Entstehung und Aufbau der vorstädtischen Kleinsiedlung in Kückelheim Von Arnold Kruse ( Kleinsiedler) Schon vor Jahren hörten wir von Eigenheimbauten, welche in anderen Gegenden errichtet wurden. Dies weckte bei vielen Volksgenossen unserer Ortschaft den Wunsch, sich auch auf diesem Wege ein eigenes Heim zu schaffen. Hoffnung jedoch hatten wir wenig, da die Anteilnahme, vor allem der Amtsverwaltung, für diesen Zweck nicht zu wecken war, und wir ohne öffentliche Hilfe keine Möglichkeit ausfindig machen konnten, um ans Werk zu gehen. |
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Im Jahre 1933 übernahm mit dem nationalsozialistischen Umsturz Herr Engelbert Wahle aus
Altena die Geschäfte der Verwaltung und wurde bald darauf als Amtsbürgermeister eingesetzt.
Im Sommer 1933 schon wurden plötzlich durch Anschlag in unserem Werk Bauanwärter für
vorstädtische Kleinsiedlungen (Kurzarbeitersiedlung) am "Markenbrauk", gesucht.
Das kam uns überraschend und ließ unsere Herzen schneller schlagen. Jetzt sollte unser
sehnlichster Wunsch, ein Eigenheim zu besitzen, nun doch in Erfüllung gehen. Die Anteilnahme
war sehr groß, da sich etwa 40 Volksgenossen meldeten.
Aber Dank der unermüdlichen Bemühung und Einsatzbereitschaft unseres Amtsbürgermeisters
in Gemeinschaft mit unserem Betriebsführer Walther Brockhaus gelang das große Werk, die
Errichtung einer Siedlung, finanziert mit Reichsdarlehn und betreut durch die Westfälische
Heimstätte, Dortmund.
12 Häuser sollen entstehen, davon 11 in Kückelheim. Als Siedler werden ausgewählt die
Kurzarbeiter: 1. Wilhelm Koch, 2. Fritz Riedesel, 3. Peter Blumenauer, 4. Karl Dopatka,
5. Oskar Freyer, 6. Erich Breitenstein, 7. Albert Groll, 8. Wilhelm Seuster, 9. Johann
Hoffmann, 10. August Baberg, 11. Arnold Kruse.
Es handelt sich um eine Kurzarbeitersiedlung, welche von den Siedlern selbst auszubauen ist.
In einer Versammlung im Büro der Firma Brockhaus wurden uns durch die Herren Bürgermeister Wahle, Fabrikant Walther Brockhaus und Baumeister Schulte die Richtlinien für die Herstellung der Häuser, die Bauart, die Kosten usw. wie folgt klargelegt:
Die Siedler haben wöchentlich mindestens drei Tage unter Aufsicht der ausführenden Baufirma, welche zur Hilfeleistung einen Polier stellt, alle Arbeiten gemeinschaftlich auszuführen. Die gesamten Materiallieferungen liegen in den Händen des Bauunternehmers.
Die Häuser sind je mit 3.200 Reichsmark ausschließlich des Baugrundstückes veranschlagt. Der Staat gewährt ein Reichsdarlehn von je 2.500 Reichsmark. Ein weiteres Darlehn von je 850 Reichsmark besorgt bzw. gewährt die Westfälische Heimstätte.
Der Preis des Baugrundstückes, das durchschnittlich 90 Quadratruten groß ist, wird als
Hypothek mit durchschnittlich je 875 Reichsmark belassen. Die Grundstücke werden seitens
der Firma Brockhaus Söhne dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Für die kinderreichen
Familien gewährt das Reich Zusatzdarlehn zum Ausbau der Dachkammern. Im Grundgeschoß sind
drei Zimmer vorgesehen.
Zunächst findet sich trotz aller Bemühung der Amtsverwaltung kein Unternehmer, welcher die
Ausführung der Bauten als Einfamilienhäuser zu den gestellten Bedingungen und dem gedachten
Preis wohnfertig übernimmt. Wir werden daraufhin vor folgende Fragen gestellt:
Es können Einzelhäuser, ohne Wasser, Licht, Material für Wandputz, Kellerputz und
Verschiedenes erstellt werden. Dagegen ist es möglich, Doppelhäuser schlüsselfertig
herzustellen. Wir entschieden uns alle für Einfamilienhäuser, wollen uns lieber behelfen
und die Arbeiten mit den Jahren nach und nach herstellen.
Dank der durchgreifenden Hilfe des Bürgermeisters gemeinsam mit unserem Chef, Walther
Brockhaus, welche sich mit größter Entschiedenheit um diese Angelegenheit bemühten, wurden
alsdann doch noch Wege gefunden, welche auch die schlüsselfertige Herstellung der Einzelhäuser
ermöglichten.
In sehr ernsten Worten wurde vor Beginn der Bauten darauf hingewiesen, daß für die Bauzeit
ungeheure Energie unter Einsatz der ganzen Kraft für jeden einzelnen Siedler erforderlich
sei, wenn das Werk gelingen soll. Die Häuser werden erst kurz vor der Fertigstellung
verlost. Bis dahin weiß niemand, welches Haus sein Eigentum wird.
Diese Maßnahme ist erforderlich und von der Westfälischen Heimstätte vorgeschrieben, damit
keine Schwierigkeiten in der gemeinsamen Arbeit entstehen, bzw. keine Bevorzugung eines
einzelnen Hauses erfolgt und die Vollendung infrage stellt.
Nach weiteren Anstrengungen der Amtsverwaltung gelingt es endlich, den Bauunternehmer
W. Kraus in Böddinghausen zur Übernahme der Ausführung der Bauten zu bewegen.
Am 17. November 1933 geht es mit vereinten Kräften unter Hilfe Freiwilliger voller Mut und
Hoffnung ans Werk. Erst sind die 11 Bauplätze auszuschachten. Eine außerordentlich schwere
Arbeit, wie wir sie uns nicht vorgestellt hatten, da der Boden zum Teil sehr steinig und
tonartig war.
Es treten bald große Schneegestöber und grimmige Kälte auf. Wir wollen uns aber so schnell
nicht unterkriegen lassen und arbeiten Tag für Tag einige Stunden den glashart gefrorenen
Boden los, zuletzt nur mit Vorhammer, Brecheisen und Steinmeißel.
Der Gewalt der Natur jedoch müssen wir nach zähem Kampf Anfang Dezember weichen und die
Arbeiten, nachdem wir vier Plätze ausgeschachtet hatten, einstellen.
Endlich, am 1. März 1934, können die Arbeiten wieder beginnen! Mit "Hurra" geht es ans Werk,
oft tagelang in strömendem Regen, durchnäßt bis auf die Haut. Später brannte uns bald die
Sonne schwer auf die Schultern.
Wir stellten außerordentlich hohe Anforderungen an unseren Körper, denn 7 bis 8 Stunden
wurden täglich auf dem Werk gearbeitet, daran anschließend nutzten wir die Zeit bis aufs
Äußerste an der Siedlung aus - je nach Länge der Tage 4 bis 6 Stunden.
Damit den ganzen Tag eine Gruppe hier beschäftigt war, arbeitete die Hälfte der Siedler
morgens schon ganz früh und die andere nachmittags bis spät auf dem Werk. Aus Kurzarbeitern
waren nämlich inzwischen gottlob wieder Vollarbeiter geworden.
Auf dem Baugelände legten wir uns Feldbahngleise für den Transport des Bodens und der
Materialien. Da ging es dann lustig hin und her, mancher Wagen entgleiste, fiel auch
mal beladen die Böschung herab; das gab dann lange und auch lustige Gesichter.
Da alle Materialien von der Straße aus zu den hochgelegenen Häusern geschafft werden mußten,
legten wir einen Schienenstrang direkt steil an der Böschung herauf und hatten so, mittels
einer Drehscheibe, Anschluß nach links und rechts die ganze Häuserreihe entlang. Durch
eine Winde wurde dann der schwer beladene Rollwagen von vier Mann unter anstrengender
Arbeit die Böschung heraufgezogen.
Da kam, wie so oft, unser Herr Walther Brockhaus, sah sich die Sache kopfschüttelnd an und
nach kurzem Überlegen war auch schon sein Plan fertig, der uns für die ganze Bauzeit
unendliche Hilfe brachte:
Er ließ einen abgesetzten Personenwagen (Auto) umbauen, mit Antriebscheibe und Riemen
versehen und hoch am Berge fest aufmontieren.
Mit höchster Spannung wartete alles auf den Augenblick, wo der Motor seine Kräfte entwickeln
sollte, und er tat es. Spielend und schnell, unter weithin vernehmbarem Geräusch, zog der
Motor den vollbeladenen Rollwagen die Böschung herauf. Es war ein Aufatmen unter uns, denn
für uns bedeutete dieses eine gewaltige Zeit- und Kraftersparnis, da wir jeden einzelnen
Mann für andere Arbeiten dringend nötig hatten.
Die nächste Arbeit war die Einschalung der Kellersockel, und bald ging es mit Hochdruck
an das Einstampfen des Betons. Mancher Arbeitskollege hat hier, nachdem er auf dem Werk
Feierabend hatte, seine Kraft für uns freiwillig und kameradschaftlich mit eingesetzt
und viel Schweiß verloren. Denn viele Kräfte waren nötig, wenn die Sache schnell gehen
sollte. Da war auf der Straße der Beton zu mischen, dann zur einzelnen Baustelle zu
transportieren, einzuwerfen und zu stampfen. Einer spornte den anderen zu immer größerer
Leistung an.
Zur Verbilligung der Bauten stellte der Amtsbürgermeister vorsorglich aus einem Abbruch
erworbene Ziegelsteine für den Bau der Zimmerwandungen usw. billigst zur Verfügung. Von
diesen Ziegeln mußte der alte Mörtel abgeschlagen werden. Einen Teil hatte die
Amtsverwaltung bereits reinigen lassen. An dieser Arbeit haben sich einige unserer
Siedlerfrauen emsig beteiligt und manche Stunde am Tage den Hammer geschwungen.
Außerdem hatten wir die Waggons mit den Materialien in Plettenberg abzuladen, und es
mußten zu dem Zweck oft aus intensivster Arbeit Leute herausgerissen werden, welches
nicht so leicht war.
Aber unentwegt schritt die Arbeit fort; ein Kellersockel nach dem anderen wuchs unter
fleißigen Händen aus der Erde hervor, denn wir wandten unsere ganze Kraft an, um täglich
möglichst große Fortschritte zu machen, da wir alle darauf bedacht waren, die Häuser auf
dem schnellsten Wege fertig zu bekommen.
Als es nun auch ans Mauern ging, da sanken unsere Hoffnungen mal wieder tief herab. Wie
sollten wir das alles schaffen, ohne Fachleute und sonstige Hilfe schier undenkbar! Denn
unter uns Siedlern befand sich nur ein Maurer.
Wir wollten fast verzagen, aber nötig hatten wir es nie, denn einer stand uns immer mit
Rat und Tat zur Seite, entweder unser Walther Brockhaus oder unser Bürgermeister Wahle,
welche uns auch immer wieder durch persönliche Besuche aufmunterten und manchen Wunsch
von unseren Augen ablasen.
Nachdem der Siedlungsführer dem Bürgermeister unser Leid geklagt hatte, war auch bald die
nötige Hilfe zur Stelle. Er stellte uns für die ganze Bauzeit, nachdem er die Genehmigung
von dem Herrn Landrat in Altena erhalten hatte, einige Wohlfahrtserwerbslose
(Fürsorgearbeiter), darunter für lange Zeit zwei Maurer, zur Verfügung.
Da gab es einen Freudenruf unter uns, es ging mit frischem Mut weiter ans Werk. So sah
man auch bald im Keller eine Mauer nach der anderen hochsteigen. Schon wurden die
Träger-Eisen, welche ebenfalls durch die Amtsverwaltung dem Unternehmer billig geliefert
waren, herangeschleppt. Die Decken wurden nach und nach eingeschalt, die Eisen vorher
gelegt und gerichtet. Nun konnte auch mit dem Betonieren der Kellerdecken begonnen
werden. Wir waren also wieder einen guten Schritt vorangekommen, und bald war an
einigen Häusern der Unterbau fertig.
Zu dieser Zeit haben wir uns geschlossen die Werksferien geben lassen und ausschließlich
an der Siedlung gearbeitet. Es war das erste Mal, außer samstags, daß alle Siedler für
ganze Tage zugegen waren.
Ein großes Entgegenkommen hatten wir wieder bei unserem Betriebsführer gefunden, indem allen 11 Siedlern noch ein Extra-Urlaub von drei Tagen gewährt wurde.
Damit wir die Zeit voll ausnutzen konnten und wir durch nichts gestört wurden, stellte uns das Amt alsdann zum Heranfahren von Kies, Schlacken usw. noch zwei Mann zur Verfügung.
Besonders angespornt durch so viel Entgegenkommen setzte ein Wettarbeiten ein, daß einem Hören und Sehen verging. Der Schweiß floß uns in diesen arbeitsreichen Tagen unaufhaltsam aus allen Poren, dazu war es außerordentlich heiß.
Der Erfolg dieser Arbeit war aber auch dementsprechend groß, und wir selbst waren täglich gänzlich abgearbeitet bzw. erledigt.
Viel zu schaffen machten uns die Bienen. Manchmal versuchten wir, uns durch Feuer davor zu retten, jedoch blieb kaum einer von Stichen verschont, obwohl wir oft genug vor den Immen ausrissen.
Eines guten Tages rollte ein großer, hoch beladener Lastwagen heran. Alles staunte über
die ungeheure Ladung, viele Menschen liefen zusammen. Es waren die Bauhölzer für Fachwerk
und Dach für 5 Häuser, welche schon gerichtet werden konnten. Keiner glaubte, daß der
Wagen von der Straße bis herauf zur Siedlung komme, doch wurde es noch soeben geschafft,
und im Nu lag das Bauholz, durch viele fleißige Hände gefördert, Bau bei Bau.
Samstags morgens um 5 Uhr war der Zimmermeister Selle mit seinen beiden Söhnen schon
hier oben. Unter höchster Spannung sahen wir den kommenden Dingen entgegen, sollten
sich doch bald die Umrisse unseres Hauses einschließlich Dach vor unseren Augen auftun.
Mancher von uns hat während der Richtarbeit doch mächtig Herzklopfen gehabt, denn wir
waren es nicht gewohnt, hoch auf den Balken wie die Katzen herumzuspringen. Der
Zimmermeister, ein richtiger alter Haudegen, hat manch kräftiges und lustiges Wort
hergegeben. Dieser Tag wird für uns unvergeßlich bleiben, besonders auch nachher,
die Nachfeier bei einem guten Tropfen.
Nachmittags gegen 5 Uhr hatten wir die Häuser gerichtet. Es erschienen Walter Brockhaus,
Bürgermeister Wahle und Baumeister Schulte, um sich die geleisteten Arbeiten anzusehen
und um dann gemeinsam mit den Helfern und Siedlern ein schlichtes aber sehr schönes
Richtfest zu veranstalten, welches im Stallraum des dritten Hauses stattfand. Trotz
der außergewöhnlichen Kälte, welche an diesem Tage herrschte, es war am 26. Mai 1934,
zog sich die Feier unter Gesang und den Klängen einer Ziehharmonika bis spät in die
Nacht hin - ein Zeichen vertrauten, gemütlichen Beisammenseins. |