Familie und Firma Seissenschmidt

Bereits in einer alten Urkunde des Boeler Hospital-Gutes aus dem Jahre 1600 ist ein "Willem" aus der Familie Seissenschmidt erwähnt. In der Folgezeit erscheinen in den Annalen immer häufiger Mitglieder dieser Familie, nis sie etwa in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die breiteste Streuung bzw. Verästelung erfahren hat. Dann tritt die Familie immer weniger auf, heute sind Familien dieses Namens nicht mehr in Plettenberg vertreten.

Obwohl, wie der Name besagt, der Stammvater dieses Geschlechts sich mit der Sensenschmiederei befasst hatte, und dies sicher so intensiv, dass ihm sein Beruf zum Familiennamen wurde, ist seit dem 30-jährigen Kriege kein Sensenschmied mehr mit diesem Namen benannt. Fast ausnahmslos waren die letzten Seissenschmidt-Familien Tuchmacher. Der erste in der lückenlosen Stammfolge dieser Familie auftretende Stephan Seissenschmidt war Küster der lutherischen Kirchengemeinde und befasste sich außerdem mit der Tuchweberei. Unmittelbar nach Beendigung des 30-jährigen Krieges, 1648, gründete er mit 17 anderen Tuchmachern das Amt bzw. die Zunft der Plettenberger Tuchmacher.

Das Stammhaus der Familie Seissenschmidt ging im Stadtbrand 1725 völlig unter. An gleicher Stelle geschah in unveränderter Form der Wiederaufbau. Weil das Haus in einem krummen Bogen der alten Stadtmauer am Untertor lag, hatte es den Namen "In den Müren". Die letzten Seissenschmidts, die das Haus bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts bewohnten, hatten den Beinamen "in den Müren", meist unter Auslassung des Familiennamens Seissenschmidt.


Das Stammhaus der Familie Seissenschmidt, das Haus "In den Mueren" zwischen Wilhelmstraße und Neue Straße.

Doch ein Blick zurück auf die Anfänge der unternehmerischen Tätigkeit der Familienmitglieder Seissenschmidt: Zwischen 1783 und 1788 kam die Familie Seißenschmidt in den Besitz des Hauses Nr. 104 (IX/218), jetzt Westhelle, Wilhelmstraße. Das Haus war sehr lange der Familie Wolff zu eigen. 1758 besaß es der Sensenschmied und Kaufmann Joh. Christoph Wolff, 1783 dessen Sohn, der Sensenschmied Christoph Diederich Wolff. Der erste Besitzer aus der Familie Seissenschmidt war 1788 Joh. Christoph Seissenschmidt. 1809 hatte es bereits Adam Seissenschmidt geerbt. Nach dem Ableben der Eheleute Adam Seissenschmidt kam der Tuchfabrikant Hermann Bernhard Seissenschmidt in den Besitz des Hauses. Die gerichtliche Übereignung ist am 17.05.1832 vermerkt.

Nach dessen Tod wurde entsprechend einem im Jahre 1856 aufgestellten Testament die Witwe H. B. Seissenschmidt geb. Wilhelmine Dunkel im Jahre 1860 als Besitzerin vermerkt. 11 Jahre später erhielten die beiden Söhne Wilhelm und Carl Seissenschmidt gegen Leibzucht und Abfindung ihrer Schwestern das Haus.
Später trat Carl seinen Anteil an Wilhelm ab, der im Jahre 1871 das alte Haus abreißen ließ und an dessen Stelle noch im Spätherbst desselben Jahres mit dem Neubau des jetzt noch fast unveränderten Hauses begann.

1881 beantragte er die Genehmigung zum Anbau an der Hinterseite des Hauses, die auch erteilt wurde. Mit dem verhältnismäßig großen Anbau wurde sofort begonnen. Und es dauerte nur einige Monate und das Richtfest konnte gefeiert werden. Sein Bruder Carl hatte inzwischen auf dem Fabrikhof an der Grünestraße ein Wohnhaus gebaut. An der Südseite war ein geräumiger Garten. Aber die unmittelbare Nähe der tagein tagaus dröhnenden Hämmer behagte ihm nicht. Er brauchte am Feierabend Ruhe. Beim Gang der schweren Hämmer klirrte das Geschirr in den Schränken. Immer schwerere Maschinen wurden angeschafft, bis Carl 1887 kurz entschlossen den Iserlohner Architekten Otto Leppin mit dem Entwurf eines neuen Wohnhauses an der Bahnhofstraße beauftragte. Mit dem Bau wurde sofort begonnen.


Nach ein halbjähriger Bauzeit konnte Carl bereits die neue Villa an der Bahnhofstraße beziehen. Es war das größte Wohngebäude in der Umgebung, aber auch zugleich das komfortabelste. Mit allen in damaliger Zeit erdenklichen Bequemlichkeiten war es eingerichtet. Der Iserlohner Architekt hatte sich mit diesem Bau in Plettenberg einen Namen gemacht, und es dauerte auch nicht lange, und mehrere Häuser Leppin'scher Bauart wurden gebaut.


Quelle: Geschichtspfad des ASG:
Die Baugenehmigung für dieses Haus wurde am 8. Juli 1887 von Carl Seissenschmidt erbeten und drei Tage später von der Verwaltung erteilt. Die Bauzeichnungen des Iserlohner Architekten Leppin, der damals eine ganze Reihe der Plettenberger Unternehmer zu seinen Kunden zählte, zeigen ein großzügig angelegtes Gebäude: im Erdgeschoß gibt es einen 30 qm großen Salon, ein 26 qm großes Speisezimmer, ein Wohnzimmer und die Küche mit geräumiger Speisekammer, in der 1. Etage ein Bad und vier Schlafzimmer, eines davon mit einem 21qm großen Schrankzimmer. Die Dienstboten wohnten auf dem ausgebauten Dachboden.
Aus der Feuerversicherungspolice des Jahres 1887 geht hervor, daß der Wert des Hauses damals 26.000 Reichsmark betrug. Eine Police von 1901 geht auf die Innenausstattung genauer ein: Eichenholztreppen, Eichenparkett, zwei Porzellan-Kachelöfen im Wert von 750 und 500 Reichsmark, eine »komplette Badeeinrichtung mit Ofen, Wanne, Zu- und Ableitung« im Wert von 500 Reichsmark. Angemerkt wird:
»Das Gebäude ist im Jahre 1887 neu aus bestem Material und nach den besten Regeln der Technik gebaut. Die äußeren Wandflächen und Architekturteile wurden noch im letzten Jahre mit Ölfarbe gestrichen. Das Gebäude liegt an der Hauptstraße und hat städtische Wasserleitungen.«


Die Parzelle IX/500, ein Obstgarten zwischen Grünestraße und dem Wieden, war bis 1829 im Besitz der Wwe. Bürgermeister Dulheuer und ihrer beiden Kinder. Dann erwarben 1830 Hermann Bernhard Seissenschmidt und Friedrich Schmalenbach in Gemeinschaft dieses Grundstück und errichteten darauf eine Tuchfabrik, die später in eine Holzschraubenfabrik umgewandelt wurde. Schmalenbach verkaufte seine ideelle Hälfte am Jahre 1844 an H. B. Seissenschmidt und P. D. Wever; letzterer seinen Anteil 1852 für 500 Tlr. an HBS, der somit alleiniger Besitzer geworden war.
Anmerk.: Hölterhoff S. 128, dto. S. 145 wichtig!: Schmalenbach und Seissenschmidt stehen unter den Tuchfabriken 1844 an 3. Stelle in Plettenberg. Sie besaßen neben D. W. Gregory, H. B. Wolff und P. Boeley eine eigene Spinnerei. Verfertigt wurden Wollentücher von 15 Sgr. bis 2 Tlr., Biber zum Preise von 1 Tlr. pro Elle. Der Hauptsatz erfolgte in der Mark, im Siegenschen und Bergischen, die Rohwolle kam hauptsächlich aus der Briloner Gegend, Marsberg und Waldeck. Strickgarne. Preis der besten Wolle Pfund 20 Sgr., mittlere Güte 15 und gewöhnliche Qualität 10 Silbergr.. Stockungen 1840.


Die alte Tuchfabrik (Fachwerkbau) wurde 1873 abgerissen und an der Brachtstraße auf Parzelle IX/619 aufgebaut und zu Wohnungen eingerichtet. An deren Stelle wurde ein Neubau geplant.


Auf der Parzelle IX/619 (blauer Wohnhausgrundriss) an der Brachtstraße wurde die ehemalige Tuchfabrik im Jahre 1873/74 wieder auf- und zum Wohnhaus umgebaut.

Durch den geplanten Anbau musste der Teich bei der Oester verschwinden und der Mühlengraben verengt werden. Trockene Böschungsmauern wurden errichtet. Müller Dunkel war einverstanden. Entschädigung für die Benutzung des Wiedens für die Heranschaffung des Baumaterials wurde gezahlt.


Die beiden Firmeninhaber wurden mit der Zeit uneins und schließlich kam es zum Bruch. Schmalenbach verkaufte im Jahre 1844 seine ideelle Hälfte am Fabrikgebäude und dem daran liegenden Baumhof sowie der im Fabrikgebäude befindlichen Fabrikgerätschaften an den Plettenberger Kaufmann P. D. Wever. Obwohl das Verkaufsrecht vertraglich so geregelt war, dass jede der beiden Parteien gleichberechtigt war, d. h., wenn einer verzichtete, das Verkaufsrecht auf den anderen überging, ließ Seissenschmidt diesen Verkauf geschehen. Nur räumte er bei abermaligem Verkauf für sich das Vorkaufsrecht wieder ein. Investiert wurde allerdings nun weiter nichts, denn dazu war die allgemeine Wirtschaftslage zu schlecht geworden.

Inzwischen war zwischen Nürnberg und Fürth die erste Eisenbahn in Deutschland gebaut worden, und schon bald nach der Einweihung dieser Bahn wurde der Wunsch allerorten laut, auch über eine solche Bahn oder ein ähnliches Verkehrsmittel verfügen zu können. Besonders in stark konzentrierten Gewerbegebieten wie z. B. Wuppertal, Ennepetal, Hagen und Dortmund bildeten sich Komitees, die solche Projekte vorbereiteten. Von einer deutschen Industrie von Eisenbahnbedarfsartikeln war zu jener Zeit überhaupt noch keine Rede. Aber bald erwachte, speziell in Westfalen, deutscher Gewerbefleiß zu eigenem Schaffen auf diesem Gebiete. So begann auch Hermann Bernhard Seissenschmidt, zunächst nur in seiner bescheidenen Fabrikhälfte zwischen Grünestraße und Wieden, im Oktober 1846 mit der Produktion von Schwellenschrauben, Unterlegplatten, Waggonbeschlagteilen etc..

Im Jahre 1852 ging P. D. Wevers Anteil durch Verkauf an D. W. Schulte über, wogegen aber Hermann Bernhard Seissenschmidt sein vertragliches Voraufsrecht geltend machte und in den Kaufvertrag eintrat. Abermals sah er sich vor eine schwere Aufgabe gestellt. Die Finanzierung machte Schwierigkeiten. Der Firmeninhaber nahm schließlich Verbindung zu einem Kölner Bankhaus auf und damit neue Kapitalien unter Verpfändung eines Teils seiner Liegenschaften auf. Dann wurde die ganze Fabrikanlage vergrößert und die Schmiedeanlage erweitert. Der Wasserantrieb wurde verbessert bzw. erneuert. Weitere Ambosse wurden angeschafft und schließlich kamen kleine Fallhämmer hinzu, die damals noch von Hand gezogen wurden. Gleichzeitig wurden auch viele Versuche angestellt, um ein brauchbares Gewinde auf die verschiedenen Sorten Schrauben günstig anbringen zu können. Als einer der ersten Plettenberger Firmeninhaber stellte Seissenschmidt im Jahre 1858 bei der Regierung in Arnsberg einen Antrag zum Aufstellen eines Dampfkessel und einer Dampfmaschine...


HB Seissenschmidt an der Grünestraße in den 1970er Jahren. Im Rahmen der Stadtsanierung wurde das Unternehmen ausgesiedelt ins Industriegebiet Köbbinghausen (dort am 18.02.1976 Richtfest, am 24.09.1976 Beginn des Umzugs aus der Inennstadt nach Köbbinghausen).


zurück