Erinnerungen aus dem Dienstleben - zum Schmunzeln

Am 26. Juni 1986 wurde der gestandene Plettenberger Polizeihauptmeister Fritz Hammer (†26.01.1998, Spitzname "Der lange Hammer" wegen seiner Körpergröße von rd. 2 Metern) aus dem aktiven Dienst verabschiedet. 1946 trat der aus Leipzig stammende Mann beim Kreispolizeichef des Kreises Altena in den Beamtendienst ein. Sein erster, gleichzeitig auch letzter Einsatzort war die Polizeistation in Plettenberg. Die ersten Dienstjahre nach dem Krieg waren sicherlich kein Zuckerschlecken - Fritz Hammer hat den Neuaufbau der Polizei von Anfang an miterlebt und seinen Beitrag zur Demokratisierung dieser Institution geleistet. Was Hammer in den Jahren an lustigen Begebenheiten in Plettenberg vor Ort erlebte, trug er im Laufe der Jahre in kleinen Episoden zusammen.

Der Anfang

Der Anfang, ja wie war er denn nach 1945? Man kann sich heute nur noch schlecht oder überhaupt nicht vorstellen, wie es damals zuging. Man war gewöhnt, nur nach Befehlen zu handeln. Alles wurde angeordnet, sich selbst Gedanken zu machen, das war verpönt - hatte man auch gar nicht gelernt. Plötzlich waren die alten Zeiten vorbei. Man mußte selbst entscheiden, niemand stand hinter einem, es war verdammt schwer, das Leben in der zukünftigen Demokratie.

Nach Kriegsschluß war ich durch ganz Deutschland getrampt, im Osten und im Westen. Schon die Erlebnisse mit Russen und Amerikanern würden ein Buch füllen.

Ich war auf der Suche nach meiner Familie, zurück, nach Hause konnte ich ja nicht mehr, dort war jetzt der Pole. Mein Vater war Soldat im Norden, meine Mutter hatte flüchten müssen und mein Bruder war zuletzt, 1945, auch noch Soldat in Berlin geworden. Ich selbst war gerade notdürftig zusammengeflickt worden, nach einer Verwundung in Ungarn.

Auf einem offenen Güterwagen kam ich vom Süden und wollte nach Norden, ganz einfach. Dann wurde ich krank, man lud mich in einem Städtchen namens Werdohl ab. Dort landete ich im Krankenhaus und anschließend im Obdachlosenasyl. Irgendwie wollte ich wohl doch heimisch werden.

Beim Arbeitsamt zeigte man mir zwei mögliche Alternativen auf: Entweder Bergbau oder Polizei. Bei meinen fast zwei Metern fürchtete ich natürlich in der Tiefe und Enge der Stollen um meinen Kopf und beschloß, ihn bei der Polizei einzusetzen, meinen Kopf. Nach einigen Prüfungen und Körperbesichtigungen war es dann so weit. Ich wurde eingestellt als »Beamter auf Probe«, mein Dienstort hieß Plettenberg, Dienstbeginn 15. Mai 1946.

Mein erster Eindruck von dieser Stadt war verheerend - ich beschloß, hier bleibst du keine 14 Tage. In der Zwischenzeit sind über drei Jahrzehnte daraus geworden.

Auch der Empfang der künftigen Kollegen war nicht gerade überwältigend. Solche wie ich, sie meinten meine Herkunft, hätten sie hier nicht so gerne und ich bliebe sowieso nicht lange. Ironie des Schicksals: von allen Kollegen bin ich als einziger übriggeblieben. Doch ich muß sagen, deren Einstellung änderte sich schon bald: Mir wurde oft geholfen und ich bekam von ihnen schon mal selbstgezüchteten Tabak und ab und zu ein Butterbrot. Essen war damals Mangelware - an manchen Tag aß ich überhaupt nichts, was natürlich meiner Figur zugute kam. Ich wog schließlich satte 140 Pfund, nicht Kilo, bei einem Gardemaß von zwei Metern.

Bald hatte ich auch ein Zimmer. Es lag unter dem Dachstuhl. Um mich zu waschen, natürlich kalt, mußte ich in den Keller. Ein Ofen war wohl vorhanden, den durfte ich jedoch nicht benutzen, angeblich wegen der Brandgefahr, aber zu kochen hatte ich ja eh nichts.

Gebadet wurde im städtischen Wannenbad. Da gab es unter anderen eine besonders große Badewanne. Weil ich mich mit den Damen des Hauses ganz gut verstand, bekam ich immer die große Wanne zur Körperpflege. Es war ein Genuß, den man sich heute nicht mehr vorstellen kann.

Auch die erste dienstliche Rüge war bald fällig. Das war so: Eine Uhr besaß ich damals nicht und der Frühdienst begann bereits um 7 Uhr. Auch die Glocken läuteten zu der Zeit noch nicht. Kurz und gut, mir fehlte jeglicher Anhaltspunkt, wie spät es sein könnte. Prompt kam ich fast immer zu spät, obwohl ich manchmal am frühen Nachmittag ins Bett ging. Das ich schon mal morgens um 4 Uhr meinen Dienst antreten wollte, nahm mir nun wieder der Nachtdienst übel. Das änderte sich erst, als man ein Einsehen hatte und der Wachhabende mir einen Wecker lieh.

Nun war ich pünktlich, aber vergessen war nichts. So stand dann u. a. in meiner ersten Beurteilung des Chefs: »Kam Anfangs immer zu spät zum Frühdienst. Nachdem ihm der Wachhabende jedoch einen Wecker lieh, bemühte sich H., diese Scharte wieder auszuwetzen«. Damit war die Welt wieder in Ordnung und ich konnte meinen Dienst zum Wohle der Plettenberger beginnen.


Fritz Hammer beim Nachtdienst an Heiligabend 1949/50 in der Alten Polizeiwache im Rathaus an der Bahnhofstraße. Foto: privat

In den folgenden Geschichten ist sicher vieles zum Schmunzeln. Aber es sollte nicht vergessen werden, es war eine schreckliche Zeit mit Hunger, Kälte und Durst - aber darüber haben schon andere ausführlich berichtet. Hier soll nur von den kleinen Begebenheiten erzählt werden. Wo Menschen zusammenkommen, besonders Plettenberger, gibt es auch mal etwas zum Schmunzeln und dazu möchte ich anregen.


Mein erster Dienst in Plettenberg

Mai 1946. Meine erste Schicht beginnt um 22 Uhr. Beim Betreten der Wache herrschte schon helle Aufregung. Der Stationsleiter springt aufgeregt herum, und obwohl ich 15 Minuten vor Dienstbeginn schon da bin, gibt es sofort den ersten Anschiss. Ehe ich überhaupt zum Überlegen komme, sitze ich, bewaffnet mit einem alten Karabiner und einem Hilfspolizisten, im Beiwagenkrad. Langsam dämmert mir, was mir aufgetragen worden war: Ein Förster war von Mitgliedern umherziehender Ausländerbanden erschossen worden. Die Mordkommission war benachrichtigt, die kam aber von weiter weg und würde erst am nächsten Tag eintreffen.

Unser Befehl lautete: Passen Sie auf den toten Mann auf! Nicht, dass er geklaut wird oder die Füchse an ihm zu nagen beginnen!" Wie und wo der Tote zu finden ist, wurde so beantwortet: "Der Lange - das war ich, der Kradfahrer - bringt Sie bis zur Kneipe in der Blemke, dann gehen Sie ein paar hundert Meter bergauf, dort liegt der Mann. Ein Einzelposten aus Allendorf bewacht ihn." Im übrigen, das galt uns als kleiner Trost, würden im Laufe der Nacht englische Truppen aus Iserlohn kommen und alles umstellen.

Gesagt, getan. Wir liefen in einer stockdunklen und sehr windigen Nacht bergauf. Mein neuer Kollege hatte mich gleich gefragt, ob ich Soldat gewesen sei. Nachdem ich dies bejaht hatte, durfte ich den Karabiner tragen. Doch damit nicht genug. Er erklärte mir, dass er nachtblind sei - und so hielt er sich hinten an meiner Jacke fest, und beide schleppte ich bergauf.

Wir fanden weder die Leiche noch den Einzelposten. Kollege Hilfspolizist erklärte kategorisch: "So etwas mache ich nicht mit. Da gehe ich lieber in den Bergbau!" Also wieder zurück, den Kollegen und den Karabiner im Rücken. Und da geschah es: Ich stolperte über etwas Weiches und - bumms lagen wir alle auf dem Weg. Taschenlampen gab es damals nicht und so konnten wir nur fühlen, dass wir soeben über die Leiche gefallen waren. Ein Einzelposten war nicht, mein Kollege meuterte weiter: er werde ins nahe Forsthaus gehen und die Witwe trösten, was er auch tat.

Zurück blieb ich, ein ziemlich hilfloser "Neu-Polizist". Aber der Befehl lautete schließlich "Leiche bewachen". Daran war nichts zu deuteln. Langsam waren auch die Umrisse des Mannes zu erkennen. Also ich mich davor gesetzt, den Karabiner zwischen den Beinen, und die Leiche nicht aus den Augen gelassen. Es stürmte. Äste fielen zu Boden. Überall knackte es, und der Feind schien überall zu sein. Von den Engländern war nichts zu sehen und zu hören, auch nichts von meinem tröstenden Hilfspolizisten.

Langsam aber dämmerte es. Gegen 8.00 Uhr erschien der hohe Chef, im Beiwagenkrad, ganz General. Ich erwartete wohl etwas Lob für meine Standhaftigkeit, vergeblich. Nach dem Hilfspolizisten fragte er erst gar nicht, er schien das gewohnt zu sein, was die so machten. Also stiefelte der Chef noch in der Gegend herum, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass die Leiche a) noch vorhanden und b)nicht angenagt war.

Plötzlich sein Aufschrei des Chefs! Aus dem Gebüsch hinter mir tönte es: "Hammer!? Wat habense bloß heute nacht hier jemacht? Hier liegt ja noch 'ne Leiche! Schreckensbleich und schlotternd folge ich ihm ins Gebüsch und tatsächlich: da lag noch eine Leiche. Stand ich nun unter Mordverdacht? Der Chef griente, demnach war es wohl nicht so schlimm. Großzügig erklärte er, dass ich nun nach Hause könne.

Ich fragte ihn aber nun doch nach dem Verbleib der Engländer. Daraufhin erklärte er mir unverblümt: "Ach wissense, ick bin hier ja ooch noch fremd. Und da hab ick de Namen verwechselt und de Panzertruppe nach Bremcke geschickt. Die Tommys haben den ganzen Ort umstellt und alle Bewohner aus den Betten geschmissen. Gefunden habense natürlich nischt, aber sie brauchten ja auch nicht zu wissen, dass sie im falschen Dorf waren."

Nach dieser Erkenntnis, und nachdem er mich ja nun von jeder Schuld an dem zweiten Toten freigesprochen hatte, meldete ich nun doch, dass mein Kollege Hilfspolizist vermisst sei. Er: "Ach, der ist längst zu Hause. Wissense, der hat nicht gedient, und da kann man es nicht so genau nehmen." Das war meine erste Dienstnacht in Plettenberg, und noch viele sollten folgen, obwohl ich mir geschworen hatte: Hier bleibst du keine vier Wochen!"


Dienstversammlung

Wie heute, fanden auch Anfang der 50er Jahre sogenannte Dienstversammlungen statt. Anordnungen, Erlasse usw., die meist schon alle bekannt waren oder wegen der Vielzahl keiner behalten konnte, wurden verlesen. Es wurde kritisiert und, wenn auch ganz selten, gelobt. Außerdem fand ein Waffenunterricht statt. Der damalige Stationsvorsteher (Molek), ein Ur-Berliner, die alten Plettenberger kennen ihn sicher noch. Er hatte einen »sagenhaften« Ruf in der Vier-Täler-Stadt.

Dieser besagte Vorsteher hatte nun eines Tages seine »Schäfchen« um sich versammelt, um die Befehle bekanntzugeben, und anschließend den Dienst an der Waffe zu üben. Wie beim Komis wurde die Pistole zerlegt und wieder zusammengebaut und immer wieder wurde Vorsicht gepredigt und gemahnt, wie gefährlich Pistolen sind. Dabei versäumte der Chef es nicht, auf seine Erfahrungen hinzuweisen und einige schreckliche Erinnerungen von sich zu geben, die er im Umgang mit Pistolen erlebt hatte.

Unterbrochen wurde der Redeschwall durch einen Kriminalbeamten. Der war im Urlaub gewesen und wollte jetzt seine Pistole beim Chef abholen. Sie war in einem Wandschrank verschlossen.

Froh über diese Unterbrechung und nach dem Motto »aus der Praxis, für die Praxis« entnahm er die Pistole und führte uns nun mit einem wissenden Lächeln vor, wie vorsichtig man mit einer Waffe umzugehen hat.

Er nahm sie in die Hand und ehe jemand etwas dazu sagen konnte, zog er den Schlitten zurück und ließ ihn wieder einrasten. Er hielt den Lauf nach unten und erklärte, daß so die Pistole übergeben werden müsse. Dabei zog er den Abzug. Ein ohrenbetäubender Knall; Pulverqualm zog durch den engen Raum. Als sich der Rauch gelichtet hatte, wurde zunächst einmal festgestellt: Alle Männer noch da, keiner blutet. Entstandener Schaden: Das zentimeterdicke Wachbuch und einige Akten durchschossen, sonst nichts.

Der Stationsleiter schloß darauf hin die Versammlung mit dem klassischen Satz: »Nu habta mal jesehen, wie man's nicht macht! «

Der Volkswagen!

Wir, die Station, bekamen ein Auto. Die belgischen Militärbehörden waren großzügig gewesen. Ein Käfer war es, so um die 150 000 Kilometer auf dem Buckel. Unser Glück war vollkommen, als wir von der Stadt auch noch Benzingutscheine in Höhe von sage und schreibe 40 Litern - bekamen. Alle hegten und pflegten ihn, unseren kleinen Käfer, und unser Chef schien das Vehikel geradezu zu lieben. Eifersüchtig wachte er über sein Wohlergehen. Und wenn er Feierabend hatte, nahm er den Schlüssel mit nach Hause.

»Wenn ick nich da bin, fährt keiner mit dem Wagen. Die Schlüssel sind bei mir unter dem Kopfkissen besser aufgehoben, als auf der Wache.« Er traute in diesem Falle nicht einmal seiner Frau, die uns ab und zu beistand.

Die vorwurfsvolle Frage, was wir denn machen sollten, wenn wir zum Beispiel einen schweren Unfall - mit vielen Toten, in Pasel hätten - schmetterte er mit der Bemerkung ab: »Dann nehm'se sich ein Stück Seife, setzen sich auf die Kleinbahnschienen und rutschen auf dem A.... darunter.«

Getan hat das keiner, es mußte ein anderer Weg gefunden werden. Und bald kursierten da Zweit- und gar Drittschlüssel und oh Wunder, da stand auch schon mal ein Kanister mit Benzin nutzlos herum. Kurzum, die Ermittlungen mit dem Wagen konzentrierten sich auf die Abend- und Nachtstunden sowie auf die Wochenenden. Das ging ganz gut, bis . ..

An einem Montagmorgen betrat der Vorsteher die Wache. Damals meldete man noch stehend, daß alles in Ordnung war: »Keine besonderen Vorkommnisse«. »Wat«, sagte der Chef, »Sie machen ja 'ne glatte Falschmeldung, aber Sie sind mein Zeuge, also kommen'se mit.« Damals hatte man immer ein schlechtes Gewissen, nicht wegen der eigenen Person, sondern wegen der Kameraden - irgendwo stimmte es ja meistens nicht, weil eben alles mehr oder weniger provisorisch war.

Wir setzen uns also in Bewegung und unheildrohend seine Worte: »Jetzt werden 'se mal was erleben, det ham se noch nich jesehn, aber jetzt habe ich se.« Die Garage wurde aufgeschlossen und da stand er, unser alter Käfer, und glänzte im Lack, so weit das noch möglich war. Der Chef fassungslos, mir ging es sofort besser. »Det kann doch nich sein, die warn doch alle nüchtern«, stammelte er. »Zumachen« sein Befehl und ab sauste er. Direkt in die Stadt. Bei uns große Ratlosigkeit.

Erst viel später kam es ans Tageslicht. Ein Kripo-Kollege hatte den Wagen am Samstag für Ermittlungen benutzt. Er nahm den Zweit-, Dritt- oder was weiß ich 'Schlüssel und weg war er. Aus irgendeinem Grunde kam er von der holprigen Fahrbahn ab und prallte gegen einen Baum. Das war dem alten Käfer zu viel und erlegte sein rundes Gesicht in Falten.

Am sonntäglichen Stammtisch hörte der Chef davon; in so einer Kleinstadt blieb ja fast nichts geheim. Nun war sein langgehegter Verdacht bestätigt und er beabsichtigte ein Tribunal gegen die Kripo zu veranstalten, die ihm sowieso ein Dorn im Auge war. Und ich sollte Zeuge sein.

Aber der Kollege war doch gewitzter. Der Chef der VW-Vertretung (Heinrich Schauerte) wurde im wahrsten Sinne des Wortes alarmiert. Im Nu waren Haube, Kotflügel und Stoßstange gewechselt und auch die Lackierarbeiten gingen flott von der Hand. Und bis Montag, ganz früh, war der Käfer auch wieder trocken hinter den Ohren und stand nun blinzelnd vor seinem Chef .

Als der Chef später die Wahrheit erfuhr, mußte er doch lachen. Aber dem Kriminalbeamten war das Lachen vergangen, als er erfuhr, daß er einen ausgeben mußte. Wer wußte, was der Chef vertragen konnte, der verstand das gequälte Lächeln des Kripomannes. "Aber Strafe mußte sein", sprach der Chef.


2. Folge