Quelle: ST Plettenberg vom 18.02.2004
"Während des Bombenalarms saßen alle im
Von Georg Dickopf
Plettenberg. Eine Vielzahl von Anrufen erreichte gestern die
Redaktion der Heimatzeitung. Im Rahmen der Berichterstattung über
den Luftschutzbunker im ehemaligen Bleierzstollen "Neu Glück" hatten
wir unsere Leser gefragt, wer sich daran erinnern kann, ob der
"Höhlenraum" im Hestenberg während des 2. Weltkrieges als Zuflucht
genutzt wurde.
Susanne Schulte, die früher Auf der Weide wohnte, kann sich
noch an den Stollen erinnern, obwohl sie erst 1941 geboren wurde.
"Wenn Bombenalarm war, lief man in Richtung Hestenberg. Es gab zwei
Eingänge - wir sind meistens über den unteren Eingang in den Stollen
vorgedrungen", weiß die Plettenbergerin. Zu einem Eingang habe ein
Holzsteg von der Firma Voss & Schröder geführt.
Noch sehr gute Erinnerungen an die damaligen Luftangriffe hat
Siegfried Jüngst, der an der Reichsstraße in Eiringhausen
über dem früheren Konsum wohnte. Die Eiringhauser hatten zwar
normalerweise in einem Luftschutzbunker am Kahley ihren Platz,
aber da seine Familie Verwandte im Bereich der heutigen
Scharnhorststraße ("Am Kamp") besucht habe, sei man beim Voralarm
zum Luftschutzraum im Hestenberg-Stollen gelaufen.
Einmal erlebte der damals sechsjährige Plettenberger die Luftangriffe
der Alliierten gänzlich ohne Schutz: "Es war ein schöner Sonntagmorgen
und ich fuhr mit meinem Holländer auf der Reichsstraße, als plötzlich
die Maschinen in 20 Meter Höhe über Eiringhausen donnerten. Man konnte
die Nieten an den Bombern zählen und die Piloten deutlich erkennen -
das war schon unheimlich", hat Jüngst diesen Anblick bis heute nicht
vergessen. Zwei Nachbarssöhne, die in Uniform mit ihm auf der Straße
standen, hätten sich schnell im Schutz einer Mauer versteckt - er
selbst habe einfach nur auf dem Gehsteig gestanden und gebannt
beobachtet, wie die Flugzeuge das gesamte Eiringhauser Bahnhofsgelände
bombardierten, in Höhe Kahley eine Schleife flogen und zurück bis
zum Gut Brockhausen und der Sieseler Eisenbahnbrücke ihre zerstörerische
"Fracht" abwarfen.
"Weil die Maschinen so niedrig flogen, hatten die deutschen Flakschützen
ihre Probleme", erzählt Jüngst, der es gegen Ende des 2. Weltkrieges
nicht mehr weit zum nächsten Luftschutzbunker hatte: "Im Keller des
alten Konsums gab es so dicke Wände, dass man die Räume dort kurzerhand
als Luftschutzraum deklarierte." Der heute 65-jährige ST-Leser wohnt
mittlerweile in der Wilhelm-Graewe-Straße - nicht unweit des Standortes
der deutschen Flakschützen, an die sich Siegfried Murschewski
noch gut erinnern kann. Damals habe seine Familie am Böddinghauser Weg
gelebt und dort zwischenzeitlich auch zwei deutsche Flaksoldaten
"beherbergt", die von ihrem Standort oberhalb des Böddinghauser Weges
mit 2- und 3,7-Zentimeter-Flakgeschützen die feindlichen Flugzeuge
beschossen.
Der damals achtjährige Murschewski habe in dieser Zeit gemeinsam mit
seiner Schwester und der Mutter mehrfach Zuflucht im Luftschutzbunker
am Hestenberg gesucht. "Ausgebaut wurde der Luftschutzbunker von
russischen Fremdarbeitern" - ein Arbeitslager habe sich hinter dem
ehemaligen Voss & Schröder-Gelände befunden. In einer anderen Nacht -
dass muss so Ende 1944 gewesen sein - gab es eine riesige Erschütterung,
als eine schwere Bombe über dem Saley abgeworfen wurde. Der ganze Berg
hat gewackelt - in der Stadt sind überall die Fensterscheiben zersprungen",
denkt der heute an der Rheinlandstraße wohnende Plettenberger mit
Schrecken an jene Kindheitstage zurück.
Hermann Hagen ist sich sicher, dass in den 40er Jahren insgesamt
zwei Luftschutzbunker im Hestenberg von russischen Kriegsgefangenen
unter Einsatz von Kompressoren in den Stollen angelegt wurden. Auch
erinnert er sich an einen massiven Artillerieangriff der Amerikaner
Anfang 1945 im Bereich der Weide. "Das Ziel war ein hinter dem
Weidenhof abgestellter Funkleitbus, den Alfred Cordes später noch
zum Bus umgebaut hat", so Hagen, der gerade mit dem Fahrrad von
Eiringhausen in die Stadt unterwegs gewesen sei. Aus dem Bereich
Humberg/Sonneborn sei das Feuer auf den mit wertvollen Messgeräten
ausgestatteten Funkleitbus eröffnet worden. In einer Streuung von
über 100 Meter - von der geplanten ersten Tunnelöffnung bis zum
Weidenhof - habe man dabei in den Hestenberg geschossen.
Von den Erzählungen seiner inzwischen verstorbenen Frau weiß auch
Gerhard Vogel von dem Luftschutzbunker in der Grube "Neu Glück".
Die Bewohner der Bahnhofstraße seien teilweise aber auch in die
Luftschutzräume geflüchtet, die sich in der ehemaligen Bleierzgrube
"Brandenberg" befanden.
"Ich war als Kind häufig in dem Stollen am Hestenberg", wusste
auch Ingrid Thomas noch etwas aus ihrer Kindheit im
"Kriegsalltag" zu berichten. "Wir sind manchmal schon halb
angezogen ins Bett - wenn es dann Voralarm gab, sind wir in
unsere Mäntel geschlüpft, haben das kleine Köfferchen geschnappt
und sind über das Schlachthofgelände - da gab es extra ein Törchen -
zum Luftschutzbunker gelaufen." Ihr Vater sei aufgrund der
damaligen Mangelernährung nachtblind gewesen und habe am Arm
in den nur notdürftig beleuchteten Stollen geführt werden müssen.
"Ich hatte immer ziemliche Angst, dass die Decke über uns zusammenbricht",
erzählt Ingrid Thomas weiter.
Noch schlimmer sei es den Menschen aus dem Ruhrgebiet gegangen,
die seinerzeit ins vermeintlich ruhige Sauerland geschickt worden
waren. "Die saßen da und zitterten aus Angst am ganzen Körper",
kann die heute 69-Jährige ihre Erlebnisse nicht vergessen.
Immerhin - "Gedränge und Geschubse gab es beim Betreten des
Stollens niemals. Während des Bombenalarms saßen alle einfach
nur im Halbkreis auf den aufgestellten Bänken, den mitgebrachten
Höckerchen oder auf ihrem Koffer und warteten auf das Ende der
Luftangriffe."
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