WR vom 16. Dezember 1999
Manch leidvolle Erinnerung an eine
dennoch schöne kleine Stadt

Von Horst Hassel

Überwiegend positive Erinnerungen haben die Zwangsarbeiter aus Jenakiewo in der Ukraine an Plettenberg. "Eine schöne kleine Stadt", erinnerten sich viele an den Ort, in den sie von 1942 bis 1945 verschleppt worden waren. Auf das Leben in den grünen Baracken der Ostarbeiterlager gab es dagegen fast nur leidvolle Rückblicke.

Georgi Iwanowitsch Sikanow war einer derjenigen, der sich noch lebhaft an seine Verschleppung und die Zeit in Plettenberg erinnert. Er wurde in Jenakiewo verhaftet und kam über Polen nach Soest in ein Lager, in dem 20-30.000 Menschen, "sogar aus Kasachstan!" untergebracht waren.

In Soest gab es, so erinnert er sich, einen Landwirt, einen großen, dicken Bürger namens Hochwehr, der 40 Menschen aus dem Lager gekauft hat. Georgi Sikanow war in Hagen, Oberwerner, Volmarstein (Siegmeier) und in Wetter/Ruhr (Firma DEMAG) tätig. Er flüchtete bei DEMAG wegen der schlechten Behandlung und aus Angst vor Schlägen, wurde gefasst und kam in einen Altenaer Betrieb. Dort wollte ihn der Lagerkommandant aus Wetter zurückholen, doch das wurde verhindert. Er kam in den letzten Kriegstagen nach Plettenberg, als dort schon die Kanonade der Amerikaner zu hören war.

"Ich kam ins Lager der Firma Achenbach & Sohn, arbeitete dort als Dreher in der Nachtschicht", erinnert er sich an Meister Schmidt, Meister Hermann Frunzke (Meister in der Elektroschweißerei), an Onkel Hans, an den damals etwa 80 Jahre alten Chef Achenbach und an den sehr brutalen Lagerkommandanten, "ein dicker Faschist mit Namen Emil", der ihn mit der Pistole ins Gesicht geschlagen habe, und "an den Faschisten Zimmermann". Über Siegen und Frankfurt/Oder kehrte er nach Jenakiewo zurück.

Nikolai Pawlowitsch Stepanenko war auch in Ohle tätig. Er wurde am 16. November 1942 in Opitschni/Bezirk Poltawa verhaftet, per Bahn nach Deutschland gebracht und kam ins Sammellager Soest. Danach war er zunächst 6 Monate lang in Lüdenscheid bei einer Firma beschäftigt, die Gürtelschnallen herstellte.

In Lüdenscheid konnte Nikolai Stepanenko sich nach Feierabend frei in der Stadt bewegen. "Dann kam ein Chef und hat mich ausgewählt, danach wurde ich nach Plettenberg geliefert". Er kam zum Ohler Eisenwerk und arbeitete dort an einer großen Walze. In dem dortigen Zwangsarbeiterlager seien viele Arbeiter aus Jenakiewo gewesen. Viel davon wollten wegen der schlechten Behandlung flüchten. Er erinnert sich an einen "Kommandant Zimmermann", der ihm, als die Amerikaner im Anmarsch waren, eine "gute Suppe, sogar mit Kartoffeln und Makkaroni" gab, ihm sagte, dass er frei sei und sogar sein Bett mitnehmen dürfe.

Der Hintergrund dieser plötzlichen guten Behandlung war Nikolai Stepanenko auch 55 Jahre später noch geläufig: Zimmermanns Angst vor den anrückenden Amerikanern.

Nachdem sie den Amerikanern übergeben worden waren, lagerten einige tausend Ostarbeiter in Attendorn auf einer großen Wiese. Später ging es nach Siegen. Dort auf einem Fußballfeld spielte einmal 'Deutschland gegen England' - deutsche Kriegsgefangene gegen britische Soldaten.

"Ich war die Nummer 142" erinnerte sich Pawel Jakowlewitsch Tscharbanow an die Zeit beim Ohler Eisenwerk.

Nikolai Pawlowitsch Stepanenko arbeitete beim Ohler Eisenwerk, Ehefrau Maria Andrejewna beim Kabelwerk Berlin.

Irina Petrowna Sorja (li.), Direktorin des Museums, führte Gudrun und Eckhardt Brockhaus durch die Geschichte der 1872 gegründeten Stadt mit 15.000 Jahre alten Siedlungsspuren.


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