Der Vater der Siedlung - Walther Brockhaus - überraschend verstorben Von Arnold Kruse ( Kleinsiedler)
II. Folge
Nun konnten wieder neue Arbeiten in Angriff genommen werden. Zum Ausbau des jetzt
errichteten Fachwerks wurden Leichbauplatten verwendet, welche von innen und außen
an die Holzbalken mit besonderen Nägeln befestigt wurden. Dadurch haben die Außenwände
einen Luftraum von ca. 12 cm erhalten. Die Platten sind aus Holzfasern unter
Beimischung anderer Produkte maschinell fest zusammengepreßt, 2 mtr. lang, 50 cm
breit und 2 1/2 cm stark. Zu dieser Leichtbauweise wurde geschritten, weil
1. Ziegelsteinbau nach den vorhandenen Mitteln nicht möglich war und 2. weil wir
als Unkundige kein Außenmauerwerk vorschriftsmäßig hochziehen konnten.
Zwar wurde die Bauweise allerseits mit sehr kritischen Augen beobachtet, war doch
diese Bauweise für unsere Gegend gans Neues. Durch die Bauleitung damit vertraut
gemacht, ließen wir uns durch nichts beirren und arbeiteten flott voran. Würde der
Ausbau der Wände mit Steinen zwischen den Platten nach Ansicht von Fachkreisen
erforderlich gewesen sein, so hätte uns die Amtsverwaltung sofort die nötigen Steine
zur Verfügung gestellt; aber nach eingehenden Erkundigungen wurden wir von der Haltbarkeit
der begonnenen Bauweise überzeugt. Das Benageln bzw. Bekleiden des Fachwerkes mit den
großen Platten ging sehr schnell vonstatten, so daß bald an den ersten Häusern alle
Wände fertig waren. Die Dächer wurden spaliert und in lustigem Tempo unter viel Humor
mit Dachziegeln versehen. Hier hat uns unserer Werkskamerad Arthur Muntsch als Fachmann,
(gelernter Dachdecker) sehr wertvolle Dienste geleistet.
Inzwischen waren unsere Maurer tüchtig dabei, die Innenwände und Schornsteine hochzumauern.
Als dann der erste Schornstein zum Dach herauslugte, da waren wir alle voll Stolz und
Freude, sah die Sache doch jetzt richtig nach einem Haus aus.
Es war ein schöner sonniger Tag, als wir dann die anderen Häuser richten konnten. An
diesem Tage bereitete die Firma ihrer Belegschaft ein Waldfest, dabei wurden wir aber
nicht vergessen, denn infolge der dringenden Arbeit konnten wir nicht teilnehmen. So
erhielten wir dann unser Freibier, Erbsensuppe mit Wurst und für unsere Frauen Kaffee
und Gebäck herauf zur Siedlung; so konnten wir auch teilhaben an den Freuden unserer
Werkskameraden.
Nach ungefähr 14 Tagen waren die Außenwände aller Häuser hergestellt, die Dächer mit
den roten Ziegeln gedeckt. Mit Stolz und Freude schauten wir zurück auf den Erfolg
unserer mühevollen Arbeit, welche doch bald belohnt werden sollte. Alle Kräfte
mußten auf's alleräußerste angespannt werden, wenn wir noch vor dem Winter unsere
Heime beziehen wollten, und das war unser sehnlichster Wunsch. Es war zwar sozusagen
undenkbar, da noch ungeheure Arbeit zu leisten war und wir uns bereits schon am Ende
des Monats August befanden.
Nachdem unsere Arbeiten nun soweit gediehen waren, wünschten wir inzwischen alle zu
wissen, welches der einelnen Häuser jedem gehören sollte. Nachdem wir uns verpflichtet
hatten, wie bisher in bestem Einvernehmen untereinander die Arbeiten gemeinsam bis zur
gänzlichen Vollendung der Häuser weiter zu verrichten, erwirkte das Amt die sofortige
Verlosung. Ein unvergeßlicher Tag in unserm Leben! Die Verlosung wurde in Gegenwart
und unter Beteiligung der Herren Bürgermeister Wahle, Gemeindeschulze Zimmermann und
Fabrikant Walther Brockhaus vorgenommen. Zu diesem Zweck waren wir alle auf dem Büro
der Firma Brockhaus Söhne erschienen. Es wurden von den genannten Herren 11 Zettel mit
den Hausnummern 17 - 27 versehen, desgleichen 11 mit den Namen der einzelnen Siedler.
Diese wurden dann getrennt in Briefumschläge gelegt. Die die Nummern und Namen
enthaltenen Umschläge wurden, jeder Pack für sich, gemischt und danach auf dem Tisch
ausgebreitet. Der Bürgermeister griff wahllos je einen Briefumschlag mit den Namen
und den Hausnummern, überreichte beide dem Siedlerführer, welcher sie öffnete, den
betreffenden Namen und die dazugehörige Nummer laut vorlas und dem glückstrahlenden
Siedler überreichte. Nachdem wir alle die einwandfreie Verlosung bestätigt hatten und
die nochmalige Versicherung abgaben, auch weiterhin treu zusammenzuarbeiten, zogen wir
schnell zur Baustelle und besahen mit Überlegung und Ruhe unser Heim.
Tags darauf, ein Samstag, beteiligten wir Siedler uns an einer "Fahrt ins Blaue",
welche uns für Samstag und Sonntag nach Bielefeld führte. Diese Ausspannung verdanken
wir Herrn Brockhaus, welcher uns Freikarten für die Fahrt einschließlich Verpflegung
zur Verfügung stellte. Nach diesem Ausruhen konnten wir dann mit frischer Kraft unsere
Arbeiten weiter verrichten.
Für 2 kinderreiche Familien waren im Obergeschoß zwei weitere Zimmer auszubauen, während
es zu gleicher Zeit mit Hochdruck an die Fertigstellung der Schutzdecken ging. Mit
Rollwagen wurde Lehm herbeigeschafft, welcher gründlich mit Wasser vermengt, durch eine
Triele eimerweise hochgezogen wurde. Dort strichen wir denselben ca. 10 cm dick auf
die Schutzdeckenbretter auf. Dieses war besonders bei Regenwetter eine sehr schöne,
saubere Arbeit, da sahen wir dann oft aus wie aus dem Lehmbrei gezogene Pudel.
Eines guten Tages kam wieder, wie so oft während der Bauzeit, unser väterlicher Freund
Walther Brockhaus dazu, und da es uns an Hilfskräften fehlte, faßte er sofort herzhaft
mit zu und half an der Triele die Eimer hochzuziehen, worüber wir nicht wenig erstaunt
und erfreut waren. Er achtete den Schmutz und die ermüdende Arbeit nicht. Wir werden
ihm dieses nie vergessen.
Nun rückten auch für uns die schwierigsten Probleme heran. Der Innen- und Außenputz der
Häuser mußte vorgenommen, die Fußböden gelegt werden, Fenster und Türen mußten eingesetzt
werden. Doch wie und bis wann wollten wir dieses bewältigen?
Wir alle waren uns darüber
im klaren, daß wir diese Arbeiten unbedingt durch Fachleute ausführen lassen mußten, wenn
dieselben vernünftig und schnell vorangehen sollten.
Mit sorgenvollen Häuptern sahen wir
in die Zukunft, mancher unter uns hat dieserhalb einige Nächte kaum Ruhe finden können -
und doch wurde dieses Problem in kurzer Zeit ganz ausgezeichnet gelöst. Nach eingehender
Aussprache des Siedlerführers mit dem Amte und den Herren Fabrikanten Walther und später
auch Julius Brockhaus, erklärten dieselben sich in großmütiger Weise wiederum bereit, uns
behilflich zu sein. Auf Veranlassung des Bürgermeisters erhielten wir zu günstigen
Bedingungen durch die Sparkasse des Amtes Plettenberg im ganzen ca. RM 3.500,- Darlehen
bewilligt, nachdem genannte Herren die Bürgschaft übernommen hatten. Dankbaren Herzens
erinnern wir uns dieses großen Entgegenkommens, welches uns von dieser, wohl für uns
allerschwerste Last befreit hat.
Für uns war nun doch die bestimmte Aussicht vorhanden, bis Ende des Jahres unsere Häuser
beziehen zu können. Sofort vergaben wir die gesamten Putzarbeiten an den Unternehmer W.
Kraus und bald rückte derselbe mit Gerüsthölzern und Facharbeitern heran. Für den
Innenputz haben wir Siedler die Handlangerdienste und den Gerüstbau übernommen.
In der ersten Zeit hat mancher von uns unter der Last des Speisvogelschleppens geächzt,
da dieses eine für uns alle ganz ungewohnte Arbeit war. Ebenfalls hat uns die
Herstellung der Heuspeismischung im Anfang viel Kummer bereitet. Bald waren wir aber
auch an diese Arbeiten gewöhnt.
Nachdem der größte Teil der Häuser im Innenputz fertig war, mußten wir auch die Schreiner-
und Zimmerarbeiten beginnen lassen, da vor allen Dingen die Fenster vor dem Außenputz
eingesetzt sein mußten. Nachdem Herr Julius Brockhaus sich bereit erklärt hatte, die
Kosten für diese Facharbeiten für uns auszulegen, beauftragten wir hiermit einen
Handwerksmeister aus Plettenberg. Nach einigen Tagen hatte derselbe etwa 3 Bauten mit
Fensterrahmen versehen, welches den Häusern gleich ein viel vollendeteres Aussehen gab.
Mitten in dieser Arbeit, Freitag mittag, den 28. September, traf uns ganz unerwartet die
niederschmetternde Nachricht, daß unser Chef, Herr Fabrikant Walther Brockhaus, auf dem
Büro einen Schlaganfall erlitten habe. Wir konnten es nicht fassen und wollten es nicht
glauben, daß wir ihn so schnell verlieren sollten, doch das Unerwartete trat ein, indem
er noch in der Nacht verschied.
Nun wurde es uns allen erst recht klar, was uns Walther Brockhaus gewesen ist, sei es
im Betriebe oder im Privatleben, aber besonders für unsere Siedlung. Wie manche kostbare
Zeit hatte er für uns geopfert, wie oft stand er uns mit Rat und Tat oder mit aufmunternden
Worten zur Seite. So recht aus unseren Herzen kommend, erklärte bei späterer Gelegenheit
der Bürgermeister: Er war der Vater der Siedlung! Möchten seine Taten bei uns allen in
starker Erinnerung bleiben.
Das Versprechen seines Bruders, des Herrn Julius Brockhaus, uns im Sinne des Verstorbenen
weiterhin zur Seite zu stehen, wurde über alles Erwarten erfüllt. Wir fanden bei ihm, und
auch bei Herrn Werner Brockhaus, immer Verständnis für unsere Belange.
Eifrigst darauf bedacht, daß wir noch rechtzeitig unsere Häuser beziehen konnten, stellte
uns Herr Julius Brockkaus von den Werksarbeitern bis zur Beendigung der betreffenden
Arbeiten, zwei Zimmerleute zur Verfügung. Diese arbeiteten nun gemeinschaftlich mit dem
von uns angestellten Handwerksmeister. Die Kosten dieser beiden Leute in Höhe von
525 Rmk. wurden uns von Herrn Julius Brockhaus geschenkt, ebenfalls legte er den Betrag
für den Handwerksmeister in Höhe von 493 Rmk. für uns aus, welchen wir später nach
gegebener Möglichkeit zurückzahlen können.
Nach diesen Regelungen machten die Schreiner- sowie die Außenputzarbeiten bald sichtbare
Fortschritte. Wir selbst hatten noch außerordentlich viel Arbeit zu leisten, mußten doch
die Platten, da, wo sie aneinander kamen, vor dem Verputz von innen und außen mittels
Zementmörtel mit Leinwandstreifen verklebt werden, so daß die Wände ein großes Ganzes
bildeten. Bei den meisten Häusern mußte rundherum noch mehr ausgeschachtet werden, damit
für die Mauern genügend Platz zum Verputzen der Kellersockel vorhanden war. Außerdem waren
Abflüsse zu schaffen, um sich ansammelndes oder bereits bei etlichen Häusern vorgefundenes
fließendes Wasser, nach der Straße leiten zu können. Wir wollen uns nicht der Gefahr
aussetzen, später unsere Kellerräume dauernd unter Wasser zu haben. Dann mußten die
Jauchegruben ausgeworfen, gemauert und mit einer Betondecke versehen werden. Für die
Abflüsse mußten Gräben gezogen und Rohre gelegt werden, Treppenstufen mußten hergestellt
werden und noch manches andere blieb für uns zu tun.
Dazu wurden die Tage immer kürzer und wir aufgeregter. Noch war eine Reihe Häuser zu
verputzen, da setzte ungünstiges Wetter ein, es gab viel Regen und zum Teil schon Schnee
und leichten Frost, so daß die Maurer oft in ihrer Arbeit unterbrochen wurden. Wie eine
Katze saß dann alles auf der Lauer, um sich bei Beruhigung des Wetters sofort wieder auf
die Arbeit stürzen zu können, denn wir sollten und mußten fertig sein, ehe der eigentliche
Frost auftrat; und doch sah es aus, als müßten wir die letzten drei Häuser den Winter über
liegen lassen.
Mit größter Spannung wurde unsere Arbeit allseitig beobachtet, wir waren selbst auf das
höchste gespannt, ob uns das Werk doch noch gelingen würde. Zwei weitere Häuser waren
inzwischen mit Müh' und Not gefertigt worden, da trat starker Schneefall und anschließend
Frost ein. Sollte unser Wunsch doch nicht in Erfüllung gehen, mußte tatsächlich das Haus
eines Siedlers unfertig stehen bleiben?
Wir waren zum größten Teil sehr niedergeschlagen und konnten uns sehr gut in die Gefühle
des betroffenen Kameraden versetzen. Die Fenster und Haustüren waren bereits alle eingesetzt
und verglast, die Fußböden gelegt, wir fingen an, die Zimmertüren einzusetzen. Da trat zu
unser aller Freude für etwa 14 Tage mildes Wetter ein. Wir alle atmeten auf und schnell war
auch das letzte Haus verputzt. Nun hatten wir gewonnenes Spiel und unsere Mühe wurde belohnt.
Wir hatten die feste Überzeugung, Mitte November einziehen zu können. Die Kellerarbeiten
wie Wände verputzen, Betonieren der Kellerfußböden, Einteilung und Ausbau des Stallinneren,
sowie Wasserleitung legen, waren größtenteils erledigt.
Nachdem inzwischen die Schreinerarbeiten alle ausgeführt worden waren, erhielten wir nun
auch unsere elektrische Anlage; so war es dann für uns alle eine große Freude, das erste
Mal unsere Heime beleuchtet zu sehen, besonders vom Werk oder vom Berge aus gesehen ein
schönes neues Bild. Auch der Anstreicher hatte jetzt ein großes Arbeitsfeld und mußte allen
Fleiß anwenden, um uns möglichst schnell zufrieden zu stellen. So rückte derselbe bald mit
einigen Gehilfen heran und in ununterbrochener Tätigkeit richtete er die Innenausstattung
mit viel Geschmack her.
Durch Herrn Brockhaus waren uns für drei Zimmer je Haus die Tapeten geschenkt worden, eine
recht schöne Beihilfe, da wir alles andere außer Leinöl, selbst bezahlen mußten.
So war es bald Ende November geworden und ein Haus nach dem anderen wurde bezugsfertig.
Wie Kinder freuten wir uns alle auf die Umsiedlung in unser selbsterbautes Heim, welches
uns gerade durch alles vorher beim Aufbau Erlebte so unendlich wertvoll geworden war. Es
gab hier und dort noch etwas herzurichten und siehe, am 24. November konnte mit dem Einzug
begonnen werden, und am 1. Dezember saßen alle Siedler überglücklich und zufrieden in ihren
Nestern.
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