Quelle: WR 19.10.1999

Ukrainerin rettete zehn Tage altes Baby Hans Jörg Schulte

Nadeschda Tatarinova:
"Auch ich wurde nach
Plettenberg verschleppt"


Plettenberg. (HH) Nadja war in den letzten Kriegstagen des April 1945 gerade mal 19 Jahre alt, da rettete sie dem 10 Tage alten Baby Hans Jörg Schulte aus Himmelmert das Leben. Erst jetzt, 54 Jahre später, kann Jörg Schulte Kontakt zu seiner Lebensretterin aufnehmen: Durch Eckhardt Brockhaus' Suche nach den Zwangsarbeitern (WR berichtete) meldete sich die heute 72jährige Nadja aus Jenakievo/Ukraine.

Nadeschda

Der 54jährige Hans Jörg Schulte selbst kann sich naturgemäß nicht mehr an das Kriegsende erinnern, aber seine Eltern haben ihm und seiner jüngeren Schwester Annerose oft von der russischen Fremdarbeiterin Nadja erzählt, denn die rettete nicht nur Hans Jürgen, sondern auch seinem Vater Hermann das Leben.

Herrmann und Elfriede Schulte geb. Dierichs bewirtschafteten in den 40er Jahren den Hof Dierichs in Himmelmert. Vermutlich ab 1942, so erinnert sich Hans Jörg Schulte, sei die damals 16jährige Nadja dem Hof als Hilfskraft zugewiesen worden. Sie habe praktisch zur Familie gehört und sei auch wie ein Familienmitglied behandelt worden.

Als am 11./12. April die Amerikaner von Windhausen aus den Ortsteil Himmelmert/Dingeringhausen unter Beschuß nahmen, habe Nadja das wenige Tage alte Baby schützend in den Straßengraben und sich selbst schützend über das Baby gelegt.

Als dann die Amerikaner am nächsten Tag den Ort Himmelmert einnahmen, fanden sie in einem Schrank auf dem Hof Dierichs eine deutsche Uniform, die einem inzwischen an der Ostfront gefallenen Stiefbruder von Elfriede Schulte gehört hatte. Die Amis vermuteten jedoch, die Uniform gehöre Hermann Schulte und drohten mit seiner Erschießung. Da habe sich, so hatte Hermann Schulte später seinem Sohn Jörg erzählt, Nadja vor Hermann Schulte gestellt und den Amerikanern klar gemacht: "Die Uniform gehört nicht Herrmann Schulte. Wenn Ihr den erschießen wollt, müßt Ihr mich auch erschießen!" Die amerikanischen Soldaten ließen Herrmann Schulte darauf in Ruhe.

Nachdem in der Tageszeitung von Jenakievo/Ukraine der Aufruf von Eckhardt Brockhaus erschienen war, meldete sich Mitte September eine Nadeschda Tatarinova:

Aus dem Artikel 'Der Weg zur Wahrheit' habe ich erfahren, daß Herr Brockhaus Informationen über Verschleppte nach Deutschland sucht. Unter den angegebenen Namen war der Name meines Mannes Nikolai Tatarinov. Leider ist mein Mann 1983 gestorben. Ich, seine Witwe, wurde während des Krieges auch nach Plettenberg verschleppt, wo ich von 1942 bis 1945 geblieben bin und wo ich meinen Mann kennenlernte. Während des Krieges arbeitete ich in der Familie Gugo (im Russischen gibt es kein H, deshalb wird aus Hugo ein Gugo) Diegres im Dorf Gimmelmert. Die Tochter des Besitzers hieß Friederike, sein Schwiegersohn Herrmann. Anfang 1945 bekam sie einen Sohn."

Der Bitte, Kontakt zu der Familie Dierichs aufzunehmen, folgte Eckhardt Brockhaus und fand den Sohn - es ist sein ehemaliger Klassenkamerad Hans Jörg Schulte. Der will jetzt schnellstens Kontakt zu Nadeschda Tatarinova aufnehmen und seine Lebensretterin persönlich kennenlernen.


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