlung nicht nur totes Material bleibt, hat die
Westfälische Rundschau zusammen mit Archivar Martin Zimmer einiges aufgearbeitet
und wird dies in loser Folge veröffentlichen. Zeitzeugen, die berichten können,
wie die Zwangsarbeiter in Plettenberg gelebt und gearbeitet haben, wo und wie sie
untergebracht waren, woher sie kamen und was nach dem Einmarsch der Amerikaner
passierte, werden gebeten, sich schriftlich mit Martin Zimmer, Stadtarchiv, in
Verbindung zu setzen.
"Kriegsende und Befreiung waren für mich ein überaus freudiges Ereignis"
"Im November wurden wir aus der Gefangenschaft und dem Stammlager STALAG VIa in
Hemer entlassen und wurden nach Plettenberg gebracht. Ich und mein Freund Jan
Budziak kamen zu dem Schuhmacher Adolf Schmidt, Herscheider Straße. Anfangs
wohnten wir bei unserem Meister in einem kleinen Zimmer, aßen mit der ganzen
Familie an einem Tisch und wurden wie Familienmitglieder behandelt. Im Jahre 1943
wurden alle ausländischen Zivilarbeiter in einem Lager untergebracht, welches
sich auf dem Gelände der Ziegelei befand. Wir wohnten dort zusammen mit den in
der Ziegelei beschäftigten Zivilarbeitern. Die Aufsicht oblag einem älteren Herrn,
es war ein Zivilist. Im Lager verblieben wir bis Kriegsende.
Sowjetbürgerinnen wohnten in Lagern, welche sich auf dem Gelände der Betriebe
befanden, in welchen sie beschäftigt waren, und dort wurden sie auch verpflegt.
Polinnen waren meist als Dienstmädchen bei Fabrikanten oder als Arbeitskräfte
bei Bauern beschäftigt. Wir konnten uns mit den polnischen und russischen
Mädchen treffen, es war nicht verboten, aber nur sonntags, denn an Wochentagen
hatten wir keine Freizeit.
Es gab keine Rücktransporte nach Hemer, denn dort war ja nur ein Kriegsgefangenenlager.
Nach Beendigung des Krieges fuhren die Zivilarbeiter in ihre Heimat zurück, aber
so weit ich mich erinnern kann, gab es keine organisierten Rücktransporte, sie
fuhren in ihren Volksgruppen auf eigene Faust in die Heimat.
In einem weiteren Brief, der im Mai 1983 verfasst wurde, berichtet Victor Clemens
Einzelheiten aus seinen Erlebnissen nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen in
Plettenberg:
Wir waren sechs Personen, und zwar drei Frauen und drei Männer. Wir blieben drei
Tage in dem Wald; inzwischen waren die Amerikaner schon in Plettenberg. Nach
drei Tagen wurden wir von einer amerikanischen Patrouille aufgestöbert und nach
Plettenberg geschickt.
Die Stadt war wie ausgestorben, man sah nur Amerikaner und Ausländer auf den
Straßen, aber zu dieser Zeit kam es nicht zu Ausschreitungen seitens der Zivilarbeiter
oder Kriegsgefangenen gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung.
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