1933-1939
Gas-Explosion forderte vier Tote
1934
Die Sammlung am 1. Eintopfsonntag im neuen Jahr (7. Januar) ergab in unserer
Stadt den schönen Betrag von 1.124,95 RM. Gegenüber dem Monat Dezember ist ein
Mehr von 131,75 RM zu verzeichnen.
Es muss nun als eine tragische Ironie des Schicksals angesehen werden, dass in der Zeit,
als die Stadt Plettenberg den Gasanschluss unter ihren Bürgern propagiert, um für viele
Erwerbslose Arbeit und Brot zu schaffen, ein solch furchtbares Explosionsunglück,
wie es gleich ausführlich geschildert werden wird, alle diesbezüglichen Pläne zunichte
macht. Wenn man auch feststellen muss, dass eine solche Gasexplosion zu den Alltäglichkeiten
keineswegs gehört, so ist doch aus psychologischen Gründen ein Pessimismus der
Bürgerschaft gegenüber dem Gas vorerst verständlich. Jedenfalls wird man aus der
Erfahrung lernen und Maßnahmen treffen müssen, dass sich solch furchtbare Unglücksfälle
nicht mehr ereignen können.
Am 12. Januar, morgens gegen 8.45 Uhr, ereignete sich hierselbst an der oberen
Königstraße eine folgenschwere Gasexplosion, die das Wohnhaus des Gabelschleifers
H. Selle in einen Trümmerhaufen verwandelte und die gerade im Haus anwesenden Personen
unter sich begrub. Bisher wurden die Ehefrau H. Hoyer im schwerverletzten Zustande und
die Ehefrau Selle als Tote geborgen. Die ganze Umgebung des zusammengestürzten Hauses
wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen. Das ausbrechende Gas setzte sowohl dem
Trümmerhause wie die anliegende Straße und die anliegenden Gärten, Zäune und Häuser
in Brand. So lautete der erste kurze Bericht in den "Plettenberger Nachrichten".
Nachher wurden nähere Einzelheiten bekannt: Gegen 8 3/4 Uhr vernahm man in der Stadt
eine mächtige Detonation. Was war geschehen? War das ein Knall in unmittelbarer Nähe
mit harmlosem Hintergrund oder . . . .? Zur gleichen Zeit ertönten in allen Straßen Feuersignale,
die Straßen, die vorher wegen des schlechten Wetters und des Glatteises kaum Menschen
aufwiesen, wurden nun belebt, Gruppen von Menschen mit ängstlichem Gesichtsausdruck
bildeten sich und von Mund zu Mund erscholl der Ruf: An der Königstraße ist ein Haus in
die Luft geflogen! Gleichzeitig setzte eine Völkerwanderung zur Königstraße ein, und
obschon dutzende von Menschen infolge des über Nacht eingetretenen Glatteises zu Fall
kamen, wuchs der Strom immer mehr an. Dazwischen die auffahrende Feuerwehr, SA-Männer,
die Sanitätskolonne, alles in großer Erregung und fliegender Eile. Am Unglücksort bot sich
ein grauenvolles Bild. Das vor etwa 15 Jahren erbaute Haus des H. Selle bildete nur noch
einen Trümmerhaufen von ein paar Meter Höhe und stand in Flammen. Die angrenzenden
Gärten, die Straße, die gegenüberliegenden Gärten mit ihren Zäunen, Sträuchern und Bäumen
usw. brannten hell auf. Das einige Meter unterhalb liegende Scheffen'sche Wohnhaus, dessen
Dach arg in Mitleidenschaft gezogen war, hatte am Giebel ebenfalls Feuer gefangen. Sogar
an dem, diesem Hause gegenüberliegenden Weiland'schen Hause züngelten Flammen empor.
Fast sämtliche Fenster der umliegenden Häuser waren zerstrümmert und sogar an der
einige hundert Meter entfernt liegenden Oestertalstraße waren verschiedene Fensterscheiben
durch den gewaltigen Luftdruck eingedrückt.
Der Bewohner hatte sich eine große Panik bemächtigt. Die sehr schnell herbeigeeilte Feuerwehr,
die freiwillige Sanitätskolonne, die immer hilfsbereite SA und viele Zivilpersonen waren damit
beschäftigt, die Nachbarhäuser zu räumen. Kinder wurden, in Tücher gehüllt, in entfernt
liegende Häuser gebracht und erbleichte Frauen und Mädchen aus dem Unglücksgebiet fort
geleitet. In kurzer Zeit umsäumten Hunderte von Neugierigen die von Feuerwehr und Polizei
in weitem Umkreis abgesperrte Unglücksstelle. Schon kurz nach dem Eintreffen der ersten
Hilfsbereiten gelang es, die Ehefrau Hoyer, die sich zur Zeit der Katastrophe gerade im
Treppenhaus aufgehalten hatte, in schwerverletztem Zustand zu bergen. Der Malermeister
Heinrich Engel hatte kurz vorher die Unglücksstelle passiert und auf der Straße einer gerade
aus dem Fenster blickenden Insassin des Unglückshauses zugerufen, man solle mit Feuer
vorsichtig sein, da die Gasleitung undicht sei. Kaum hatte der Warner einige Meter zurückgelegt,
als auch schon die Katastrophe hereinbrach.
Aus einem anderen Hause der Nachbarschaft, in dem ebenfalls Gasgeruch wahrgenommen wurde,
hatte man die Polizeiverwaltung benachrichtigt, aber kaum war dieser Anruf erfolgt, als die
mächtige Detonation der Verwaltung kund gab, dass es zu spät sei. - Geistengegenwart bewies
der ebenfalls in dem Unglückshaus befindliche 14-jährige Werner Selle, dem es gelang, sich
aus dem brennenden Haus einen Weg ins Freie zu bahnen und so fast unverletzt dem Tode
zu entrinnen. Er befand sich zur Zeit der Explosion im Bett, und nur dadurch, dass die Wand,
an der sein Bett stand, nicht auf ihn fiel, blieb er unverletzt.
Die bei dem grausigen Explosionsunglück ums Leben kamen sind:
In den frühen Nachmittagsstunden hatten Bewohner der Nachbarhäuser ihre Wohnungen
bereits wieder bezogen, als plötzlich gegen 3 Uhr unter den Trümmern des Unglückshauses
eine weitere Explosion erfolgte, wodurch das Feuer erneut aufloderte. Kurz darauf stürzte
mit einer heftigen Detonation die steinerne Eingangstreppe des Koch'schen Hauses, Ecke
König- und Kronprinzenstraße, in sich zusammen. Der Schwiegersohn, Hildebrandt, der
gerade auf der Treppe stand, kam dadurch zu Fall, wodurch er sich einen doppelten Beinbruch
zuzog. Er wurde mit dem Sanitätsauto dem Krankenhaus zugeführt.
Diese letzte Explosion war wohl darauf zurückzuführen, dass sich in der Nähe der
Eingangstreppe die Zentralheizung befand, die noch gebrannt haben soll. Es muss
sich dann in dem Keller Gas angesammelt haben, das sich vermutlich an der Heizung
entzündet hat.
Auf Anordnung des Bürgermeisters Dr. Eckler haben sämtliche öffentlichen Gebäude
der Stadt anläßlich der Explosions-Katastrophe halbmast geflaggt. Der amtliche
Polizeibericht stellt die Explosion im Hause Koch, wie vorseitig angegeben ist, richtig.
Danach ist die Explosion nicht durch einen im Keller unter der Freitreppe aufgestellten
Heizungskessel oder sogar innerhalb der Kellerräume entstanden. Der unter der Treppe
des Koch'schen Hauses liegende Hohlraum ist nach dem Hause zu vollkommen
abgeschlossen gewesen.
Am Dienstag, dem 16. Januar, wurden die sterblichen Überreste der vier Opfer der
heimischen Erde anvertraut. 4 Särge standen vor dem Altar der evgl. Hauptkirche,
umgeben von frischem Grün, Blumen, Kränzen und brennenden Kerzen. Bis auf den
letzten Platz war das weite Gotteshaus gefüllt, als die Fahnen der SA, der übrigen
Formationen der NSDAP, der hiesigen militärischen und der anderen Vereine einzogen
und um die Särge Aufstellung nahmen. Wehmut und Trauer lag über der ganzen
Versammlung. Nach langer Zeit ist es das erste Mal bei uns, dass eine Trauerfeier
im Gotteshause selbst stattfindet, es ist aber auch das erste Mal in unserer Stadt,
dass durch eine Katastrophe gleich 4 Menschenleben dahingerafft wurden.
Nach der Trauerfeier in der Kirche geleiteten dann weihevolle Orgelklänge die
Trauergemeinde aus dem Gotteshaus. Vor dem Kirchplatz standen die beiden mit
schwarzem Tuch behängten und mit Tannengrün belegten Flachwagen. Die Fahnenabordnungen
bildeten vom Eingang der Kirche bis zu den Wagen Spalier. Während sich die Fahnen
senkten und der Posaunenchor spielte "Laßt mich gehen, laßt mich gehen", wurden die
vier Särge langsam von Feuerwehrleuten, flankiert von Fackeln tragenden Wehrleuten,
von der Kirche zu den Wagen getragen.
Dann setzte sich unter dem Geläut der Glocken
der trotz des Schnee- und Regenwetters außerordentlich lange Leichenzug in Bewegung.
Das Tambourkorps "Gloria" und das städtische Orchester eröffneten den Zug mit ihren
Trauerweisen. Es folgten die Fahnenabordnungen, die Behördenvertreter, unter ihnen
der Landrat des Kreises Altena, Dr. Bubner, der Kreisleiter der NSDAP, Reichstagsabgeordneter
Bracht, der Bürgermeister der Stadt Plettenberg, Dr. Eckler, der Magistrat und die
Stadtverordnetenversammlung, Vertreter des Amtes Plettenberg und drei leitende Herren
von der Ruhrgas AG, Kränze tragende SA-Männer und Hitlerjungen, die SA, das NSKK,
die HJ, die SS, der Heimatschutz, der Landwehrverein, die beiden Männergesangvereine,
die Jugendgruppe des Vaterländischen Frauenvereins, die beiden hiesigen evangelischen
Geistlichen, die zwei Leichenwagen, flankiert von Fackelträgern, die Freiwillige Feuerwehr,
die nächsten Angehörigen, Freunde und Nachbarn der so jäh aus dem Leben gerissenen.
Es schlossen sich an das Presbyterium, das Trommlerkorps des Schützenvereins Grünetal,
die Bevölkerung, die sich überaus zahlreich beteiligte, und zuletzt der Kranzwagen. Die
Straßen, durch die sich der schier endlose Zug bewegte, waren von einer dichten
Menschenmenge umsäumt. Nach Beendigung der Feier auf dem Friedhof verlöschten
die Fackeln, während in der bereits hereinbrechenden Dunkelheit die Trauernden still
die Totenstadt verließen.
Zu einer gewaltigen Dankeskundgebung am 17. Januar hatte der Kreisbetriebszellen-Obmann,
Pg. (Parteigenosse) Fritz Wunderlich, alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Deutschen
Arbeitsfront im Kreise Unterlenne in der hiesigen geräumigen Schützenhalle aufgerufen
und überaus zahlreich war man seinem Rufe gefolgt. Kurz nach 7 Uhr setzte, von allen
Richtungen kommend, ein großer Menschenstrom nach hier ein. Lastwagen auf Lastwagen
rollte durch die Straßen zum Wieden. Gleich einer großen Sternwanderung glich der gewaltige
Aufmarsch. Aus allen Richtungen kamen sie in geschlossenen Zügen herbei, bis Nachrodt
einschließlich waren die Kameraden der Arbeitsfront vertreten und kurz vor Beginn rückten
die Gefolgschaften der Ohler und Eiringhauser Betriebe unter Vorantritt des Ohler
Trommlerkorps und der Sturmbannkapelle Oesterau in mächtigen Zügen ein, so dass schon
lange vor Beginn der Kundgebung die große Halle (etwa 3.000 Menschen) überfüllt war.
Unter schneidigem Marsch der Kapelle vollzog sich dann der Einzug der Fahnen der NSBO
(Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation), etwa 40 an der Zahl, in die Halle,
die auf der Bühne Aufstellung nahmen. Das Referat lautete: Das neue Arbeitsrecht-Gesetz.
Nach Beendigung der Kundgebung strömte die Menge wieder ihren heimatlichen Tälern
und Bergen zu mit dem erhabenen Bewußtsein, dass ein Kanzler, ein Volksführer an der
Seite des Volkes steht, der seine Worte immer wieder aufs Neue durch erstaunliche
Taten bewahrheitet.
Anläßlich des Jahrestages der Reichsgründung in Versailles prangen am 18. Januar die
Straßen unserer Stadt im Flaggenschmuck.
Der erste Jahrestag der Machtergreifung Adolf Hitlers am 30. Januar wurde auch in
Plettenberg nach dem Willen des Führers in aller Stille begangen. Äußerlich zeigte
sich jedoch die Feststimmung in einem Meer von Fahnen. Kein Haus ohne Fahne, sogar
die Verkehrsmittel waren teils mit kleinen Wimpeln geschmückt. In den Nachmittagsstunden
waren viele um die Lautsprecher versammelt, um die große Rede des Führers zu hören.
Abends fanden in den Kirchen Dankgottesdienste statt, die zahlreichen Besuch aufwiesen.
Die hiesige Regenstation hat im Monat Januar 14 Tage mit Niederschlägen zu verzeichnen.
Davon waren 6 Tage mit Schneefall. Die größte Tagesmenge war 23,9 mm, gemessen am 19.
Januar. Die Gesamtniederschlagsmenge betrug 127,3 Millimeter.
Die Arbeiten am Landemerter Wege zur Vollendung des Freibades schreiten rüstig vorwärts.
Etwa 25 Erwerbslose werden dabei beschäftigt. Die Bruchsteine zum massiven Bau der
Ankleidezellen sind bereits angefahren und die Umzäunung an der Straße ist feriggestellt.
An die Anfahrtstraße reiht sich zunächst ein großer Parkplatz für Autos, der mit
gärtnerischen Anlagen, die auch schon in Angriff genommen sind, umgeben wird.
Ein erfreuliches Zeichen wiederaufgelebter Arbeitstätigkeit bietet in diesen Tagen
unsere Stadt. Abgesehen von zahlreichen in Angriff genommenen Neubauten und überaus
zahlreichen Hausreparaturarbeiten, ist die Metallwarenfirma F. W. Schade damit
beschäftigt, den letzten Teil der früher der in Konkurs gefallenen Firma J. Kaiser
gehörigen Fabrikgebäude baulich in Stand zu setzen, um die Arbeit in dem ganzen
Gebäudekomplex aufnehmen zu können, nachdem der größte Teil der Fabrik bereits wieder
in Betrieb genommen ist. Rüstig schreiten auch die für den Ausbau der ins Oestertal
führenden Königstraße erforderlichen Arbeiten fort, um möglichst bald die für den
Auto- usw. Verkehr günstige Verbindung mit dem Oesterweg herzustellen. Das an der
Südostseite des Hirtenböhls unmittelbar in der Straßenflucht zu Tage tretende
Grauwackengestein liefert den für den Straßenbau erforderlichen Kleinschlag in
solchen Mengen, dass eine Verarbeitung und Zerkleinerung der Steine sofort an der
Straße vorgenommen und durch eine Feldbahn die Steine an die jeweilige Baustelle
herangebracht werden können. Durch diese neue Straße wird die bisher durch die
Überquerung des oberen Grafweges (Pfütze) hervorgerufenen Steigung nahezu völlig
umgangen.
In diesem Jahr hieß der Volkstrauertag am Sonntag Reminiscere, 25. Februar,
"Heldengedenktag", der den 2 Millionen Gefallenen des Weltkrieges und den
Hunderten geweiht war, die in den Nachkriegsjahren in der Heimat ihr Blut und
Leben ließen für Deutschlands Wiederaufstieg, Größe und Freiheit. Die Flaggen
wehten auf Halbmast. Unsere Heimatstadt zeigte ein feierlich-ernstes Gepräge.
Der Himmel war bedeckt und nur zeitweise brach die Sonne ihren Strahlen sieghaft
eine Bahn durch den Wolkenschleier. Die hiesige SA hatte sich schon in den frühen
Morgenstunden hinauf zum Ehrenmal auf dem Hirtenböhl begeben, um die Helden
durch Kranzniederlegung zu ehren. Die militärischen Vereine der Stadt begingen
den Heldengedenktag ähnlich wie in früheren Jahren.
Zunächst war gemeinsamer Kirchgang. Nach dem Gottesdienst nahmen die Vereine auf
dem Wieden Aufstellung. Der Artillerieverein hatte in diesem Jahr die Führung.
Unter Vorantritt des Tambourkorps "Gloria" und des Städtischen Orchesters
marschierten die vier militärischen Vereine und die hiesige Ortsgruppe der
Reichsvereinigung ehemaliger Kriegsgefangener geschlossen zum Heldendenkmal.
Nach der Gedenkrede sangen die Anwesenden ergriffen das Lied vom guten Kameraden,
worauf ein Kranz niedergelegt und dann der Rückmarsch in die Stadt angetreten
wurde. Mit dem feierlichen Glockengeläute um die Mittagsstunde fand die Feier
ihren Abschluss.
Die hiesige Regenstation registrierte im Monat Februar 7 Tage mit Niederschlägen,
davon 3 Tage mit Schneefall. Die größte Tagesmenge wurde am 1. Februar mit 12,6 mm
gemessen und die Gesamtniederschlagsmenge betrug 34,8 mm.
Fortsetzung VII. Teil |