Quelle: 1945 - Als die Amis kamen - ST Sonderseite "Süderland - Heimatland" vom 30.03.1985, 3. Folge
Innenstadt knapp an der Katastrophe vorbei:
Von Horst Hassel
Nach dem Rheinübergang bei Remagen am 8. März 1945 wurde von den
Amerikanern der sogenannte "Ruhrkessel" gebildet, der sich nach
Osten über den Hellweg bis Brilon, das Rothaargebirge und nach
Süden bis Siegen erstreckte. In diesem Abschnitt hatte die
Heeresgruppe Model die Verteidigung gegen die anrückenden Amerikaner
übertragen bekommen. Ab Mitte März gab es deshalb im heimischen
Raum verstärkt Fliegerangriffe der Alliierten. Berüchtigt war
damals das Doppelrumpf-Flugzeug vom Typ P 38 "Lightning" (Blitz).
Deren Piloten machten Jagd auf alles, was sich bewegte.
Wie sich solch ein Luftabgriff aus Plettenberg abspielte, hat uns
Günter Gärtner aus Hüinghausen geschildert: "Die Engländer und
Amerikaner hatten mittlerweile die volle Luftüberlegenheit
erreicht. Durch den Abwurf von Millionen von Staniolstreifen
wurden die Radargeräte der Luftabwehr ausgeschaltet. Dadurch war
es nicht mehr möglich, die genaue Flughöhe der alliierten
Jagdbomber zu messen.
Mit dem Näherrücken der Front verstärkte sich die Zahl der
Angriffe auf Plettenberg. Ende März/Anfang April 1945 kamen die
Tiefflieger fast täglich. Ziele waren der Bahnhof in Eiringhausen
und das Kraftwerk Siesel, welches durch einen Volltreffer nahezu
völlig zerstört wurde."
Doch Günter Gärtner, der damals Im Winkel in Plettenberg wohnte,
kann sich auch genau an den Beginn der Luftangriffe auf Plettenberg
erinnern. Er war damals Schüler der Martin-Luther-Schule. Lesen
Sie seinen Erinnerungsbericht:
"Die Kriegsjahre 1939 - 1943 waren ohne Luftangriffe an der Stadt
Plettenberg vorübergegangen. In der Schule wurden damals sämtliche
Kellerräume durch Balken und Stützen verstärkt. Bei Fliegeralarm
mussten wir diese Schutzräume aufsuchen. Ebenso war das Postamt
am Maiplatz für einen Teil der Schüler reserviert. Man hatte hier
den Teil des Kellers, welcher über dem Oesterbach lag, als
Schutzraum vorgesehen.
Nach der Schulentlassung im April 1944 wurden dann die Angehörigen
der Flieger-HJ (HJ - Hitlerjugend) im Juni zum Segelfluglehrgang
zur Kuscheid (zwischen Küntrop und Affeln) einberufen. Hier wurden
wir von der Invasion in der Normandie überrascht. Es tauchten zu
dieser Zeit die ersten Tiefflieger mit weitem Aktionsradius auf.
Im September/Oktober 1944 wurden die Bombenabgriffe auf das
Ruhrgebiet immer stärker. In dieser Zeit wäre es fast zu einer
Katastrophe für die Innenstadt gekommen. Ein viermotoriges
amerikanisches Bombenflugzeug ("Fliegende Festung"), dessen Motoren
durch die Flak (Flugabwehrkanone) beschädigt worden waren, stürzte
oberhalb des Kersmecker Viaduktes in einen Tannenwald. Die Besatzung
dieses Bombers war über Neuenrade mit dem Fallschirm abgesprungen.
Das Bombenflugzeug flog dann im Gleitflug bis nach Plettenberg zu
dem Berghügel in der Kersmecke. Es fehlten nur wenige Meter Flughöhe
- und das Flugzeug wäre in die Innenstadt gestürzt.
Postamt unter Beschuß
Vier 10,5 cm-Granaten setzten die Wählanlage der Post außer Betrieb - Der
Fernsprechverkehr ruhte bis November 1945
Plettenberg. Den »Postgeschichtlichen Aufzeichnungen« im Archiv des Postamts Plettenberg kann man auch die Ereignisse um den 12./13.April 1945 entnehmen. In den von Heinz Koch zur Verfügung gestellten Unterlagen heißt es u.a.:
»Am Donnerstag, dem 12.April 1945, stand Plettenberg durch amerikanische Truppen unter Artilleriebeschuß. Dabei wurde das Postgebäude durch vier 10,5 cm-Granaten getroffen. Drei Geschosse schlugen in die Vorderseite des Gebäudes, davon zwei in den östlichen Teil der Vermittlungsstelle. Das vierte Geschoß durchschlug die westliche Hauswand in Höhe des Erdbodens, krepierte im Wirtschaftskeller des Amtsvorstehers und verursachte dort schwere Beschädigungen an Mauerwerk und Vorräten. Von Wehrmachtsangehörigen, die in der Apparatewerkstatt lagen, wurde ein von Fretter kommender Melder (Unteroffizier) getötet. Ein Sanitätsmann wurde schwer-, mehrere Soldaten und Postangehörige - darunter der Amtsvorsteher - leicht verletzt. Durch den Beschuß war ein Großteil der technischen Einrichtung zerstört worden. Sämtliche Fenster des Postamtes waren beschädigt.
Am Freitag, dem 13.April, in der Früh`, wurden die Stadt und das Postamt von einrückenden amerikanischen Truppen besetzt. Im Verlaufe der einige Stunden währenden Besetzung haben erhebliche Zerstörungen in den Diensträumen und umfangreiche Plünderungen an Postsendungen stattgefunden. Vom Zeitpunkt des Einmarsches an war jede postdienstliche Tätigkeit unterbunden. Nach einigen Tagen begann das Personal mit den Aufräumungsarbeiten und Instandsetzungen. Die amerikanischen Truppen wurden nach einigen Tagen durch englische abgelöst.
Mitte Juni 1945 konnte in beschränktem Umfange der Schalterverkehr wieder aufgenommen werden. Fernsprechverkehr war verboten. In diesem Zusammenhang ist noch folgendes zu erwähnen: Mitte Mai 1945 beobachtete ein Angehöriger der Besatzung, wie im Rathaus ein Gespräch geführt wurde. Da er die verbotswidrige Führung eines Orts- oder Ferngespräches über das Amt vermutete, ordnete er an, die Zuführungen zu den Batterien abzuschneiden. Ein vorheriger Hinweis darauf, daß mit Rücksicht auf die bereits bestehenden Zerstörungen ein Telefongespräch über das Amt ohnehin nicht möglich sei, änderte nichts an dem Befehl. Infolgedessen ruhte der Fernsprechverkehr bis Mitte November 1945.
Später stellte sich heraus, daß es sich im Rathaus um ein Gespräch von einer Nebenstelle
zur anderen gehandelt hat. Von den Besatzungstruppen sind einige Schreibmaschinen sowie
ein Notstromggregat mitgenommen worden.«
Quelle: "Süderland-Heimatland", Sonderbeilage des ST, vom 30.03.1985
Major Krankenhagen übernahm am
Plettenberg. (HH) Nach mehreren Berichten von Augenzeugen, die
das Kriegsende in Plettenberg als Zivilisten erlebten, können wir
Dank der Hilfe von Wilhelm Krankenhagen, dem langjährigen Rektor der
Schule Pasel, die letzten Kriegstage aus der Sicht eines Mitglieds der
Wehrmacht erfahren. Wilhelm Krankenhagen ist Major in der 121.
Infanterie-Division gewesen. Er hielt sich in den letzten Kriegstagen
in Landemert auf. Über die Geschehnisse dort wird er an anderer
Stelle noch berichten. Wilhelm Krankenhagen erinnert sich:
"Als wir in Landemert unmittelbar mit dem Einmarsch der Amerikaner
rechneten, suchte ich den letzten deutschen Truppenkommandeur im
Forsthaus Heveschotten auf und erkannte in ihm einen alten
Kampfgefährten und Freund aus Russland wieder: den Oberstleutnant
und Ritterkreuzträger Siegfried Meißner, jetzt Führer einer alten
Kampfeinheit, der 338. Inf.-Division,
Er freute sich genau wie ich über dieses unerwartete Wiedersehen,
machte mich zu seinem Adjutanten und teilte mir mit, dass er soeben
von seinem General nach Pasel beordert sei, um dort weitere Befehle
entgegen zu nehmen. Wir fuhren mit Jeeps durch Plettenberg. Der
Wieden lag gerade unter amerikanischem Artilleriefeuer und wir
erlebten im Augenblick des Vorbeifahrens einen Treffer im
Herbergschen Haus. Über Eiringhausen erreichten wir Pasel.
Unnötiges Blutvergießen vermeiden
Für Oberstleutnant Meißner und mich stand von vorneherein fest,
dass wir das Lennetal nicht verteidigen wollten, um unnötiges
Blutvergießen und Schäden durch Artillerie oder Flieger zu vermeiden.
Trotzdem sind durch Streufeuer der amerikanischen Artillerie
auch im Raum Pasel noch vier deutsche Soldaten gefallen. Sie
wurden zunächst auf dem Paseler Friedhof bestattet und später
auf den Ehrenfriedhof in Plettenberg umgebettet. Bis dahin hatte
ich mit meinem Schulkindern die Gräber gepflegt.
In Pasel teilten wir je eine Gruppe von 20 Soldaten zur Bewachung
des Ortsausgangs Pasels, an der Panzersperre unterhalb des
Brückenberges, und am Brückenweg nach Rönkhausen ein, und ordneten
an, dass bei Feindannäherung nicht zu schießen, sondern lediglich
Meldung an uns zu erstatten sei. Ich selbst unternahm am
Nachmittag des frühen 12. April noch eine Erkundingsfahrt nach
Rönkhausen.
Der Ort schien ausgestorben, weil alle Schutz in den Kellern gesucht
hatten, da der Amerikaner jeden Augenblick erwartet wurde. Daraufhin
fuhr ich weiter in Richtung Lenhausen und erkannte auf der Höhe am
"Kanal", dass sich die Amerikaner näherten. Ich fuhr zurück und
teilte meine Beobachtung meinen Landsern an der Straße mit. In der
Nacht kam von dort die Meldung, dass amerikanische Vortrupps in
Richtung auf die Panzersperre vorfühlten. Daraufhin zogen wir uns
ins Dorf zurück, und wir verlegten im Fußmarsch über die Eisenbahnschienen
zurück bis Eiringhausen."
Anmerkung: Hauptmann Siegried Meißner, Heer, III./Infant.Reg. 408, wurde am 25. September
1942 mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet (Quelle: Lexikon der Wehrmacht).
Mit Scharlach ließ man meine
»...Ich war fast 16 Jahre alt. Mein Vater war eingezogen und meine Mutter führte unser Friseurgeschäft weiter. Anfang März erkrankte meine jüngste Schwester an Scharlach. Es gab keinen Krankenhaus-Aufenthalt. Die Leute, unsere Nachbarn, liefen in den Bunker über die Bahn. Als meine zweitjüngste Schwester und ich auch in den Bunker wollten, wurden wir nicht hineingelassen. Also entschied meine Mutter: Wir bleiben hier im Keller!
Meine scharlachkranke Schwester saß - sie war neun Jahre alt - in einem Wäschekorb hinter dem Haus und schrie, wenn die Tiefflieger kamen. Wir stürzten dann nach draußen, um sie in den Keller zu schleppen. Dies geschah während der 6 Wochen oft.
Inzwischen kamen drei Frauen aus Düsseldorf mit zwei Kindern zu Fuß in Ohle an. Sie sahen das Scharlach-Schild. Meine resolute Mutter bat sie hinein - und so blieben sie bei uns. Das Frühlingswetter war sehr schön, und so kamen die Kinder von Düsseldorf (7 und 4 Jahre alt) mit hinter das Haus, um auf meine Schwester aufzupassen. Unser Haushalt bestand aus meiner Mutter und vier Mädchen, den drei Frauen aus Düsseldorf mit zwei Kindern. Oben wohnte meine Oma mit Tochter und zwei Kindern, darunter ein Säugling, außerdem eine evakuierte Frau mit zwei Kindern. Es war also kein Mann im Haus.
Der Rückzug der deutschen Truppen zog sich endlos, Tag und Nacht, durchs Lennetal. Die Tiefflieger griffen immer häufiger an. Ein Soldat, der mit meiner Mutter sprach und ein Fernglas dabei hatte, suchte die gegenüberliegende Papenkuhler Brücke ab und entdeckte einen Mann in Schäferkleidung und mit Schlapphut. Er sagte: ,,Das ist ein Ami! Er kontrollliert, ob sie irgendetwas zu erwarten haben.'' Nichts geschah. Die deutschen Soldaten zogen weiter. Mit ihren Panzern und Verpflegungswageb, die gut gefüllt waren. Aber wir bekamen nichts ab. Nun ging es langsam dem Höhepunkt entgegen und nach dramatischem Artilleriebeschuá auf das Dorf Ohle und der Sprengung der Kahley-Brücke trafen die Amis am Morgen des 14. April 1945 in Ohle ein. Mutter hatte uns des Abends einen Benediktiner ausgeschüttet, der für den Endsieg bestimmt war.
Nachdem sich die erste Verwirrung gelegt hatte, nahm das Leben wieder seinen gewohnten Gang. Meine Schwestern (9 und 10 Jahre) mußten zur 1. Hl. Kommunion. Wir hamsterten in Affeln, um etwas zusammen zu bekommen für diesen Tag - und es gelang! Aber oh weh, einen Tag vor Fronleichnam, dem Kommuniontag, wurde mein kleiner Vetter krank. Der Säugling, vier Monate alt, konnte angesteckt werden. Der Kleine hatte auch Scharlach. Nun packten meine Mutter und meine Tante den Jungen in einen Kinderwagen und brachten ihn zu Fuß nach Werdohl ins Krankenhaus. Sie mußten aber wieder zurück, weil der Kommuniontag war. Sie sind mit Bescheinigungen aller Art dann in der Nacht wieder wohlbehalten in Ohle angekommen. Die Ausgangssperre bestand ja auch noch und deshalb wurden sie immer wieder angehalten.
Dann folgte der Kommuniontag und es war so heiß, daß meine Schwestern ihre geliehenen Kleider ausziehen mußten, um sie zu schonen. Im Laufe der folgenden Wochen machten sich die Evakuierten aus Dortmund und die Frauen aus Düsseldorf zu Fuß auf, um in ihrer Heimatstadt wieder neu aufzubauen.
Am 3. August kehrte mein Vater aus der Internierung in Varel wieder zu uns zurück. Meine
Mutter hatte unerschrocken auf ihre Kinder aufgepaßt und wie alle Mütter Entbehrungen
auf sich genommen, um uns vor allzu großem Schaden zu bewahren. Die Mütter sind die Helden!«
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