Teil 5
65.200 Mark Lohngelder unterschlagen Wie ich anfangs auf der Fabrik war, hielt der Fabrikant eine große Versammlung ab, um uns das neue Alters- und Invalidengesetz zu erklären. Als er ausgeredet hatte, meldete sich ein Arbeiter zu Wort und sagte, die Arbeiter seien dagegen, denn ein besseres System wie wir jetzt hätten, könnte es nicht geben! Wir hätten unsere Fabrikkrankenkasse, deren Verwaltung koste nichts, und wenn einer alt oder Invalide würde, sorge unser Herr Fabrikant so gut für ihn, daß er keinen Mangel leide. Als Beispiel nannte er unseren Abteilungsführer, der als junger, einfacher Walzarbeiter vier Finger von einer Hand verlor usw.. Das neue Gesetz diene nur dazu, viele Beamte anzustellen und der Arbeiter sollte nicht sparen fürs Alter; aber die Arbeiter müßten alles aufbringen. Der Fabrikant sagte: Er wäre auch dagegen, aber es wäre zum Gesetz gemacht und dagegen wäre nichts zu machen. Eines Samstags war Löhnungstag und die Fabrikleitung (der Fabrikant war in Bad Ems) schickte einen Kutscher mit einem Arbeiter (einem ehemaligen Theologie-Studenten, beide Wiener) nach der Volksbank Lüdenscheid (12 Kilometer), um 65.200 Mark zu holen. Nach dem Empfang fuhren die beiden eine andere Richtung und ließen im Silberg Wagen und Pferd abseits im Gebüsch stehen und nahmen die 65.2000 Mark und wollten nach Österreich. Sie kauften sich einen Einkaufskorb, weil die Hälfte Hartgeld war, aber der Korb verlor den Boden und so vergruben sie das schwere Hartgeld unter einem krummen Birkenbaum und warfen den Korb weg. Die Fabrik wartete auf das Geld, weil die Messinggießer schon vormittags Schluß machten. Am Telefon aber wurde von der Volksbank geantwortet, daß die beiden um 8 Uhr das Geld übernommen hätten. Die Polizei wurde alarmiert und dem Fabrikant in Bad Ems der Sachverhalt mitgeteilt, der erwiderte: ,,Sofort noch einmal 65.2000 Mark an der Volksbank holen lassen, damit die Arbeiter ihren Lohn bekommen.'' Für den nächsten Tag hatten sich viele Arbeiter gemeldet, um die Räuber zu suchen, fanden aber nur das Pferd und den Wagen. Die beiden Diebe waren nach Österreich gekommen und hatten die 33.2000 Mark Papiergeld in einem Backofen versteckt. Drei Wochen später kamen die beiden Diebe und wollten das versteckte Geld auch holen, fanden aber die Stelle nicht wieder, weil der Besitzer den Berg, wo der Korb gefunden wurde, inzwischen abgeholzt hatte. Ein Polizist auf einem Fahrrad hatte die beiden bemerkt und war hinter ihnen, aber die beiden liefen den steilen Buchenwald hinauf und verschwanden. Monate später kamen Kinder, die Waldbeeren gesucht hatten, ins Dorf gelaufen und riefen: Da oben in dem Wald liegt viel Geld - da war es gefunden. Inzwischen hatte die Polizei auch das Geld im Backofen gefunden. An der ganzen Summe fehlten einige 1-2000 Mark. Wie die Polizei dahinterkam, erhängte sich der Kutscher, und der ehemalige Theologiestudent bekam 6 Monate Gefängnis. Einige Monate später auf der Fabrik sagte mir ein Abteilungsführer, ich sollte abends in die nächste Wirtschaft kommen zum Skat spielen, es wäre ein neues Kartenspiel und nur er und ein anderer vom Kontor und der Wirt könnten das. Sie spielten drei Abende in der Woche, und wenn dann einer fehlte, fiel der Abend aus. Weil er mich schon länger beobachtet hätte, glaubte er, daß ich das schnell lerne! ,,Nein'', sagte ich, ,,bei meinem geringen Lohn und dann drei Abende in der Woche in der Wirtschaft Skat spielen!'' ,,Ach'', sagte er, ,,komm heute Abend, und was Du verlierst, gebe ich Dir morgen zurück, und wenn der Wirt (auch ein Schulkollege meiner Mutter) Dir das Bier nicht schenkt, gebe ich Dir das Geld auch zurück.'' ,,Ja'', ,,sagte ich, unter solchen Umständen mache ich mit.'' Ich hatte Glück und konnte mein Bier in der Folge mit meinem verdienten Geld bezahlen; und so spiele ich seit meinem 14. Jahre immer noch gern Skat und halte mein Gedächtnis auf Höchstleistung. Als ich vor vier Jahren (nach 15 Jahren in Deutschland) wieder nach La Plata kam und vom Deutschen Skatclub (bis zu 15 Deutsche) hörte, war ich froh, das anzusehen. Mittwochs von 9 Uhr abends bis nach Mitternacht wurde gespielt, und wie gesagt wurde, ob ich mal mitspielen wollte, sagte ich ja. Dann aber meinten sie, ob ich mich zu alt fühlte? Ich sagte: ,,Das tut doch nichts. Was ich verliere, bezahle ich.'' Nach zwei Stunden sagten meine beiden Mitspieler zu den anderen: ,,Wollt ihr mal mit dem Alten tauschen? Da könnt ihr noch von lernen!'' Wenn der Fabrikant einen Faulenzer antraf in der Fabrik, dann jagte er ihn sofort aus der Fabrik. Wenn der aber den nächsten Tag sich bei ihm entschuldigte, stellte er ihn wieder ein. Wenn er vorn im Drahtwerk war und sah in die alte Walze (Wasserkraft) und die hatten mal wegen Wassermangel stillgelegt, dann brüllte er: Die faule Bande! Die beiden großen Fabriken Berg und Basse & Selve - mit gleicher Fabrikation und nur vier Kilometer auseinander - hatten vereinbart, daß, wenn auf der einen Fabrik ein Arbeiter entlassen würde, durfte ihn die andere Fabrik nicht aufnehmen. Das hätte Bismarck als Reichskanzler verbieten müssen! Und dadurch entstand die Sozialdemokratie. Bei der nächsten Wahl hatten wir drei Sozialdemokraten auf der Fabrik, und die sollten entlassen werden, und drei Sozialdemokraten- im Reichstag. Bismarck - in der Zeitung mit drei Haarzipfeln auf dem Kopf - machte das Sozialistengesetz, um diese- Partei zu vernichten und bekam bei der nächsten Wahl 13 Sozialdemokraten in den Reichstag. Dies war der größte Fehler, den Bismarck je gemacht hat.
Zwei Jahre immer dieselbe Fabrik In dem Walzwerk wurde nicht so viel geleistet, verdient aber ebensoviel. Ich ging bei der Nichte meines Vaters, dem Schlossereibetrieb, in Kost und ging jeden zweiten Samstag abend bis Montag früh nach Hause; bezahlte 1,30 Mark Kostgeld. Die Kost war gut im Zentrum der Stadt; unten im Keller stand eine Kuh, darüber die Schlosserei und darüber die Küche und die Wohnung. Sie hatten sechs Mädchen, einen Jungen - etwas älter als ich - und einen Lehrjungen. Der Lehrjunge war immer der Letzte, der an den Tisch kam und wenn jemand in die Werkstatt kam, war der Lehrjunge schnell unten und fertigte den ab. Er war aber der erste, der vom Tisch aufstand und abends war er in der anliegenden Metzgerei und drehte Fisch durch.
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