Teil 6

Anna von Holtzbrinck gab nach 4 Wochen auf

Damals hieß es: ein Lehrjunge, ein Rekrut und ein altes Pferd wären die ärmsten Geschöpfe. Das vierte Mädchen war nicht zu erziehen und der Vater hatte mal zu einem Bekannten, der ihn besuchte, gesagt, das müsse ein Junge sein. Nein, hatte der gesagt, das kann Dir als Mädchen genug zu schaffen machen. Kaum aus der Schule, trieb sie sich abends in dunklen Gassen herum, und wenn ihr die Schuhe weggenommen, ging sie barfuß; sie taten sie zur Erziehung ins Blaukreuz, ohne Erfolg; schon zeitig war sie schwanger von einem- selben Alters, einem Briefträgersohn, der auch wie sie veranlagt war. Sie gebar ein Mädchen, es war aber nicht hübsch und die Eltern, jetzt als Großeltern, zogen es auf.

Nach einigen Jahren ging sie ganz von zu Hause weg und trieb sich bettelnd in den Wäldern rum und kam selten nach Hause. So kam sie auch mal ca. 15 Jahre später nach mir und wollte bei uns arbeiten, weil meine Frau fast immer in unserem Geschäft zu tun hätte. Am anderen Tag kommt mein sechs Jahre älterer Bruder zufällig in unsere Küche und wie sie fleißig in der Küche hantierte, sagte er: ,,Da habt ihr aber eine tüchtige Arbeitskraft.'' Trotzdem sie schmächtig war, griff sie ihn an und warf ihn auf den Fußboden und sagte: ,,Nun habe ich dir auch gezeigt, daß ich stark bin. Er sagte nichts und ging nach Hause. Am nächsten Markttag sagte ich seiner Mutter, daß ihr Mariechen bei mir angekommen sei. Sie sagte: ,,Nimm den Knüppel und keine zwei Wochen hälst du das aus.'' Einmal wollte ich einen Sack Mais zu einem Kunden fahren und wartete auf einen, der mir half den Sack (100 kg.) auf die Fensterbank zu stellen. Da kam sie und wollte anpacken und wie ich das ablehnte, griff sie den Sack und setzte den auf einen Stuhl und vom Stuhl auf die Fensterbank und sagte, nun setz ihn auf den Wagen.

Nach einigen Tagen wollte ich auf dem Bahnhof 10 km weit meine Ware abholen und sagte ihr, wenn ich zurückkäme und sie wäre noch hier, schlüge ich sie mit dem Knüppel raus. ,,Nee'', sagte sie, ,,ich bleibe hier.'' Wie ich aber zu Hause war und den Knüppel in der Hand, reiste sie weg und fünf km weiter zu einem Bauern, der ein Vetter von ihr war, aber keine zwei Wochen behielt; dann zu einem anderen Vetter, auch nur zwei Wochen.

Nach sechs Wochen war sie wieder bei mir und sagte, sie sei vier Wochen bei den Italienern am Talsperrenbau gewesen und den dicken Bauch zeigte mir, hätten die ihr vertrieben. Ich sagte ihr, sie solle sich einmal hier satt essen, aber dann verschwinden, was sie auch tat. Sie konnte auch *.061 kg rohen Schinken in einer Tour essen.

Nun ging sie auf den adeligen Hof, den ein Fräulein von Holzbrink bewirtschaftete und weil unsere Wiesen aneinander grenzten und Heuzeit war, sagte sie mir, daß das Mariechen bei ihr arbeitete und sie sehr gut mit ihr zufrieden sei. Es sei schlecht, daß ihre Verwandten, besonders ihre Mutter, sie so schlecht behandelt hätten. Ich sagte, keine sechs Wochen hielt sie die Mariechen im Hause. Nach vier Wochen ließ sie den Kutscher anspannen und Mariechen an die sechs km entfernte Poststation bringen und die Fahrt bezahlen, daß sie wieder nach Lüdenscheid käme. Wenn sie ihre verrückte Idee bekomme, hätte keiner von den 13 Arbeitern mehr gearbeitet. Später trieb sie sich mit einem ähnlichen Burschen in den Wäldern rum.

Ihrer Tochter wurde beim Konfirmieren gesagt, daß sie die Tochter von Mariechen sei. Sie erschrak und sagte: ,,Warum habt ihr mich nicht umgebracht?'' Sie kam auf's Kontor einer größeren Fabrik und hat ihr 25jähriges Jubiläum als Buchhalterin mit sehr lobenswertem Anerkennungsbrief, den ich gelesen habe, bekommen. Von den sieben Kindern des Hauses sind nur drei verheiratet und zwei kinderlos gestorben und nur diese von Mariechen und ein Mädchen von der ältesten Tochter als Nachkommen geblieben. Drei Schwestern und die Buchhalterin leben zusammen, zwei Schwestern sind pensioniert, weil lange Verkäuferin in Kaisers Kaffeegeschäft.

In diesem Walzwerk, wo ich arbeitete, wurde auf jeder Schicht die letzte Stunde 1/4 l Schnaps getrunken, der auf Kredit geholt war und am Wochenende gesammelt und am nahen Kleinbahnhof bezahlt wurde, wobei jeder zugegen war. Dann schenkte der Wirt noch jedem 1/8 l auf der Stelle zu trinken und kaufte dann noch 1/8 Liter. Damit hatten wir dann jeder 1/2 l Branntwein getrunken. Dann gingen wir noch an drei Wirte am Schalter und hatten wir so ca. einen Liter von dem starken Lüdenscheider Nöllen-Schnaps getrunken. Einmal sagte meine Kostfrau: ,,Gestern abend rochest du aber stark nach Schnaps, du wirst dich wohl nicht daran gewöhnt haben? Man merkte dir ja nichts an.'' Ich erzählte wie das war und machte nicht gern eine Ausnahme.

Nach einem Jahr mußte ich zu hause bleiben und den Stall mit acht Kühen übernehmen. Ich war immer ein großer Tierfreund und wenn meine Geschwister große Hochzeit hatten, blieb ich gern allein zu Hause und versorgte das Vieh und wenn die dann morgens aufstanden, hatte ich ihnen einen hohen Teller voll Reibekuchen gebacken.

AKTIVER MILITAERDIENST
(im Original-Buch sind wir hier auf Seite 25 von 121 Seiten angekommen)
Nach diesem Jahr ging ich wieder mit meinem Bruder nach dem früheren Walzwerk. Ich kam wieder als Walzer aber in die alte Walze und im Sommer bei knapper Wasserkraft fuhr ich Bleche nach Lüdenscheid ins Nebenwerk (15 km) und bekam eine Mark extra als Reisekosten, auch manchmal in die Rahmede dann über Altena zurück und kam erst 9 Uhr abends zurück; bekam 1 1/4 Tag gerechnet und 2 Mark Fahrtunkosten bezahlt.

Militärzeit: Mit 20 Jahren kam ich zum Militär und wollte beim Militär bleiben, aber wie ich die Ungerechtigkeit sah, hatte ich keine Lust mehr.


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