Fortsetzung von: "Oestertalsperre feierte ihr 75jähriges Bestehen" aus SÜDERLAND - HEIMATLAND
Nr. 75, Samstag, 08. April 1978
Autor: Horst Hassel

1,15 Mio. Goldmark zu 3,75 Prozent Zinsen

Zur Beschaffung des Baukapitals wurde nun Verbindung mit der Provinz Westfalen in Münster aufgenommen. Zunächst wurde ein bares Darlehen in Höhe von 1.150.000 Goldmark zu einem Zinssatz von 3 3/4 Prozent aufgenommen. Die Zinsen und die Tilgungsart (1/2 Rate jährlich) waren halbjährlich am 31. März und 1. Oktober mit einem Betrag von 24.437,50 Mark an die Kasse der Landesbank in Münster portofrei zurückzuzahlen. Die erste Rückzahlung hatte, da die Schuld-Urkunde am 6. November 1908 unterzeichnet wurde, demnach am 31. März 1909 zu erfolgen.

Auf Grund der ersten Ausschreibung übernahm die Firma Hermann Schütte aus Barmen, die soeben die Versetalsperre (später umbenannt in "Fürwiggetalsperre") fertiggestellt hatte, den Bau der Sperre zum Angebotspreis von 900.000 Mark. Einige Monate nach dem Baubeginn geriet die Firma in Konkurs. Kaum begonnen, war der Bau der Talsperre schon beendet und eine neue Ausschreibung mußte erfolgen.

Im November 1905
November 1905: Die Firma Boswau & Knauer aus Düsseldorf hatte die Arbeiten übernommen

Die Firma Lennartz, Ehrenbreitstein, führte im Jahre 1904 die Arbeiten weiter. Aber auch diese Firma mußte im darauffolgenden Jahr ihre Zahlungen an Arbeiter und Fuhrunternehmen einstellen. Langwierige Prozesse und neue Verhandlungen waren die Folgen für die Oestertalsperrengenossenschaft. Im August 1905 war endlich ein neuer Unternehmer gefunden. Die Firma Boswau & Knauer aus Düsseldorf übernahm die Arbeiten. Die Baukosten waren mittlerweile von 900.000 auf 1,2 Millionen Goldmark geklettert.

Die Transportbahn wird blockiert
Im Dezember 1905 bahnte sich erneut ein Unheil an. Im "Süderländer Wochenblatt" vom 4. Dezember 1905 steht folgende Meldung: "Heute früh wurde die Transportbahn der Oestertalsperre, von der Baugrube nach den Steinbrüchen (an der Endert), von einem Teil der Grundbesitzer gesperrt und zwar an 10 Stellen. Der Grund ist in Differenzen mit der Genossenschaft zu suchen. Die Maschinen mußten umkehren und die Steintransporte völlig einstellen."

Transportbahn
Drei Kilometer lang war das Gleis der Feldbahn, die aus einem Steinbruch unterhalb Dingeringhausen bis zur Sperrmauer führte.

Die Verhandlungen zwischen Firma und Genossenschaft sowie Grundstückseigentümern scheinen ohne Ergebnis verlaufen zu sein, denn gut eine Woche später werden die Arbeiten an der Sperre (rechtswidrig) ganz eingestellt. Als Begründung wurden "Differenzen zwischen der Baufirma und der Genossenschaft" angegeben.

Die Arbeiter wurden entlassen und erhielten ihre Löhnung. Auch hiernach folgte ein langer Streit zwischen den Vertragsparteien, zu dessen Klärung nach gerichtlichen und außer- gerichtlichen Verhandlungen ein Schiedgericht eingesetzt wurde.

Bei den Verhandlungen, die u. a. am 13. Februar 1906 im Sachsenhof in Leipzig stattfanden, kam es zu gegenseitigen Vorschlägen, doch führten diese zunächst nicht zu einer Einigung. Das weitere Verfahren fand erst 23. Dezember 1909 seinen Abschluß.

In eigener Regie klappte es

Nachdem die Genossenschaft auf diese Art und Weise genügend schlechte Erfahrungen gesammelt hatte, entschloß man sich im Jahre 1906, den Bau in eigener Regie zu vollenden. Zu diesem Zeitpunkt war ein Drittel der Mauer fertiggestellt. Die Genossenschaft übertrug dem Regierungsbaumeister Schäfer die weiteren Arbeiten. Unter seiner Leitung gingen die Arbeiten nun wirklich zügig voran.

Dies geht auch aus mehreren Meldungen hervor, die im Jahre 1906 im "Süderländer Wochenblatt" über den Fortgang der Arbeiten berichteten. Ende Juni 1906 sind etwa 120 bis 130 Maurer und 500 Arbeiter an dem Werk beschäftigt. Die bis dahin höchste Tagesleistung wird am 24. Juni 1906 mit 500 Kubikmeter Mauerwerk erzielt. Zu diesem Zeitpunkt sind etwa die Hälfte der Maurerarbeiten (30.000 cbm) fertiggestellt.

Gastarbeiter anno 1906
Nicht immer reibungslos verläuft das Leben in den Arbeiterbaracken. Italiener, Kroaten und andere Nationalitäten wohnen und arbeiten auf engstem Raum zusammen. Hier eine Meldung vom 1. Juni 1906: "Auf bisher noch nicht geklärte Weise entstand in der Nacht vom Samstag auf Sonntag in einer der Italiener-Baracken an der Oestertalsperre ein Feuer. Der Brandherd nahm seinen Anfang in einer Kochbude. Einige Bürgersleute eilten herbei und schlugen Lärm, sonst wären die in der Nachbarbaracke sorglos schlafenden Arbeiter ein Opfer der Flammen geworden. Sie kamen jetzt noch mit dem Schrecken davon."

Die größten Schwierigkeiten hatte der Regierungsbaumeister Schäfer mit der Beschaffung brauchbarer Bruchsteine.

Im Juni 1906 werden immer neue Tagesrekorde bei der Verarbeitung von Mauerwerk gemeldet. Die Sperrmauer wächst rasant.

Die Feldbahn von der Mauer bis zum Steinbruch unterhalb Dingeringhausen hatte ein drei Kilometer langes Schienenband. Alle übrigen Baumaterialien mußten mit der Plettenberger Kleinbahn oder durch den Fuhrunternehmer Schlahme bis Wiesenthal transportiert werden. Von dort ging es dann ebenfalls mit einer Feldbahn weiter bis zur Sperrmauer.
Mit großem Stolz wurde im "Süderländer Wochenblatt" von immer neuen Tagesrekorden an fertiggestelltem Mauerwerk berichtet. Am 5. Juli 1906 erscheint ein zusammenfassender "statistischer" Bericht für den Monat Juni: "An der Oestertalsperre sind im Monat Juni an 24 Arbeitstagen im ganzen 3.280 Kubikmeter Mörtel und ca. 9.600 Kubikmeter Mauerwerk hergestellt. Dies ergibt für einen Arbeitstag einen Durchschnitt von 400 Kubikmetern. Beschäftigt waren im Schnitt täglich 128 Maurer und 510 Arbeiter. Die höchste Tagesleistung wurde am 25. Juni mit 530 Kubikmetern erreicht, wobei 130 Maurer und 518 Arbeiter beschäftigt waren. Daneben wurden ca. 2.400 Kubikmeter Boden und 650 Kubikmeter Lehm für die Anschüttung an der Wasserseite bewegt."

Täglich 50 Lkw-Ladungen transportiert
Welche großartigen Leistungen dies für die damalige Zeit waren, erkennt man, wenn man die Zahlen auf die heutige moderne Technik umrechnet. Um den im Monat Juni verarbeiteten Mörtel anzuliefern, müßten heute über 500 Betonmischfahrzeuge auffahren (täglich 22 Fahrzeuge). Um die Steine für das täglich verarbeitete Mauerwerk zu transportieren, würde man heute fast 50 Schwerlastkraftwagen benötigen.

Um die noch vorhandenen Bestände an Steinen, Holz, Kalk usw. einer nutzbringenden Verwendung zuzuführen, beschloß die Genossenschaft kurz vor Beendigung der Sperrenarbeiten den Bau eines Genossenschaftshauses. So entstand das direkt an der Sperre liegende schmucke Gasthaus. Es diente nicht nur dem Talsperrenwärter als Wohnung, sondern war alljährlich in den Sommermonaten ein beliebter Aufenthalt für Gäste aus nah und fern. Sie erfreuten sich an dem herrlichen Ausblick, den der See und die dahinterliegenden Berge boten.

Als "Zugabe" noch ein Elektrizitätswerk
Doch bevor die Sperre fertiggestellt war, schloß die Genossenschaft zur Ausnutzung des direkten Wassergefälles einen Pachtvertrag mit den Lenne-Elektrizitäts- und Industriewerken Hagen, die im Jahre 1898 ein (Wasserlauf-)Kraftwerk bei Siesel gebaut hatten, ab. Daraufhin wurde einige hundert Meter unterhalb der Sperrmauer ein Kraftwerk errichtet. Durch große unterirdische Rohrleitungen wurde das Kraftwerk mit dem Ablaufstollen verbunden. Am 26. Juni 1907 berichtet das "Süderländer Wochenblatt": "An dem Elektrizitätswerk direkt unterhalb der Oestertalsperre entwickelt sich zur Zeit eine rege Bautätigkeit. Die mächtigen Druckrohre werden verlegt. Auf der Sperrmauer sind heute die Asphaltierungsarbeiten beendet worden."

Unter großen Schwierigkeiten und mit einem Kostenaufwand von 1.800.000 Goldmark ist der Bau der Oestertalsperre zuende geführt worden. Seine hohe wirtschaftliche Bedeutung für das Oestertal und die Stadt Plettenberg stehen außer Frage. Die Baugelder sind von der Landesbank der Provinz Westfalen in Münster zu 3 3/4 Prozent Zinsen und 1/2 Prozent Amortisation entliehen worden und konnten im Jahre 1923 zurückgezahlt werden.


Anläßlich des 25-jährigen Talsperren-Jubiläums 1928 stellten sich die Mitglieder der Oestertalsperren-Genossenschaft mit Landrat Thomee (6. v. li.) zum Erinnerungsfoto auf der Talsperrenmauer. Zu sehen sind (es liegt ein Transparentblatt mit aufgedruckten Namen über dem Bild): Walter Au, Amtmann Steinhaus, Otto Pickardt, Paul Brockhaus jr., Wilh. Annemann, Geheimrat Thomee, Hugo Allhoff, J. Rempel, Reg.-Ass. Ley, Oberregierungsrat u. Baurat Schäfer, Bürgermeister Dr. Schneider, W. Dunkel, Walther Brockhaus, Hugo Niggemann, Otto Reinländer, Gustav Köster, Julius Brockhaus, H. Hüsmert, Ernst Mylaeus, Hch. Gilbert, Carl Mylaeus, Werner Brockhaus, W. Allhoff, Hch. Holthaus, Gustav Voß.
Quelle: Festschrift "50 Jahre Oestertalsperre 1903 - 1953", Hrsg.: Oesterwasserverband.
(In SÜDERLAND - HEIMATLAND v. 08.04.1978 wurde irrtümlich 1907 als Fotodatum angegeben)

Die feierliche Eröffnung der Talsperre findet am 31. Juli 1907 statt. Zur Einweihung sind erschienen: Landrat Thomee, Bürgermeister Köhler, Amtmann Struchtemeier, Regierungs-Baudirektor Schäfer sowie Herren vom Vorstand und Mitglieder der Genossenschaft. Dem Vorsitzenden der Genossenschaft, Paul Brockhaus, wurde bei dieser Gelegenheit für seine Verdienste um den Bau der Oestertalsperre der rote Adlerorden 4. Klasse, dem Regierungsbeamten Schäfer der Kronenorden verliehen. Paul Brockhaus verlas die in den Schlußstein zu legende Urkunde, darauf folgten die üblichen Hammerschläge, die Paul Brockhaus mit den Worten begleitete: "Des Wassers Flut durch dich gebannt, zum Segen für das Oestertaler Land."


Am 02.11.2000 wurden diesem Zeitungsbericht Fotos und folgendes Gutachten angefügt (Quelle: Stadtarchiv)

Aachen, den 20. Oktober 1899:

GEOLOGISCHES GUTACHTEN
betreffend Anlage einer Talsperre im Ebbeke- (Oesterau-)-Tale bei Himmelmert

Die Talsperre, welche im Ebbecke-Tale bei Himmelmert projektiert ist und deren Sperrmauer etwa 500 Meter oberhalb der Papiermühle errichtet werden soll, liegt im Gebiet einer Schichtenfolge, welche auf der v. Dechen'schen Karte zum Lenneschiefer gezogen wird, diesem aber nicht angehört, sondern wesentlich älter ist. . . Die Gesteine bestehen aus dick- und uneben spaltenden, grauen Tonschiefern mit Zwischenlagen von hellfarbigen, oft fast weißen Quarziten. Gelegentlich finden sich auch echte Grauwacken-Einlagerungen. Schiefer walten indessen bei weitem vor, und insbesondere treten an der Stelle der Sperrmauer die Quarzite zurück.
Das Schichtenstreichen ist dort, wo es mit Sicherheit beobachtet und gemessen werden konnte, normal, d. h. in Stunde 4 - 4 1/2, das Einfallen nach Nordwesten gerichtet. Unter einer wenig mächtigen Decke von Schiefer- und Quarzit-Schutt, dem sich von der Höhe heruntergerollte Porphyre trocken zugesellen, steht allenthalben das feste, geschlossene Gestein an, auch in der Talsohle unter den Bach-Alluvionen.
Das Gebirge ist, da wesentlich schiefrig und geschlossen, als schwer durchlässig für Wasser anzusehen, und es ist nicht zu befürchten, dass nennenswerte oder auch nur bemerkbare Wassermengen aus dem Stausee in das Gebirge eintreten können.
Da, wie angegeben, die Schichten in h. 4 streichen, also parallel dem Talgehänge, so wird der Druck der Sperrmauer ziemlich genau senkrecht auf die Schichtfugen gerichtet sein. Die Schichtenlage ist demnach eine günstige und die Beschaffenheit der Gesteine eine derartige, dass sie sich als Fundament für die Sperrmauer gut eignen.
Als Baumaterial sind die in mehrfachen Einlagerungen auftretenden Quarzite besonders beachtenswert. Dieselben sind in genügender Menge vorhanden; sie sind äußerst hart und kaum verwitterbar, dabei teilweise lagerhaft, allerdings wegen ihrer Härte schwer zu bearbeiten.

Man kann also die geologischen Verhältnisse als günstig für die Anlage einer Talsperre bezeichnen.

gez. Dr. E. Holzapfel, Professor a. d. Kgl. Techn. Hochschule
(Die Richtigkeit der Abschrift bescheinigt: O. Intze, Prof., Geh. Reg.Rat, Aachen im Dezember 1900)


Wenn Oester- oder Listermauer brechen

(HH) Infolge der Sprengung der Mauer der Möhnetalsperre - durch den Abwurf von Spezialtorpedos durch die englische Luftwaffe - in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 1943 wurden auch in Plettenberg Überlegungen angestellt, welche Auswirkungen eine Bombardierung der Oestertalsperrenmauer auf das unterhalb liegende Stadtgebiet haben würde. An der Lenne rechnete man mit einer Fluthöhe von bis zu 4 Metern. Die Innenstadt wäre also völlig überflutet, die meist aus Holzfachwerk und Lehm gebauten Häuser komplett weggeschwemmt worden. Obwohl die Flutwelle sicherlich alles mitgerissen hätte, glaubte man, das Wehr der Firma Brockhaus-Söhne könnte ein Hindernis sein. Deshalb prüfte man, welche Stellung der Schütze des Wehres - Schütze unten, halb gezogen, Schütz hochgezogen - den Wassermassen und dem Treibgut den geringsten Widerstand bieten würde.
Hier ein Auszug aus einer der damaligen Überlegungen:

Abschrift, Plettenberg, den 31. Mai 1943, Signatur C I 1698 (drei Seiten, A 4 maschinengeschrieben, Archiv Dirk Thomee)

Niederschrift über die Beobachtungen bei der Öffnung des Wehres der Firma Brockhaus Söhne in Plettenberg-Bhf. zur Verhütung von Hochwasserkatastrophen.

Auf Veranlassung des Bürgermeisters der Stadt Plettenberg wurde mit dem Inhaber der Firma Brockhaus Söhne, Herrn Brockhaus, vereinbart, dass am Samstagnachmittag gegen 17 Uhr das Schützenwehr gezogen und festgestellt werden soll, wie sich das Wasser unterhalb des Wehres auswirkt und in welcher Zeit das Heben der Schütze erfolgen kann, um bei einer Talsperrenkatastrophe das Öffnen der Schütze schnell und sicher zu ermöglichen.

Es waren erschienen:
1) Für die Behörde: Bürgermeister Brüggemann, Stadtbaumeister Schulte, Polizeileutnant Merz
2) Für die Firma: Fabrikant Hermann Brockhaus, Elektro-Inst. Köster, Turbinenwärter May
sowie 24 Mann des Einsatztrupps der TN [Technische Nothilfe] mit dem Standortführer Kalheber.
Zur Klarlegung der Verhältnisse wird voerst folgendes erwähnt:
Das Wehr der Firma Brockhaus Söhne in Plettenberg-Bhf. besteht aus 6 Flutöffnungen und zwar von links nach rechts gezählt:
Öffnung 1 und 2 je 6,00 Meter breit mit einer Sohle auf 201,50 Meter über NN;
Öffnung 3 und 4 je 12,00 Meter breit mit einer Sohle auf 200,20 Meter über NN;
Öffnung 5 ist 6,00 Meter breit mit einer Sohle auf 200,20 Meter über NN;
Öffnung 6 ist 6,00 Meter breit mit einer Sohle auf 201,50 über NN.
Ob. Kante Wehr liegt auf 203,14 NN. Demnach sind die mittleren Schütze 1,30 Meter höher als die äußeren. Die Schütze 3, 4 und 5 können vom Werk aus durch den mittels Turbinen erzeugten Strom elektrisch gehoben werden, während die übrigen mit der Hand hochgedreht werden müssen.

Die Mannschaft der TN wurde auf die einzelnen Wehröffnungen zum Hochdrehen der Schütze verteilt. Um 17.15 Uhr wurde vom Wehr aus dem Turbinenwärter ein Signal zum Einsetzen des Motors gegeben, der die Schütze 3, 4 und 5 hochdreht. Zur gleichen Zeit begann die Mannschaft die drei Seitenschütze hochzudrehen. Nach 5 Minuten Drehzeit waren die mittleren großen Schütze flutfrei. Nach 8 1/2 Minuten setzte bereits die Turbine und damit der Motor aus. Die elektrisch gehobenen Schütze waren aber erst bis zur Hälfte hochgedreht.
Um 17.27 Uhr, also nach 12 Minuten, war das Stauwasser abgelaufen. Die Mannschaften mussten nun mit einer Handkurbel die Schütze hochdrehen.

Beim Ansetzen der Kurbel stellte sich heraus, dass die Kurbel nicht herumgedreht werden konnte, weil eine eiserne Schutzklappe des Getriebes hinderte. Nach der Beseitigung des Hindernisses wurde beim Drehen des Schützes 3 festgestellt, dass die Kupplung mit dem elektrischen Antrieb nicht gelöst werden konnte, ferner dass die Auskupplungsstange beim Drehen der Kurbel hinderlich ist.

Mit allen Kräften versuchte die Mannschaft die mittleren Schütze hochzudrehen. Trotz aller Anstrengungen war [k]eine Hubleistung feststellbar. Ein weiteres Übel wurde darin erblickt, dass der Griff der Kurbelstange nur so lang war, dass eben drei Fäuste anfassen konnten, nicht aber 4 oder 5. Die Aussparung des Betons für die Kurbel war zu eng, um beim Drehen die ganze Kubellänge ausnutzen zu können.

Um 17.35 Uhr waren die Schütze 2, 5 und 6 hochgedreht, also innerhalb 20 Minuten. Das Schütz 1 war so schwer zu drehen, dass ein volles Heben nicht erfolgte.
Nachdem festgestellt wurde, dass das Hochdrehen der großen Schütze nur sehr langsam und mit großer Kraftanstrengung möglich war, musste von dem weiteren Heben abgesehen werden.

Der Stadtbaumeister hatte Veranlassung genommen, die Flut bei den Wehren des Ohler Eisenwerkes in Ohle und in Elhausen beobachten zu lassen. Die erste Welle überfloss das Wehr in Ohle, das ca. 1.300 Meter unterhalb liegt, nach 7 Minuten und erreichte nach 12 Minuten den höchsten Stand von 0,30 Meter Wehrüberflutung.
Die erste Welle wurde nach 17 Minuten am Wehr in Elhausen, dass ca. 4.000 Meter unterhalb des Wehres Brockhaus liegt, beobachtet. Der Wasserstand erhob sich dort nur noch um 2 Zentimeter. Die gesamte Wassermenge des Staus Brockhaus wird auf ungefähr 20.000 Kubikmeter geschätzt.

Bei einer Talsperrenkatastrophe würde von der Oestersperre die erste Welle vielleicht in 12 bis 15 Minuten und von der Listersperre vielleicht in 60 bis 70 Minuten am Wehr Brockhaus sein. In dieser Zeit muss das ganze Wehr geöffnet sein, um nicht für die Ortsteile Böddinghausen und Bredde noch eine weit größere Gefahr zu verursachen als schon besteht. Wenn die Schütze bis zum Höchststand gezogen sind, liegt die unterkante auf 204,68 über NN, also ist nur in der Mitte eine Fluttiefe von 4,48 Meter vorhanden.

Die Beobachtungen beim Hochwasser im November 1940 haben gezeigt, dass die Flut die Schütze ca. 10 bis 15 Zentimeter hoch berührten, so dass bei einer Talsperrenkatastrophe mit einem höherem Wasser ein Rückstau immer erfolgt und dadurch eine ernste Bedrohung der anliegenden Wohnstätten und Werke eintritt.

Es muss deshalb dafür gesorgt werden, dass wenigstens das Wehr bei der Ankunft der Flut hoch ist, damit die Auswirkungen auf das geringste Maß herabgesetzt werden.
Der Stadtbaumeister brachte in Vorschlag, das Heben der Schütze durch elektrischen Strom erfolgen zu lassen und zwar derart, dass, wenn die Turbinenkraft versagt, ein durch Akkumulatoren-Batterie gespeister Motor unabhängig vom Werk das Heben fortsetzt.

Ein weiterer Vorschlag, einen Benzinmotor anzubringen, wurde erörtert. Bei letzterem wurden hinsichtlich der Beschaffung von Brennstoff und der Betriebssicherheit Bedenken erhoben.
Herr Brockhaus brachte zum Schluss der Übung zum Ausdruck, dass er bemüht sein wolle, auf dem schnellsten Wege die ihm bisher unbekannten Mängel beseitigen zu lassen. Zur weiteren Untersuchung der Möglichkeiten, die Schütze elektrisch oder auf eine andere selbsttätige Art und Weise zu heben, soll das erforderliche sofort veranlasst werden.


Abschrift - Plettenberg, 15.6.1943 (eine Seite, A 4 maschinengeschrieben, Archiv Dirk Thomee)

Was, wenn die Oestertalsperrenmauer bricht?
Auswirkung der Wehranlage Brockhaus-Söhne bei einer Hochwasserkatastrophe

Zu der Frage, ob das Heben der Schütze des Wehres der Firma Brockhaus-Söhne in Plettenberg-Bhf. überhaupt ratsam ist, wenn das Heben nur bis zur halben Höhe erfolgen kann, wird wie folgt Stellung genommen:

Kommt die Flutwelle von der Oestertalsperre, die durch das starke Gefälle und die geringe Durchflussbreite des Tales eine sehr große Geschwindigkeit haben wird, in einer Höhe bis zu 4 Meter an, tritt bei einem vollkommen geöffneten Wehr vermutlich kein wesentlicher Rückstau durch das Wehr ein, weil die Hauptschütze 4,48 Meter höher als die Sohle stehen.

Anders ist es jedoch, wenn die Schütze nur bis zur halben Höhe gezogen werden. Eine Flutwelle von 4 Meter Höhe wird dann um die Höhe der Schütze höher gestaut, so dass die Flut sofort die Dämme überströmt. Ferner werden sich die Schwimmstoffe, Balken, Bretter, Bäume usw. wahrscheinlich sofort am Wehr festsetzen. In einem derartigen Fall ist es zweckmäßig, die Schütze überhaupt nicht zu ziehen. Die Gefahr des Festsetzens der Schwimmstoffe ist dann nicht so groß. Es tritt jedoch ein größerer Stau ein.

Wenn jedoch eine noch weit höhere Flutwelle am Wehr ankommt, wird das Wehr ein gewaltiges Hindernis bilden, das eine gewaltige zerstörende Überflutung der anliegenden Ortsteile verursacht. Sind dann die Schütze ganz hochgezogen, wird durch den Wasserdruck eine wesentlich größere Menge Wasser abgeführt werden können. Die Überschwemmung ist jedenfalls geringer. Die Schütze in halber Höhe werden vermutlich das größte Hindernis darstellen.

Stadtbaumeister


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