Nadeschda Tatarinova: "Auch ich wurde nach Plettenberg verschleppt"
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Der 54jährige Hans Jörg Schulte selbst kann sich naturgemäß nicht mehr an
das Kriegsende erinnern, aber seine Eltern haben ihm und seiner jüngeren
Schwester Annerose oft von der russischen Fremdarbeiterin Nadja erzählt,
denn die rettete nicht nur Hans Jürgen, sondern auch seinem Vater Hermann
das Leben.
Herrmann und Elfriede Schulte geb. Dierichs bewirtschafteten in den 40er
Jahren den Hof Dierichs in Himmelmert. Vermutlich ab 1942, so erinnert sich
Hans Jörg Schulte, sei die damals 16jährige Nadja dem Hof als Hilfskraft
zugewiesen worden. Sie habe praktisch zur Familie gehört und sei auch wie
ein Familienmitglied behandelt worden.
Als am 11./12. April die Amerikaner von Windhausen aus den Ortsteil
Himmelmert/Dingeringhausen unter Beschuß nahmen, habe Nadja das wenige Tage
alte Baby schützend in den Straßengraben und sich selbst schützend über das
Baby gelegt.
Als dann die Amerikaner am nächsten Tag den Ort Himmelmert einnahmen, fanden
sie in einem Schrank auf dem Hof Dierichs eine deutsche Uniform, die einem
inzwischen an der Ostfront gefallenen Stiefbruder von Elfriede Schulte gehört
hatte. Die Amis vermuteten jedoch, die Uniform gehöre Hermann Schulte und
drohten mit seiner Erschießung. Da habe sich, so hatte Hermann Schulte später
seinem Sohn Jörg erzählt, Nadja vor Hermann Schulte gestellt und den
Amerikanern klar gemacht: "Die Uniform gehört nicht Herrmann Schulte. Wenn
Ihr den erschießen wollt, müßt Ihr mich auch erschießen!" Die amerikanischen
Soldaten ließen Herrmann Schulte darauf in Ruhe.
Nachdem in der Tageszeitung von Jenakievo/Ukraine der Aufruf von Eckhardt
Brockhaus erschienen war, meldete sich Mitte September eine Nadeschda
Tatarinova:
Aus dem Artikel 'Der Weg zur Wahrheit' habe ich erfahren, daß Herr
Brockhaus Informationen über Verschleppte nach Deutschland sucht. Unter den
angegebenen Namen war der Name meines Mannes Nikolai Tatarinov. Leider ist
mein Mann 1983 gestorben. Ich, seine Witwe, wurde während des Krieges auch
nach Plettenberg verschleppt, wo ich von 1942 bis 1945 geblieben bin und wo
ich meinen Mann kennenlernte. Während des Krieges arbeitete ich in der
Familie Gugo (im Russischen gibt es kein H, deshalb wird aus Hugo ein Gugo)
Diegres im Dorf Gimmelmert. Die Tochter des Besitzers hieß Friederike, sein
Schwiegersohn Herrmann. Anfang 1945 bekam sie einen Sohn."
Der Bitte, Kontakt zu der Familie Dierichs aufzunehmen, folgte Eckhardt
Brockhaus und fand den Sohn - es ist sein ehemaliger Klassenkamerad Hans
Jörg Schulte. Der will jetzt schnellstens Kontakt zu Nadeschda Tatarinova
aufnehmen und seine Lebensretterin persönlich kennenlernen.
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