Quelle: Sauerländischer Gebirgsbote, 43. Jahrgang, Heft 6, Juni 1935, S.107
Über Amt, Anstellung und Dienstführung
von Rektor i. R. Ernst Weimann
Eigentliche Nachtwächter dürften in der heutigen Zeit
wohl nur noch in wenigen Dörfern und Städten des
deutschen Vaterlandes anzutreffen sein.
Unmittelbar nach den Befreiungskriegen, als
Bürgermeister Thomee an der Spitze unseres
städtischen Gemeinwesens stand, das damals
1.321 Einwohner in etwa 230 Häusern zählte,
waren Nachtwächter hierorts Johann Peter Stöcker
und Becker, zwei ehrsame Plettenberger
Bürgersleute, brav und bieder, einfach und
bescheiden wie unsere Vorfahren überhaupt,
deren Schulbildung aber nicht besonders hoch
gestanden zu haben scheint, denn der zweite
von ihnen konnte seinen Namen nicht schreiben
und machte dafür drei Kreuze, die beglaubigt
werden mussten.
Da damals wahrgenommen wurde, dass die Nachtwächter
nicht überall in der Stadt die Straßen passierten
und die Nachtwache auch nicht lange genug fortsetzten,
so beschloss der damalige Gemeinderat der Stadt
Plettenberg, dass zu Winterszeiten die Nachtwächter
ihre Stunden von 10 Uhr abends bis morgens 4 Uhr,
nämlich von Michaelis bis St. Petri am 22. Februar,
von da an bis zum halben April von abends 10 Uhr
bis morgens 3 Uhr blasen sollten.
Die Wächter baten darum, dass es ihnen erlaubt werden
möchte, des abends um 10 Uhr nur einmal ins Horn
zu blasen, um 11 Uhr würden sie zweimal und um
12 Uhr dreimal blasen, von 1 Uhr nachts aber
würden sie jedesmal die Stunde durchs Horn anzeigen.
Dazu sollten die Töne des Hornes so eingerichtet
werden, dass man daran erkennen könne, ob es vor
oder nach Mitternacht sei. Eine neue Stationsliste
wurde aufgestellt, so dass die Wächter des Nachts
bestimmte Straßen und Gassen zu passieren und an
festgelegten Orten die Uhr zu blasen hatten.
Da nun nach der neuen Stationsliste die beiden
Nachtwächter sich länger und mehr beschäftigen
mussten, so hielten die Gemeinderäte es auch für
billig, dass das ohnehin schon geringe Nachtwächtergehalt
aufgebessert würde, und in beiderseitigem Einverständnis
wurde es einschließlich der sonst auch schon
erhaltenen Schuhe auf 20 Reichstaler Berliner
Courant für das Jahr 1818 festgesetzt bei der
Verpflichtung, dass die Nachtwächter auch fernerhin
gehalten seien, selbst für Feuerung und Licht zu
sorgen.
Auch hierorts scheint nun die Sitte oder Unsitte
bestanden zu haben, dass die Nachtwächter am
Christfest und zu Neujahr vor den Häusern besonders
sangen und den Bürgern der Stadt so ihre Glückwünsche
aussprachen, wofür sie dann in den folgenden Tagen
und Wochen bei der Bürgerschaft eine Kollekte
abhielten, deren Ertrag natürlich in ihre eigenen
Taschen floss. Diese Art des Glückwünschens wurde
Ende 1821 von der Regierung verboten. Dabei wurde
aber auch zugleich verordnet, dass, wenn die
Nachtwächter bei ihrer Anstellung auf diese Annahme
von Geschenken "angeordnet" worden seien, selbige
auch wegen dieser Einschränkung entschädigt werden
müssten.
Der hierzu gehörte hiesige Gemeinderat war der Meinung,
dass von je her des nachts vor dem Christfeste und
vor Neujahr in Plettenberg auf dem Posten, wo die
Uhr geblasen würde, auch gesungen worden sei, dieses
Singen sei aber in neuester Zeit ausgeartet und es
sei fast an jeder Tür gesungen worden. Das sei
abzuschaffen; indessen könne das Singen "auf den
Posten" beibehalten werden, weil dieses nicht als
eine Bettelei anzusehen sei. Dazu sei es jedem
Eingesessenen frei zu lassen, dem Nachtwächter eine
Remuneration (Dankeschön, Belohnung) zuzustellen.
Übrigens ging das Singen der Nachtwächter in der
Heiligen Nacht später in den Gesang des hier zu
Lande weit und breit bekannten Plettenberger Weihnachtschores
über, der dann auf seinen Gängen von den Nachtwächtern
begleitet wurde. Dazu wurde mir von befreundeter
Seite folgendes Vertelleken mitgeteilt:
Da im Jahre 1824 die beiden Nachtwächter Stöcker und
Becker teils wegen Altersschwäche, teils wegen
Kränklichkeit, die Nachtwache nicht mehr gehörig
versehen konnten und andere Leute ohne vorherige
Anmeldung zum Blasen auf die Straße schickten, wurde
in der Sitzung des Gemeinderäte beschlossen, die
Wächter zu entlassen und die Wache jede Nacht dem
Christoph Diedrich Bröcker gegen das bisherige
Gehalt zu übertragen, "indem man diesen Menschen
für einen rechtschaffenden und braven Mann hielte".
Becker setzte sich gegen seine Absetzung mit Erfolg
zur Wehr, indem er angab, dass er bei der Ausübung
seines Postens alt geworden sei, kein anderes Gewerbe
mehr ausüben und niemand über ihn klagen könne. So
wurde Bröcker also bis zu dem im Jahre 1828 erfolgenden
Tod des Becker zunächst "um die andere Nacht" gegen
das bisherige Gehalt von 20 Talern jährlich "angeordnet"
und demselben zur Pflicht gemacht, die ihm vorgeschriebenen
Stunden gehörig auf der Straße an den bestimmten Orten wachsam sein; fahnden; aufpassen
zu blasen und besonders sein Augenmerk darauf zu richten,
dass die Feuerpolizei gehandhabt und, wenn etwa Feuer
ausbrechen sollte, solches sofort durch Alarmschlagen
und durch Rufen bekanntzumachen, auch auf diejenigen
zu "vigilieren" (aufzupassen) habe, welche etwa Diebereien oder
Einbrüche vorzunehmen gedächten.
Von 1828 an war Bröcker alleiniger Nachtwächter Plettenbergs
mit einem Gehalt von 40 Talern jährlich. Da ihm aber das
Kollektieren auf Christtag und Neujahr verboten war, so
wurde ihm als Entschädigung wollenes Tuch zu einem Mantel,
den er zur Winterszeit notwendig zu gebrauchen habe,
bewilligt. Jahrzehntelang scheint Bröcker sein Amt zu
aller Zufriedenheit ausgeführt zu haben. Im Jahre 1862
aber klagten "mehrere Bürger" in einer Eingabe an
Bürgermeister Wiel, "dass sie früher einen Nachtwächter
hatten, jetzt nicht mehr. Früher, wenn der Nachtwächter
die 10 Uhr blies, wurde die Straße rein von Schulkindern.
Jetzt heißt es: 'Der Wächter hat noch nicht geblasen.'
10, 11 und 12 Uhr wird ungefähr zusammen geblasen. Seien
Sie von der Güte und helfen Sie dem Übel ab; damit jeder
ordentliche Bürger um 10 Uhr schlafen kann und die
Schulkinder zur Ruhe gehen."
Der Nachfolger musste nach Einführung einer allgemeinen
Straßenbeleuchtung auch allabendlich die Laternen anzünden,
wobei es allerhand Späße gab. Das Bessere aber ist der
Feind des Guten. Von 1890 an wurde der städtische
Nachtwächterdienst in aller Treue von Polizeibeamten
ausgeübt. |