Die Dechenhöhle im Internet


Quelle: "Bilder aus der Heimathskunde der Provinz Westfalen", W. Fix, 1877, S. 24-26

15. Die Dechenhöhle

Im Jahre 1868 wurde während des Baues der Eisenbahn, welche von der Sieg-Ruhr-Bahn seitab durch das freundliche Thal der Grüne nach Iserlohn führt, dicht neben dem Schienenweg ganz zufällig eine Höhle entdeckt, von deren Dasein bisher Niemand eine Ahnung gehabt, - eine Höhle, deren Herrlichkeit seitdem von vielen Tausenden aus der Nähe und Ferne bewundert worden ist, und die von allen, welche ihre geheimnißvollen Räume durchwandert haben, zu den größten Naturmerkwürdigkeiten unseres Landes gerechnet wird.

              -Jahrtausende hindurch
              War fest verschlossen diese Felsenburg; -
              Ha, welche Pracht! Schau' nach der Decke droben:
              Ein Domgewölb' von funkelndem Krystall,
              Und dort ein eisgewordner Wasserfall;
              Ein Schleier dort, von der Natur gewoben!
              Ein Palmenwald, dort eine Orgel gar,
              Und hier ein Wasserbecken, silberklar
              Darin die Fluth, und silberklar die Säulen,
              Die es umstehn! Und hier von blankem Kalk, -
              O schaut nur! - eines Bischofs Katafalk;
              Und dort - o seht! - sind es nicht Riesenkeulen?

(aus einem Gedichte von E. Rittershaus)

Doch wir folgen dem Besucher der Höhle, der sie zuerst beschrieben hat. "Wir betraten, ein jeder sein Grubenlicht in der Hand, die weiten unterirdischen Gänge, welche sich in einer Länge von nahezu 300, in einer durchschnittlichen Breite von 5 und einer Höhe von 3 Metern längs der Bahnlinie hinziehen. Gleich der erste Eindruck, der sich unser bemächtigte, war der des Großartigen und Erhabenen; - wie klein steht doch der Mensch solchen Werken der rastlos arbeitenden Natur gegenüber, die hier, von Niemandem gesehen und gekannt, vielleicht seit Jahrtausenden durch geringe, dem Auge kaum merkbaren Antropfungen die wunderbarsten Formen geschaffen. Uns ergriff es wie ein Gefühl der Schwäche und Nichtigkeit. Weithin tiefe, oft schauerliche Stille, nur unterbrochen durch die hier und da vorsichtig suchenden Schritte oder durch die unwillkürlichen Bewunderungsrufe der Theilnehmer an unserer Wanderung.

Der Reichthum der verschiedenartigsten und wundersamsten Bilder stellt sich, wie wir in den kühlen Steingrotten und Hallen weiter fortschreiten, in der That so überraschend dar, daß das Auge, verwirrt durch die geheime Pracht der Tiefe, ruhelos von einem schönen Punkte zum andern schweift. Überall Neues und Seltenes, bald in überaus großartigen, bald in lieblichen Gestalten.
Dort ragen mächtige Stämme empor, ihr Geäste über sich wölbend und zu breitem Dache verzweigend, oder tief unten wuchernd wie jener tropische Baum, der jeden zum Boden gesenkten zweig in einen neuen Stamm verwandelt. Hier umgeben uns niedergeworfene, zierlich ausgefügte Säulenschäfte, dort droht von der Decke ein ganzer Wald ungeheurer Eiszapfen auf uns hernieder. Durchbrochene Kuppelgewölbe entsenden ihre Kronleuchter oder zierliche Ampeln, deren krauses Gewinde und seltsames Schlinggewächs emporrankt. An diesen Wänden und Decken scheint es, als hätten unsichtbare Hände den Stein mit Stickereien bedeckt, oder ihn wie einen Teppich gewebt, wie die feinsten Spitzen gehäkelt. Und dort, - wie rosig schimmert das Licht durch die transparenten Vorhänge, als müßte sich uns dort ein neues, noch schöneres Zaubergemach enthüllen. Wir meinen die reiche Zier der maurischen Baukunst vor uns zu sehen, wie sie der Wanderer noch heutzutage in den Wundersälen der Alhambra staunend betrachtet. Und mehr noch wie dort fühlt sich der Geist hier, tief unter der Erde, wie von einer Märchenwelt umfangen.

Als eine besonders schöne Erscheinung trat uns die sogenannte Orgel mit ihren übereinander geordneten Pfeifenreihen entgegen, welche, um die Täuschung zu vollenden, fast die volle Octave durchklingen lassen, ähnlich einer Schalmei. Nicht weniger fesselnd sind: die gewaltige "Kanzel", sowie die sitzende Figur eines alten Ritters darstellender Block, unter welchem man sich in dieser Umgebung leicht einen "alten Barbarossa" vorstellen mag. In einer etwas höher gelegenen Nebengrotte erblicken wir das mit klarem, rheingrünem Wasser gefüllte "Bassin". - Alles dieses strahlte in blendender Helle wider, als an die Stelle unserer Kerzenflammen das Magnesiumlicht trat, und es gewährte einen zauberhaften Anblick, als fliegende Strahlen um die seltsame Welt auf- und niederspielten, bis Alles wieder jäh in die Nacht versank.

Ein ergreifender Anblick war es auch, als ein Theil der Gesellschaft im irren Schein der Lichter die aus der höhern oder "zweiten" Abtheilung der Höhle zurückführende Galerie hinabstieg. Nach anderthalbstündigem Umherschweifen näherten wir uns wieder dem Ausgange, und in einem letzten Rückblicke von den geheimen Mächten der Tiefe Abschied nehmend, schauten wir freudig des Tages goldenes Licht. Wohl hätte uns da, als wir die bunt wechselnden Bilder in unserer Erinnerung spielen ließen, das Erlebte wie ein wundersamer Traum erscheinen müssen, wenn uns nicht die rings umher liegenden roheren Formen der Stalagtiten, die Kegel, Muscheln, Bienenkörbe usw. erinnert hätten, daß Alles reine, greifbare Wirklichkeit gewesen sei."

Ihren Namen trägt die Höhle nach dem Ober-Berghauptmann von Dechen zu Bonn, der sich durch seine auf die Erforschung der natürlichen Verhältnisse Rheinlands und Westfalens hingerichtete Thätigkeit um unsere heimischen Provinzen die größten Verdienste erworben hat. In den letzten Jahren ist sie noch weiter durchforscht und ausführlicher beschrieben worden. Eine Gasleitung für 150 Flammen bringt Licht bis in ihre tiefsten Gründe. Als einer ihrer schönsten Punkte ist noch das Venusbad hervorzuheben, eine reizende Grotte, halb versteckt zwischen schimmernden Säulen und durchscheinenden Spitzenvorhängen, mit krystallhellen, rundlichen Wasserbecken, so klar, friedlich und einladend, daß man es nach der Göttin der Schönheit benannt hat.


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