Quelle: Plettenberger Stadtgeschichte, Bd. 1, 1993, S. 218-244, Autor: Martin Zimmer
"Es war alles das Werk weniger Sekunden"
Der Wirbelsturm im Elsetal am 17. Juni 1931

Weg des Wirbelsturmes

Von einer Naturkatastrophe wurde die Stadt Plettenberg in den späten Nachmittagsstunden des 17. Juni 1931 heimgesucht: ein Wirbelsturm richtete binnen weniger Minuten insbesondere in den Ortsteilen des Elsetals erhebliche Schäden an Wohngebäuden, Fabrikanlagen, Verkehrseinrichtungen und Waldbeständen an. Landwirte verloren durch einstürzendes Mauerwerk und herabfallende Dachkonstruktionen ihr Vieh. Auch zwei Tote sowie vierzig Verletzte waren die Folge dieser Katastrophe. Es war ein Unglückstag, an den sich noch heute viele Plettenberger mit Schrecken erinnern und der weit über den heimischen Raum hinaus damals für Schlagzeilen in den regionalen und überregionalen Tageszeitungen sorgte.

Der Weg des Wirbelsturms
Folgt man den verschiedenen Berichten über die vom Tornado betroffenen Gemeinden, so nahm diese Naturkatastrophe südlich des Ebbegebirges im Raum Meinerzhagen/Derschlag ihren Anfang, ausgelöst durch zwei an den Seiten aufeinander prallende Gewitter. Hierdurch gerieten die Luftmassen in Drehung und erzeugten somit jenen gewaltigen Orkan.

In Willertshagen, ein kleiner Ort östlich von Meinerzhagen, wurden bereits meterdicke Bäume entwurzelt, Dächer abgedeckt und ein im Bau befindliches Massivgebäude einer Hühnerfarm gänzlich zerstört. Ein großer Teil des Viehbestandes wurde vernichtet. Mehrere Hühner sollen vom Sturm sogar bis ins Ebbegebirge entflogen sein. Bei Rettungsversuchen erlitt der Besitzer der Hühnerfarm mehrere Rippenbrüche. Eine Frau, die Kühe von der Weide holen wollte, wurde in einen Stacheldrahtzaun geschleudert und erheblich verletzt.

Gegen 17.15 Uhr bildete sich unterhalb der Nordhelle im Ebbegebirge nahe Reblin eine Windhose, die in einer Breite von etwa 150 Metern dem Ebbebachtal oberhalb der Oestertalsperre folgte, bei Marlin das Gebirge in Richtung Birkenhof (Elsetal) übersprang und von da aus bis zum Bahnhof Plettenberg-Oberstadt durch das Elsetal ihren Weg nahm. Ein Augenzeuge berichtete:

Abrasierte Fichten bei Köbbinghausen
Vom Tornado abrasierte Fichten bei Plettenberg-Köbbinghausen

"Wir kamen mit unserem Auto von Attendorn und konnten von der Höhe von Plettenberg-Lettmecke eine eigenartige Zusammenballung schwerer Wolkenmassen in Richtung Lüdenscheid beobachten. Schwere, schwarze Wolken waren im Anzug und wurden wild hin- und hergerissen. . . Etwas mehr als eine Viertelstunde jagten die Wolken in einem wilden Zickzack umher, und allmählich konnten wir klar erkennen, wie sich eine Art Säule bildete, die etwa 100 Meter Durchmesser haben konnte. Diese setzte sich in ihrer ganzen unübersehbaren Höhe plötzlich mit rasanter Geschwindigkeit in Richtung Plettenberg in Bewegung, und schon sahen wir auch dunkle Massen innerhalb der Wolkensäule aufwirbeln. Ein riesiger Rotor hatte sich da in Bewegung gesetzt - alles mit sich reißend, was sich ihm in den Weg stellte.

Wir waren neugierig und rasten mit höchster Geschwindigkeit nach dem wenige Kilometer entfernten Plettenberg. Schräg links vor uns der Rotor - und in diesem Wirbel riesige dunkle Massen, die nur Dächer, Ziegel, Bäume, Sträucher, Gräser und Sonstiges, Federbetten, Kaninchen- und Hühnerställe sein konnten und auch waren. Und nun kam das Schreckliche: Wir sahen wie ein Auto, welches uns vorher überholt hatte, vom Boden gerissen und weit ins Feld geschleudert wurde. . . Unser Wagen stand, und schon lagen wir im schlammgefüllten Straßengraben. Und rundherum prasselten die Dachziegel wie Granatsplitter und Schrapnelle zu Boden. Ich wähnte mich in der Hölle von Verdun 1917." (aus der Hagener Zeitung vom 19.6.1931)

Vom Bahnhof Plettenberg-Oberstadt aus wechselte der Wirbelsturm über die Ziegelstraße, Dingeringhauser Weg, die Ratschelle, das Oestertal und über den Grünen Berg in das Gebiet der städtischen Waldungen der Bermke, wo er allmählich zum Stillstand kam.

Innerhalb weniger Minuten hatte die Windhose eine Schneise der Verwüstung geschlagen. Ein heftiges Gewitter und Hagelschlag folgten. als "Tal des Grauens" wurde das Elsetal zwischen Herscheid und Plettenberg nach dieser Naturkatastrophe charakterisiert. Hier richtete der Wirbelsturm nicht nur seine größten Zerstörungen an Gebäuden, Gartenanlagen und Wäldern an, sondern forderte auch zwei Todesopfer sowie eine Vielzahl von Verletzten. Das gesamte Ausmaß dieser Katastrophe, ihre Konsequenzen für viele Bewohner der im Elsetal gelegenen Stadtteile Köbbinghausen, Holthausen, Plettenberg-Oberstadt, den angrenzenden Wohnsiedlungen auf der Ratschelle und im Oestertal kann rückblickend nur dadurch vorstellbar werden, daß die konkreten Einzelschäden exemplarisch genannt, beschrieben und durch Fotos dokumentiert werden.

          

Auf den Spuren der Wirbelsturmkatastrophe

Die ersten Verwüstungen hinterließ der Wirbelsturm am Bahnhof Birkenhof der Bahnstrecke Plettenberg-Herscheid im Tal der Weißen Ahe. Eine große Anzahl von Bäumen und Telegraphenmasten zu beiden Seiten der Straße nach Herscheid wurden entwurzelt und umgeknickt. Im Ortsteil Friedrichsthal war die Gesenkschmiede Hesemann & Co das erste größere Anwesen, das schwer geschädigt wurde. Der Dachstuhl der Fabrikationshalle wurde samt Dachsparren vom Orkan erfaßt und fortgetragen. Auch an den übrigen Gebäuden entstanden umfangreiche Schäden.

Schwerste Verwüstungen richtete der Sturm im Dorf Köbbinghausen an. Hier wurden u. a. die Wartehalle auf dem Bahnsteig zerstört und große Waldbestände vernichtet. An den Wohngebäuden der Familien A. Gregory, Fuchs und Stahlschmidt entstanden hohe Sachschäden. In den verschiedenen Vorgärten der einzelnen Anwesen fielen großflächige Obstbaumbestände dem Sturm zum Opfer. Über das Geschehen berichtete seinerzeit Bauer Stake aus Köbbinghausen:

"Der Himmel verfinsterte sich, und wir dachten: Nun wird gleich das Gewitter losgehen. Da erhob sich der Sturm. Staub, Heu, Dachziegel, Balken und Zweige wirbelten durch die Luft. Ich wollte gerade aus der Scheune hinausgehen, um in die Wohnung zu laufen. Aber das gelang mir nicht. Der Sturm warf mich wieder in den Schuppen zurück. Ich erhob mich, um abermals zu versuchen, ins Haus zu kommen. Hören und Sehen war mir vergangen. Der Sturm fegte mir Dreck . . . ins Gesicht. Gleichzeitig fühlte ich, wie der Sturm mich emporhob, hinwarf und wieder emporheben wollte, als ich mich instinktiv auf den Boden warf. - Da war es schon vorbei; gleich war alles wieder ruhig und die Luft klar. Es kann höchstens zwei Minuten gedauert haben."

Während Hüinghausen gänzlich vom Wirbelsturm verschont blieb, wurden Plettenberg-Holthausen, der Bereich Bahnhof Oberstadt und der Dingeringhauser Weg besonders schwer getroffen. Hier in den dichtbesiedelten Wohngebieten entfaltete sich der Orkan in seiner ganzen Stärke und zerstörte fast flächendeckend Häuser, Gartenanlagen und Fabrikgebäude.


Fortsetzung