Quelle: ST (Süderländer Tageblatt) vom 20.03.1986

Peter Caspar Carl Bröcker - ein Eigenbrödler und Zeitgeist

"Tüftler und Querulant" aus Elsen mit Geschäftssinn lebte zeitweise in Argentinien - "Memoiren eines 84jährigen" im Mauerwerk

Plettenberg/Herscheid-Elsen. (mg) "Nein, beliebt war der Mann weiß Gott nicht in Elsen", beteuert Landwirt Manfred Graewe aus dem kleinen Dorf in der Nähe von Herscheid. Die Rede ist von Peter Caspar Carl Bröcker, der, 1873 geboren, über die Grenzen der Ortschaft hinaus für Schlagzeilen sorgte. Im dauernden Clinch lebte der Eigenbrödler mit seinen wenigen Nachbarn - die Ortschaft zählte um die Jahrhundertwende nicht mehr als 50 Einwohner. Aufsehen und Gesprächsstoff lieferte der unbequeme Quergeist durch seinen Lebenswandel, seine Art, wie er seiner Familie, den Ämtern und den Nachbarn zusetzte.

Beim Stichwort "Bröcker" kommt Manfred Graewe unweigerlich ins Erzählen. Ein ganzer Redeschwall sprudelt aus ihm heraus, obwohl er den frühen Zeitgenossen nicht mehr leibhaftig erlebt hat. Doch die eine oder andere Geschichte, die das "Original aus Elsen" charakterisieren, schnappte er bei seinen Eltern und Großeltern auf. Sie waren sozusagen Zeitzeugen und erzählten so manches interessante Anekdötchen, das sich damals in der kleinen Seelengemeinde zugetragen hat.

Unweit von seinem jetzigen Haus lebte die Familie Bröcker mit drei Kindern, einem Sohn und zwei Töchtern, wobei Manfred Graewe auf ein weiß gekälktes Nachbarhaus zeigt, das 50 Meter weiter an sein Grundstück grenzt. Dort führte der Bröcker neben der Landwirtschaft auch ein kleines Lebensmittelgeschäft.


Anzeige im Süderländer Wochenblatt vom Juli 1907

Eine Kuh, ein Schaf, eine Ziege und ein paar Hühner waren der ganze Stolz des Mannes. Dumm war der Bröcker keineswegs. Für seine Hühner baute er beispielsweise einen ganz besonderen Stall, um die Eierqualität zu steigern. Er hob ein tiefes Erdloch aus und deckte das ganze mit Stroh ab. Das ganze Jahr über hauste das Gefieder in dem dunklen Erdstall und legte tatsächlich die schmackhaftesten Eier, weiß Manfred Graewe zu berichten. Ist ja eigentlich auch klar, fährt er fort:"In der Erdmulde herrscht unabhängig von der Jahreszeit ein gleichbleibendes Klima, das sich auf die Eier positiv auswirkt.

Auf dem Plettenberger und Lüdenscheider Wochenmarkt bot er anschließend seine Ware feil. Eine besondere Spezialität waren auch seine Hühner. Die Leute rissen sich auf dem Markt geradezu um das tote Gefieder, weil sie mit ihren Köpfen besser aussahen, als die Kopflosen vom Konkurrenten. Schauerhaft, aber wahr soll die Geschichte sein, die man sich in diesem Zusammenhang erzählte: Eigens für die Hühner soll der Tüftler einen Iltis gehalten haben, der den Tieren das Blut aussaugte. So konnte das Geflügel mit den schmückenden Köpfen an den Kunden gebracht werden.

Eine amüsante Anekdote aus dem kleinen Lebensmittelladen hat Manfred Graewe ebenfalls parat: Zur damaligen Zeit wurden alle Waren noch lose verkauft. Salz, Zucker, Mehl und Rübenkraut lagerten noch in großen Fässern im Geschäft. Verschlossen waren die Behälter mit einem lose aufliegenden Holzdeckel. Plötzlich beginnt der Landwirt zu schmunzeln: "Es hört sich zwar unwahrscheinlich an, doch es entspricht den Tatsachen - schade, daß keiner mehr lebt, der das bezeugen könnte: Eines Tages sprang die einzige Ziege von Bröcker auf das Rübenkrautfaß. Der Deckel rutschte beiseite und das Tier fiel in den Bottich. Doch unbeeindruckt von dieser Misere zeigte Bröcker seinen ausgeprägten Geschäftssinn. Er streifte das Fell der Ziege sauber, mischte das gesammelte Rübenkraut unter die einwandfreie Ware und verkaufte es, als sei nichts gewesen.

Auch als Unternehmer hatte sich der Mann damals schon einen Namen gemacht. Als die Wasserleitung in Elsen gelegt werden sollte, beteiligte er sich an der Ausschreibung. Schließlich bekam der Bröcker des Zuschlag mit der Verpflichtung, beim Bau ausschließlich Gußrohre zu verwenden. Was tat der Mann: Er legte Stahlrohre ins Erdreich, die schon nach einigen Jahren verstopft waren. Aber das Geld ließ er sich für Gußrohre bezahlen. Mit diesem erwirtschafteten Gewinn finanzierte er seinen Anbau, wo er eine Gaststätte einrichten wollte. Doch so weit kam es nicht, weil ihm die Verwaltung die Konzession verweigerte. Angeblich, so Manfred Graewe, war sie hinter den Bauschwindel gekommen.

Schließlich floh Peter Caspar Carl Bröcker nach Argentinien. Er wollte sich von seiner Familie trennen. Um die Überfahrt zu finanzieren, arbeitete er als Heizer auf dem Schiff. Dort unten angekommen, stampfte er in wenigen Jahren ein Hotel aus dem Boden. Einige Jahre später reiste die Familie nach. Also wurde ihm das Land zu klein. Er setzte sich ab nach Deutschland und landete wieder in Elsen. Jahre später erst verkaufte er sein Haus und kehrte nach Argentinien zurück.

Die Eltern von Manfred Graewe kauften 1957 das Haus von P. C. C. Bröcker, das einen kleinen Schatz verborgen hielt. "Alle wußten es", erzählt Manfred Graewe, "daß der alte Mann in der Hausmauer versteckt, hinter einer Marmorplatte, etwas deponiert hatte". Manfred Graewe lüftete das Geheimnis und zum Vorschein kam ein Schnellhefter mit den gesammelten Aufzeichnungen des alten Bröcker. Bis ins kleinste Detail hatte er dort sein Leben niedergeschrieben.

In den folgenden Ausgaben wird die Heimatzeitung die Memoiren unter dem Titel "Wahre Ansichten, Erfahrungen und Lehren eines 84jährigen" veröffentlichen. Heute beginnen wir mit der 1. Folge:

"Die Kindheit"
Bis zum 14. Lebensjahr
Als sechstes Kind (von insgesamt acht) wurde ich am 2. August 1873 geboren in Cöbbinghausen/Sauerland, Westfalen - und am 16. August auf den Namen Peter Caspar Carl Bröcker evangelisch getauft von Pastor Klein im Elternhaus zusammen mit einem Nachbarsjungen (Carl Waier) kostenlos, weil beide Eltern arm waren.

Mein Vater hatte noch zwei ältere Brüder und zwei ältere Schwestern, war aber der einzige, der zu den drei Kriegen 1864, 1866 und 1870 eingezogen worden war und auch aktiv in Luxemburg gedient hatte. Ohne die Eisenbahn hatte er drei Wochen zu Fuss gebraucht, um dorthin zu kommen.

Auch ich war der einzige der Familie (5 Jungen), der im Ersten Weltkrieg insgesamt 3 Jahre und 5 Monate (immer an der Westfront) mitgemacht hatte. Auch mein Sohn - und auch dessen Sohn - heißt Peter Caspar Carl, und als der vor 3 Jahren geboren wurde, war ich über 80 und sein Vater über 40 Jahre alt.

Alle drei "Peter Caspar Carl" Bröcker sind bis jetzt gesund und kräftig gewesen und brauchten keinen Arzt und keine Apotheke. Mein Vater starb, über 80 Jahre alt, weil er über zwei Stunden auf einem Pferdekarren im kalten Herbstregen von seinem Neffen abgeholt wurde, innerhalb 8 Tagen und keines seiner Kinder hat ihn in der Zeit gesehen. Mein Großvater starb mit 77 Jahren, ich war noch keine vier Jahre alt, aber ich würde ihn heute noch unter vielen erkennen.

Meine Eltern stammten von größeren Gütern der Umgegend und zwar der Vater von dem Hof Rode von Böddinghausen an der Lenne. Da die durch den Bau der Eisenbahn in den 1840er Jahren einen Teil ihrer Wiesen abgeben mußten, und die Bahn zwei größere Brückenbauten sparen konnte, und auch der jetzige Bahnhof Plettenberg auf den ehemaligen Grundstücken steht, wurden sie sehr gut entschädigt. Seine Mutter, meine Großmutter, stammte von dem Hof Beisenkamp. Leider starb ihr Mann früh und sie mußte die Hälfte ihres Vermögens an ihre Kinder auszahlen. Und so bekam mein Vater schon als Junge von 15 Jahren 2.500 Taler angewiesen und führte seitdem ein leichtes Leben: im Sommer als Hofgänger bei der Mutter, im Winter ging er mit dem Schuhmacher Wensing auf den Bauernhöfen Schuhe machen, wobei es reichlich Branntwein gab und abends oft getanzt wurde.

Zum Militär eingezogen wurde er Bursche beim Hauptmann und arbeitete auch als Koch, wenn die Köchin fehlte. Der Hauptmann bekam 140 Taler (420 Mark) und lieh häufig Geld von meinem Vater, weil er am Ende des Monats nicht auskam. Die beiden lebten zusammen wie Kameraden.

Die Mutter meiner Mutter starb früh und hinterließ vier Kinder, von denen meine Mutter und ihr jüngerer Bruder ihre Mutter nicht gekannt haben; auch ihr Vater mußte jedem Kind 1.200 Taler auszahlen. Diese Großmutter stammte von dem reichsten Hof der Umgegend und es waren die arbeitsamsten und frömmsten Leute. Alle Sonn- und Feiertage ging's (1 Stunde zu Fuss) in die Kirche und nur eines oder zwei der Kinder blieb zu Hause und einer las während des Gottesdienstes laut aus der Bibel, den man 20 Meter weit auf der Straße verstehen konnte.

Der Vater meiner Mutter wurde 77 Jahre alt. Er hatte einen kleineren Hof. Da aber in der Nähe die Bahn gebaut wurde, und die Industrie sich entwickelte, und er ohne fremde Hilfe mit seinen vier Kindern arbeitete, war seine Lage gut.

Einmal abends spät gab es ein sehr schweres Gewitter mit Hagelschlag, daß kein Blatt auf den Bäumen blieb und die Vögel tot unter den Bäumen lagen. Am anderen Morgen stehen die vier Kinder vor seinem Bett und erzählen ihm den Vorgang. Er sagte: "Ich hab's gesehen; aber was Gott tut, daß ist wohlgetan."

Die Schule war ca. 3 km weit, aber meine Mutter konnte nicht einmal ihren eigenen Namen schreiben und machte stattdessen drei Kreuze, und meinen Vater habe ich nie schreiben gesehen. Mein Vater war 28 und meine Mutter 27 Jahre alt, als sie heirateten. Sie kauften sich eine Besitzung, 2 bis 3 Milchkühe und einen Zugochsen, und der Vater machte Hausschlachtung bei den anderen. Aber bei so vielen Kindern war häufig kein Geld im Hause. Jeden Sonntag wurde ein Semmel zu 30 Pfennig gekauft, und nur der Jüngste bekam den Knapp (Abschnitt); der Semmel mußte die ganze Woche ausreichen für eventuellen Besuch oder Krankheit oder für die Eltern.

Wir bekamen grobes Schwarzbrot aus eigener Ernte, im eigenen Backofen alle Monate einmal gebacken. Wenn's auch verschimmelte - dann hieß es: "Das gibt klare Augen!". Und wenn das Brot nach 3 Stunden aus dem heißen Backofen war, kam Hafer zum Dörren hinein, aber auch diese in einer Mühle hergestellte Grütze war sehr bitter. Es hieß: "Was bitter ist in dem Mund, ist dem Magen gesund!". Auf dem Schwarzbrot hatte man Schmalz oder Rübenkraut, selten Butter oder Eier, weil die verkauft wurden.


Fortsetzung