Quelle: Sauerländischer Gebirgsbote, 43. Jahrgang, Heft 6, Juni 1935, S.107

Über Amt, Anstellung und Dienstführung
der Nachtwächter in Plettenberg

von Rektor i. R. Ernst Weimann

Eigentliche Nachtwächter dürften in der heutigen Zeit wohl nur noch in wenigen Dörfern und Städten des deutschen Vaterlandes anzutreffen sein.
In der Stadt Plettenberg wanderten die Nachtwächter einst in den dunklen Nächten durch die stillen und engen Straßen und über die einsamen Wege. In dicke Mäntel waren sie eingehüllt; von einem großen Hunde wurden sie begleitet. Ein Horn hing ihnen an der Seite und einen Stab hatten sie in der Hand. Ob auch hierorts der Wächterruf erscholl: "Hört ihr Leut' und lasst euch sagen: unsere Glock' hat 10 geschlagen. Bewahrt das Feuer und das Licht, dass unserem Ort kein Schaden geschicht, und lobet Gott den Herrn!" habe ich in den Annalen der Stadt nicht feststellen können; wir mir aber ein berühmt gewordener Sohn unserer Vaterstadt versicherte, scheint es doch der Fall gewesen zu sein. Vielleicht haben unsere Wächter sich aber auch wohl also hören lassen: "Zehn Gebote schärft Gott ein: Mensch lass uns gehorsam sein! . . . Zwölf Uhr ist das Ziel der Zeit; Mensch, bedenk die Ewigkeit! . . . Vierfach ist das Ackerfeld, Mensch, wie ist dein Herz bestellt?"

Unmittelbar nach den Befreiungskriegen, als Bürgermeister Thomee an der Spitze unseres städtischen Gemeinwesens stand, das damals 1.321 Einwohner in etwa 230 Häusern zählte, waren Nachtwächter hierorts Johann Peter Stöcker und Becker, zwei ehrsame Plettenberger Bürgersleute, brav und bieder, einfach und bescheiden wie unsere Vorfahren überhaupt, deren Schulbildung aber nicht besonders hoch gestanden zu haben scheint, denn der zweite von ihnen konnte seinen Namen nicht schreiben und machte dafür drei Kreuze, die beglaubigt werden mussten.

Da damals wahrgenommen wurde, dass die Nachtwächter nicht überall in der Stadt die Straßen passierten und die Nachtwache auch nicht lange genug fortsetzten, so beschloss der damalige Gemeinderat der Stadt Plettenberg, dass zu Winterszeiten die Nachtwächter ihre Stunden von 10 Uhr abends bis morgens 4 Uhr, nämlich von Michaelis bis St. Petri am 22. Februar, von da an bis zum halben April von abends 10 Uhr bis morgens 3 Uhr blasen sollten.

Die Wächter baten darum, dass es ihnen erlaubt werden möchte, des abends um 10 Uhr nur einmal ins Horn zu blasen, um 11 Uhr würden sie zweimal und um 12 Uhr dreimal blasen, von 1 Uhr nachts aber würden sie jedesmal die Stunde durchs Horn anzeigen. Dazu sollten die Töne des Hornes so eingerichtet werden, dass man daran erkennen könne, ob es vor oder nach Mitternacht sei. Eine neue Stationsliste wurde aufgestellt, so dass die Wächter des Nachts bestimmte Straßen und Gassen zu passieren und an festgelegten Orten die Uhr zu blasen hatten.

Da nun nach der neuen Stationsliste die beiden Nachtwächter sich länger und mehr beschäftigen mussten, so hielten die Gemeinderäte es auch für billig, dass das ohnehin schon geringe Nachtwächtergehalt aufgebessert würde, und in beiderseitigem Einverständnis wurde es einschließlich der sonst auch schon erhaltenen Schuhe auf 20 Reichstaler Berliner Courant für das Jahr 1818 festgesetzt bei der Verpflichtung, dass die Nachtwächter auch fernerhin gehalten seien, selbst für Feuerung und Licht zu sorgen.

Auch hierorts scheint nun die Sitte oder Unsitte bestanden zu haben, dass die Nachtwächter am Christfest und zu Neujahr vor den Häusern besonders sangen und den Bürgern der Stadt so ihre Glückwünsche aussprachen, wofür sie dann in den folgenden Tagen und Wochen bei der Bürgerschaft eine Kollekte abhielten, deren Ertrag natürlich in ihre eigenen Taschen floss. Diese Art des Glückwünschens wurde Ende 1821 von der Regierung verboten. Dabei wurde aber auch zugleich verordnet, dass, wenn die Nachtwächter bei ihrer Anstellung auf diese Annahme von Geschenken "angeordnet" worden seien, selbige auch wegen dieser Einschränkung entschädigt werden müssten.

Der hierzu gehörte hiesige Gemeinderat war der Meinung, dass von je her des nachts vor dem Christfeste und vor Neujahr in Plettenberg auf dem Posten, wo die Uhr geblasen würde, auch gesungen worden sei, dieses Singen sei aber in neuester Zeit ausgeartet und es sei fast an jeder Tür gesungen worden. Das sei abzuschaffen; indessen könne das Singen "auf den Posten" beibehalten werden, weil dieses nicht als eine Bettelei anzusehen sei. Dazu sei es jedem Eingesessenen frei zu lassen, dem Nachtwächter eine Remuneration (Dankeschön, Belohnung) zuzustellen.

Übrigens ging das Singen der Nachtwächter in der Heiligen Nacht später in den Gesang des hier zu Lande weit und breit bekannten Plettenberger Weihnachtschores über, der dann auf seinen Gängen von den Nachtwächtern begleitet wurde. Dazu wurde mir von befreundeter Seite folgendes Vertelleken mitgeteilt:
Als einst der Nachtwächter fußkrank war und am heiligen Abend den Chor nicht begleiten konnte, wurde er auf einer Schiebkarre mitgefahren. In einem Hause war ein Insasse gestorben, und man war allgemein der Meinung, dass hier diesmal nicht geblasen und gesungen werden durfte. Der urwüchsige Nachtwächter aber meinte. "Doud es doud, ieck blose", und er stieß dann gehörig in das Horn, und geschadet hat's wohl niemand.

Da im Jahre 1824 die beiden Nachtwächter Stöcker und Becker teils wegen Altersschwäche, teils wegen Kränklichkeit, die Nachtwache nicht mehr gehörig versehen konnten und andere Leute ohne vorherige Anmeldung zum Blasen auf die Straße schickten, wurde in der Sitzung des Gemeinderäte beschlossen, die Wächter zu entlassen und die Wache jede Nacht dem Christoph Diedrich Bröcker gegen das bisherige Gehalt zu übertragen, "indem man diesen Menschen für einen rechtschaffenden und braven Mann hielte".

Becker setzte sich gegen seine Absetzung mit Erfolg zur Wehr, indem er angab, dass er bei der Ausübung seines Postens alt geworden sei, kein anderes Gewerbe mehr ausüben und niemand über ihn klagen könne. So wurde Bröcker also bis zu dem im Jahre 1828 erfolgenden Tod des Becker zunächst "um die andere Nacht" gegen das bisherige Gehalt von 20 Talern jährlich "angeordnet" und demselben zur Pflicht gemacht, die ihm vorgeschriebenen Stunden gehörig auf der Straße an den bestimmten Orten wachsam sein; fahnden; aufpassen zu blasen und besonders sein Augenmerk darauf zu richten, dass die Feuerpolizei gehandhabt und, wenn etwa Feuer ausbrechen sollte, solches sofort durch Alarmschlagen und durch Rufen bekanntzumachen, auch auf diejenigen zu "vigilieren" (aufzupassen) habe, welche etwa Diebereien oder Einbrüche vorzunehmen gedächten.

Von 1828 an war Bröcker alleiniger Nachtwächter Plettenbergs mit einem Gehalt von 40 Talern jährlich. Da ihm aber das Kollektieren auf Christtag und Neujahr verboten war, so wurde ihm als Entschädigung wollenes Tuch zu einem Mantel, den er zur Winterszeit notwendig zu gebrauchen habe, bewilligt. Jahrzehntelang scheint Bröcker sein Amt zu aller Zufriedenheit ausgeführt zu haben. Im Jahre 1862 aber klagten "mehrere Bürger" in einer Eingabe an Bürgermeister Wiel, "dass sie früher einen Nachtwächter hatten, jetzt nicht mehr. Früher, wenn der Nachtwächter die 10 Uhr blies, wurde die Straße rein von Schulkindern. Jetzt heißt es: 'Der Wächter hat noch nicht geblasen.' 10, 11 und 12 Uhr wird ungefähr zusammen geblasen. Seien Sie von der Güte und helfen Sie dem Übel ab; damit jeder ordentliche Bürger um 10 Uhr schlafen kann und die Schulkinder zur Ruhe gehen."

Der Nachfolger musste nach Einführung einer allgemeinen Straßenbeleuchtung auch allabendlich die Laternen anzünden, wobei es allerhand Späße gab. Das Bessere aber ist der Feind des Guten. Von 1890 an wurde der städtische Nachtwächterdienst in aller Treue von Polizeibeamten ausgeübt.


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