Innendienstmeister »Hans« mit der alten Tornax schwungvoll direkt in den »Konsum«
MEIN ERSTER WACHHABENDER Wir jungen Leute hatten damals, also nach '45, gerade den Krieg überstanden und merkten staunend, daß es doch noch ein anderes, wohl schöneres Leben gab. Wir waren alle Anfang 20 und dementsprechend auch übermütig und manchmal auch sicher überheblich unseren älteren Kollegen gegenüber. Da waren unsere Wachhabenden, alle über 50, altgedient, obrigkeitshörig bis zum letzten und korrekt bis auf die Knochen. Mein Wachhabender, der alte B., hatte zum Beispiel ein uraltes Fahrrad, daß er von hinten bestieg, dazu eine uralte Tasche. Man konnte ja nie wissen, vielleicht gab es irgendwo etwas zu essen. Dieser besagte Wachhabende war Oberpriester in einer ganz kleinen Sekte. Die Gruppe der Sektier bestand aus 5 oder 6 Personen. Gottesdienste wurden in der Küche gehalten, eben bei unserem Wachhabenden. Und nach diesem Gottesdienst richtete sich auch unser Dienstfrei. Damals war noch nicht die Rede von 48 Stunden oder gar weniger. Wollte man mal einen dienstfreien Tag haben, mußte man ganz höflich fragen: Hatte der Wachhabende keine Predigt, keinen Waschtag, war nichts zu organisieren, dann konnte man hoffen, einen freien Tag zu bekommen. Gefährlich wurde es für uns, seine drei Hansels, als die Sektier herausgefunden hatten, daß an einem bestimmten Tag die Welt untergehen werde. Als erstes beschloss der Wachhabende, an diesem schrecklichen Tag dienstfrei zu halten. Womit uns eigentlich klar war, daß wir den bevorstehenden Weltuntergang auf der Wache erleben würden. Wir waren zwar skeptisch, unsere Zweifel aber kundzutun, wer hätte das damals gewagt. Aufmerksam hätte uns eigentlich machen müssen, daß desöfteren sein väterlicher Blick auf uns ruhte, aber wen störte das schon in unserem Alter. Bis dann auf einmal unser Wachhabende sein Fahrrad von hinten bestieg und davonfuhr. Statt seiner kam seine Frau auf die Wache. Sie machte es kurz und erklärte uns, daß wir am Tage des Weltunterganges doch wohl keinen Dienst machen würden. Sie schlug vor, zusammen mit ihren Glaubensbrüdem in den Hestenberg zu gehen, dort an der »Fahnenstange« wollten wir im gemeinsamen Gebet auf das Ende dieser schönen Welt warten. Vorsichtig blickten wir uns an. Wer hätte Widerspruch gewagt. Kollege S., seines Zeichens altgedienter Stabsgefreiter, gab dann in wohlgesetzten Worten von sich, daß irgendjemand ja auch bei einem Weltuntergang Dienst machen müsse und wenn es so wäre, man könne ja auch auf der Wache beten. Sie war zwar nicht so einverstanden, zweifelte auch an der Aufrichtigkeit, fand sich dann aber doch mit dem Unvermeidlichen ab. Der Tag kam und wie heute jeder weiß, sie ging nicht unter, die alte Welt.
Am nächsten Tag wartete alles gespannt auf den Wachhabenden. Er kam geradelt, sicherte sein Fahrrad
und kam in die Wache. Guten Tag sagte er nicht, auch schien er irgendwie bedrückt. Keiner wagte zu
fragen, wie es denn nun weitergehen sollte. Das Problem löste sich dann aber doch. »Der Weltuntergang
wird kommen, da bin ich sicher, aber jetzt gehen Sie erstmal auf Fußstreife.«
DIE NACHTSTREIFE
Wenn es die Zeit ermöglichte, ging Hans auch Fußstreife. So ging er in einer dunklen
Nacht los und traf in Eiringhausen am Kanal den alten Salomon. Der war Ostpreuße und
versah in Plettenberg den Nachwächterdienst. Er hatte immer einen gut dressierten
Schäferhund dabei. Die beiden Herren plauschten etwas, und plötzlich tauchte aus dem
Dunkel der Nacht ein Radfahrer auf. Und der hatte - oh Graus - kein Licht an seinem
Rad. Hans schrie "Anhalten!". Der Radfahrer zurück: "Hans, du kannst mich mal!" Hans
war empört und schimpfte wie ein Rohrspatz. Dabei hatte er wohl die Frage von Salomon
überhört: "Soll ich den Hund loslassen?" Hans schimpfte weiter. Salomon glaubte daraus
Zustimmung zu hören und ließ ihn los, den Hund.
Für einen kurzen Augenblick war Ruhe, dann ein Aufschrei und ein Klirren. Die beiden
Herren wetzten dem Hund hinterher und - dann fanden sie ihn: der Radfahrer lag neben
seinem Fahrrad auf der Straße, der Hund zähnefletschend über beiden. Hans schimpfte
den Mann furchtbar aus und verdonnerte ihn: Nun müsse er sein Fahrrad aber schieben!
Der Mann war augenscheinlich froh, dass es so gut abgegangen war und murmelte etwas von
"dass es doch nicht so gemeint gewesen ist mit dem 'Hans, du kannst mich mal'"
DER INNENDIENSTMEISTER So etwas gab es damals schon. Unser hieß »Hans«, so nannten wir ihn wenigstens hinter vorgehaltener Hand. Besagter Hans war Ostpreuße, aber einer von der ganz langsamen Sorte. Im übrigen war er vollgepfropft mit Daten aus der Deutschen Geschichte. Und dieses Wissen wollte er nun mal loswerden. Und was lag näher, als die jungen Beamten zu prüfen. Aber man mußte vorsichtig sein. Gab man etwa patzige Antworten oder sagte gar, man habe keine Zeit, so war damit irgendein zusätzlicher Dienst verbunden. Wer also nicht wußte, wer "Pipin der Kurze" war, der gab einfach eine falsche Antwort und schon lächelte er siegessicher und erklärte es, um dann zu schließen: "Sie sind aber ein dummer Mensch". Aber irgendwie hatte er eine Zeitlang fast immer die gleichen Fragen drauf, ehe er die Epochen in der Deutschen Geschichte wechselte. So kam auch für ihn die große Ernüchterung. Genüßlich lächelnd kam er auf die Wache, stopfte seine Pfeife mit selbstgezüchtetem Tabak und fragte dann genießerisch: »Sagen sie mal, wann wurde denn Karl der Große gekrönt«. Die Antwort ließ ihn bald zusammenbrechen: "800 - im Dom zu Aachen". Er war fassungslos und wir hatten erst einmal Ruhe. Aber dann kam die Revanche. Irgendjemand hatte herausgefunden, daß unser Innendienstmeister als einziger noch einen Polizeiführerschein aus dem Dritten Reich hatte. Das wurde dem Stationsleiter mitgeteilt, der ja nun gewiß kein Kind von Traurigkeit war. Dazu muß gesagt werden, daß auf der Wache eine uralte Tornax stand. Jeder konnte damit fahren, nur unser alter Innendienstmeister nicht. Aber der hatte ja den Führerschein. Der Chef ließ "Hans" kommen und ordnete eine Fahrt mit dem Krad an. »Hans« wehrte sich zunächst, aber was wollte er machen: Befehl war Befehl. Brummend ging er zur Garage und alles starrte hinter den Gardinen und wartete auf das, was ja unweigerlich kommen mußte. Der Bock sprang nicht an. Der Chef schrie aus dem Fenster raus: »lch schick' jemand zum Schieben<. »Hans« sprühte förmlich vor Wut. Der Kollege setzte ihn auf den Sitz, gab Anweisung was zu tun wäre, ein Schubs, Hans ließ die Kupplung los, das Krad machte einen Satz und "Bums" fuhr er gegen die gegenüberliegende Treppe der Landeszentralbank. Wenn er der Meinung war, seine Leidenszeit wäre zu Ende gewesen, so sah er sich getäuscht. Der Innendienstmeister und das Krad wurden aufgerichtet, in Richtung Stadtmitte in Stellung gebracht, geschoben - und ab ging die Post. Erst langsam, dann immer schneller werdend verschwand "Hans" und fuhr genau auf den Konsum zu. Die Tür stand auf, eine kleine Stufe war kein Hindernis und unser Hans verschwand samt Krad im Konsum. Es gab etwas Krach, dann aber kam er zurückgestiefelt und nun setzte er sich durch und verweigerte jede weitere Fahrt. Der Chef war großzügig und erließ sie ihm. UND DANN WAR DA NOCH... Und dann war da noch ein prominenter Plettenberger Bürger. Aufgeregt rief er die Polizei an und teilte mit, daß man soeben seinen vor dem Haus geparkten Wagen gestohlen habe. Das war damals unglaublich und löste bei der Plettenberger Polizei Großalarm aus. Fieberhaft wurde gefahndet, die Stadtausgänge besetzt, der Wagen blieb unauffindbar. Bis dann in der Mittagszeit die Ablösung kam und einer dieser Beamten löste das Rätsel. Er hatte den Wagen gesehen. Er stand friedlich geparkt vor der Post. Der Fahrer war mit ihm zur Post gefahren. Voller Probleme ging er dann zu Fuß zu seinem Betrieb zurück und hatte vergessen, daß er mit dem Pkw zur Post gefahren war. Und da war noch der Plettenberger Bürger, der immer, wenn er einen »Kleinen« aufhatte »1000 Steinhäger« bestellte. Prompt wurde die Theke mit Steinhägern bepflastert und jeder der wollte, hatte frei trinken. Und da war noch der Plettenberger Sänger, der nach Eiringhausen geraten war und dort in der Fremde zuviel getrunken hatte. In seinem Susa geriet er in die Damentoilette, zog sich vollkommen aus, stellte sich auf die Fensterbank und sang dort friedliche Choräle. Die hinzugezogene Polizei mußte ihn erst sämtliche Strophen zuende singen lassen. Dann zog er sich an und überquerte die Lenne in die Heimat, wo es ja auch noch was zu trinken gab. Und dann war da noch der Plettenberger Bürger, wenn der bei »Hoppe« reinkam
und »Guten Abend« sagte, wurde sofort einer nach draußen geschickt, um festzustellen, ob er
diesmal die Wahrheit gesagt hatte. Wenn er dann von seinen Erlebnissen »in den Staaten« erzahlte,
mußten mehrere Gäste den Deckenbalken abstützen, weil dieser begann, sich zu biegen.
Und dann war da noch das Plettenberger Bäuerlein, das mit seiner Kuh zum Schlachthaus
auf der Weide wollte. Bei "Kranich" (Bahnhof Oberstadt) wurde Rast gehalten. Der Bauer
trank einen Schnaps, derweil die Kuh draußen ihrem Ende entgegendöste. Das mochte er
nun auch nicht, der Bauer. Die Kuh wurde hereingeholt und konnte das Spülbecken leersaufen.
Der Bauer hat das lange überlebt, die Kuh nicht mehr. |