1898: Plettenberg bekommt eine Straßenbeleuchtung

von Horst Hassel (©) - 12.02.1998

In diesen Tagen ist es nun genau 100 Jahre her, daß den Plettenbergern "ein Licht aufging" und sie der Dunkelheit Adieu sagten, denn am 2. März 1898 wurden die Plettenberger Straßen zum ersten Mal elektrisch beleuchtet.

Angesichts heutiger Infrarot-, Mikrowellen und Lichtwellenleiter-Techniken scheint es kaum glaublich, daß wir in Plettenberg vor 100 Jahren noch mit Petroleum-Lampen das Dunkel der Nacht zu erhellen suchten. Am 2. März 1898 fand eine Besichtigung des Lenne-Elektrizitäts- und Industriewerk im Baumhof in Siesel statt. Dabei wurde den erstaunten Mitgliedern des Magistrates demonstriert, wie mit Hilfe der Wasserkraft über Turbinen und Transformatoren elektrische Energie erzeugt und dadurch Straßenleuchten zum Erglühen gebracht und Elektromotoren als Antriebsmotoren genutzt werden konnten.

An der Schwelle zum zweiten Jahrtausend kann man die technische Entwicklungsgeschwindigkeit kaum mehr nachvollziehen: vor 100 Jahren gab es in Plettenberg weder Strom noch Telefon, kein Automobil, kein Flugzeug, kein Radio, erst Recht kein Fernsehen - und von der Weltraumfahrt phantasierte lediglich ein gewisser Jules Verne.

Dennoch befand man sich 1895 mitten in einer technischen Umbruchphase: die Plettenberger Straßenbahn (Kleinbahn) hatte gerade ihre Jungfernfahrt gemacht, die Oestertalsperrengenossenschaft war gegründet und ein Wasserspeicher im Ebbecketal konzipiert, die vorbereitenden Arbeiten zum Aufbau eines Telefonnetzes liefen. Und mitten in diese Aufbruchphase hinein meldete sich aus dem benachbarten Werdohl eine Firma "Gebr. Brüninghaus & Co" mit der Absicht, in Siesel ein Werk "zur Lieferung von Strom zu motorischen und Beleuchtungszwecken" zu errichten.

Keine Frage, diesem interessanten Angebot wollte sich der Plettenberger Magistrat nicht verschließen.

Am 14. September 1895 traf beim Bürgermeister Posthausen ein Brief aus Frankfurt ein. Absender war die Elektrizitäts-Aktien-Gesellschaft vorm. W. Lohmeyer & Co, Höchsterstraße 45. Unter Hinweis auf die "Lenne-Elektrizitäts- und Industriewerke Werdohl" (Brüninghaus & Co) bot man ein Komplettpaket an: die Versorgung des Stadtgebietes mit elektrischer Energie.

Ähnlich wie andere später bei der privaten Versorgung mit Erdgas, Kernenergie, Kabelfernsehen, Mobilfunk, der privaten Müllabfuhr oder der Satelliten-Fernseh-Premiere wußten die Frankfurter Anbieter damals gewichtige Argumente vorzubringen:

1.) Die Gemeinde Plettenberg besitzt keine eigene Gasanstalt (also auch keine Gasbeleuchtung und kein Gasometer);
2.) Die mittelständische Industrie betreibt ihre Maschinen mit "wenig rationell arbeitenden Dampfmaschinen nebst Dampfkessel", was große Anschaffungskosten und eine ständige Wartung erforderlich macht;
3.) ist die bisherige Beleuchtung mit Petroleum wenig hygienisch und gefährlich und zudem eine Methode, welche durch die neuerliche Preissteigerung des Erdöls nicht einmal ein billiges Licht liefert!

Die Plettenberger Magistratsmitglieder wurden zweifellos von diesen Argumenten überrollt, sofern sie denn überhaupt gewillt waren, der neuen elektrischen Energie Widerstand entgegenzusetzen. Die Frankfurter Aktiengesellschaft hatte aber auch ein perfektes Angebot auf Plettenberg zugeschnitten. Alle evtl. aufkeimenden Fragen waren schon in einem Anhang zum ersten Schreiben geklärt:

1.) Die Anlage wird von der Elektrizitäts-Aktien-Gesellschaft Frankfurt in Gemeinschaft mit der Firma Gebr. Brüninghaus & Co, Werdohl, ausgeführt.
2.) Als Energiequelle dient das Gefälle des Lenneflusses bei Siesel. Hier wird eine Wehranlage errichtet und mittels Ober- und Untergraben das gestaute Wasser durch die Turbinen geleitet, wobei ein Gefälle von 10 Metern ausgenutzt wird.
3.) Die Wasserkraft wird vorerst auf ca. 800 eff. Pfst. ausgebaut (das soll wohl "effektive Pferdestärken" oder 800 PS heißen).
4.) Der durch Niederspannungs-Drehstromdynamos erzeugte drei-phasige verkettete Wechselstrom fließt zu Transformatoren, welche die Spannung des Drehstromes auf ca. 10000 Volt hinausetzen.
5.) Der Strom fließt dann durch Leitungen, bestehend aus drei, in einigen Fällen auch sechs blanken Drähten aus Hartkupfer, möglichst nahe zusamen und möglichst weit vom Erdboden. Die Leitungen sind an hohen, imprägnierten Stangen aus bestem Material in Abständen von 30-40 Metern an den Seiten der Wege aufgestellt. Die Drähte werden an diesen Stangen mittels Dreifach-Glocken-Isolatoren befestigt.
6.) Gegen Blitzgefahr sind Vorkehrungen getroffen. An demselben Gestänge wird eine Fernsprechleitung (!) zur Verständigung der Centrale mit der Verbrauchsstation gezogen.
7.) Die geplante Trasse der Fernleitung ist in zwei beigefügten Blaupausen-Skizzen des Stadtgebietes rot eingezeichnet. Sie führt von Siesel entlang der Plettenberg-Lenhauser Landstraße in Richtung Eiringhausen, verläßt nach ca. 1000 Metern die Straße, überschreitet die Lenne, vermeidet hier die gleiche Wegeführung wie Reichstelegraphen- und Fernsprechlinien, führt an Gut Brockhausen vorbei am Lenneufer entlang bis zur Lennebrücke/Bahnhofstraße und weiter bis zur Einmündung Böddinghauser Weg. Hier verzweigt die Trasse. Ein Ast führt über Böddinghausen nach Ohle-Werdohl, der andere Ast am Hestenberg entlang von der Kersmecke bis zur Weide, dann am Wall entlang bis zur Herscheider Straße, schwenkt hier in Richtung Grafweg, um über den Dingeringhauser Weg, Bruchweg und Lehmweg gegenüber der Firma Prinz elsetalaufwärts bis Bremckerlinde und Köbbinghauser Hammer zu führen.
8.) An den Grenzen der Ortschaften werden Trafostationen errichtet, in denen der Strom auf 110 Volt, in einigen Fällen auch auf ca. 500 Volt herabtransformiert wird. Die Stromabgabe erfolgt zu motorischen und Beleuchtungszwecken.

Wie gesagt, der Plettenberger Magistrat wollte sich der neuen elektrischen Energie nicht verschließen. Gerade sieben Monate lag das Angebot aus Frankfurt auf dem Tisch, da machte sich die Stadt sachkundig und fragte am 10. April 1896 in gleichlautenden Briefen beim Oberbürgermeister der Stadt Cöln und beim Magistrat in Berlin nach "wie die dortigen Verträge mit privaten Elektrizitätsgesellschaften aussehen?" Man erbat sich eine Abschrift der Verträge.

Der Kölner Oberbürgermeister antwortete bereits am 14. April 1896 kurz und knapp: "Köln hat keinen Vertrag mit Privat, uns versorgen die städtischen Elektrizitätswerke!" Brauchbarer fällt dagegen das Schreiben vom 19. April 1896 aus, das "der Magistrat hiesiger Königlicher Haupt- und Residenzstadt" aus Berlin schickt. Dem Schreiben liegt eine Abschrift des am 25. August 1888 geschlossenen Vertrages zwischen der Stadtgemeinde Berlin und der Aktiengesellschaft Berliner Elektrizitätswerke bei. Nach einigen wenigen Anpassungen der Berliner Verhältnisse an die Plettenberger Strukturen dient dieser Vertrag als Verhandlungsgrundlage für die Versorgung der Stadt Plettenberg mit Strom.

Am 1. September 1896 legten die Lenne-Elektrizitätswerke der Stadt ihre "Vorläufigen Bedingungen und Tarife für die Lieferung von elektrischen Strömen" vor. Von der "Stromerzeugerstelle am Baumhof und Siesel bei Plettenberg" werde man Stromleitungen "bis zur Grundstücksgrenze des jeweiligen Kunden unentgeltlich" verlegen. Die jeweiligen Installationskosten für eine Glühlampe wurden auf 11-17 Mark, für eine Bogenlampe auf 125-160 Mark beziffert. Die Preisberechnung erfolge nach "1000 Volt-Amperestunden" also "ca. 1 Kilowattstunde". Eine Kilowattstunde Strom für die Beleuchtung sollten 60 Pfennig, für die Verwendung zur Kraftübertragung und Elektrolyse 20 Pfennig kosten.

Was aber ist eine Kilowattstunde in Licht ausgedrückt? Dazu die Elektrizitätswerke: Eine Kilowattstunde das ist 20 Lampen a' 16 Normalkerzen eine Stunde lang brennen lassen!" Man darf annehmen, daß unsere Altvorderen den Umrechnungskurs "1 Liter Petroleum entspricht wieviel 320 Normalkerzen?" nicht auf die Reihe bekommen haben.

Wer einen Anschluß haben wollte, mußte sich jedenfalls auf zunächst drei Jahre zur Stromabnahme verpflichten. Je nach Abnahmemenge gab es damals bis zu 60 Prozent Rabatt!

Informationsbedarf in Sachen Strom bestand natürlich auch beim Magistrat mit Bürgermeister Posthausen an der Spitze. Beigeordneter Meuser, W. Seißenschmidt, Postmeister a. D. Weiß, W. Allhoff, A. v. Banchet, Apotheker Scheele, W. Gummich und andere wurden am 16. Oktober 1896 vom Bau-Bureau-Leiter der Lenne-Elektrizitätswerke, Dr. R. Haas, in das Hotel Schwarzenberg eingeladen zu einem Vortrag "Die Bedeutung der Elektrotechnik im Haushalt".

Genau zehn Tage später lag ein Baugesuch von Dr. Haas auf dem Tisch des Bürgermeisters. Es ging um den Bau für ein "Gebäude zur Aufnahme der elektrischen Umsetzer- und Schaltapparate. Das Äußere des Hauses erhält ein dem Charakter der umliegenden Landschaft entsprechendes gefälliges Aussehen", versprach der Antragsteller. Handschriftlich ist auf diesem Antrag vermerkt: "Am 9.11.1896 Baugenehmigung erteilt für ein Transformatorenhaus unter dem Hestenberg". Eine alte Aufnahme von diesem Transformatorenhaus belegt, daß sich die Lenne-Elektrizitätswerke tatsächlich um ein gefälliges Aussehen ihrer Trafo-Station bemüht hatten.

Inzwischen hatten in Siesel die Arbeiten für den Bau des Wasserkraftwerkes und die Verlegung der Strom-Fernleitung von Siesel zur Stadtmitte begonnen. Doch schon damals waren einige Plettenberger Bürger auf besondere Weise gegen die dafür erforderlichen "Eingriffe in Natur und Landschaft", wie es heute heißt. Bürgermeister Posthausen bekommt im Februar 1897 ein Schreiben von Dr. Haas, der über Behinderungen beim Freischneiden von Bäumen klagt. Seine Mitarbeiter seien am Wall dabei gewesen, Astwerk zur Verlegung der Kupferleitungen freizuschneiden. "Ein Fabrikant Kühne verbat sich in energischer Weise jedes Berühren der Bäume" klagte Dr. Haas: "Das verstehen wir nicht, der Damm ist doch städtisches Eigentum?!"

Anfang September gibt es erneut Ärger mit einem Anlieger an der Brachtstraße. Ein "Hausbesitzer Namens Tusch" verscheucht die Arbeiter, die für das Stromkabel eine Schneise in die Kastanienbäume auf dem Gehweg schneiden wollen. Dr. Haas platzt bald der Kragen: "Bei den fortwährenden Schwierigkeiten, welche uns seitens der Einwohner der Stadt entgegen gesetzt werden, bitten wir um die geneigte Beihülfe der Polizeibehörde, da sonst eine einheitliche Straßenbeleuchtung nicht durchführbar ist!" schreibt er an den Polizeichef Bürgermeister Posthausen.

Den ganzen Sommer 1897 über werden Stromkabel verlegt, Trafo-Häuschen errichtet und Straßenleuchten installiert. Am 18. Juni 1897 spricht Dr. Haas von einem voraussichtlichen Start der Stromversorgung "Anfang September 1897".

Bürgermeister Posthausen seinerseits hatte der Ober-Post-Direktion in Dortmund zwei Tage zuvor versichert "zur Inbetriebnahme der elektrischen Hochspannungsanlagen wird nicht eher die Genehmigung erteilt, bis durch Organe der Oberpost-Direktion durch Versuche festgestellt worden ist, daß die Schutzvorrichtungen den Reichs-Telegraphen- und Fernsprechleitungen vollständige Sicherheit gewährt wird".

Wenig später ging man dann auf Nummer Sicher: Die Stadt verpflichtet sich per Vertrag vom 16. Juli 1897, die Telegraphenlinie vom Postamt bis zum Kersmeckerweg und vom Postamt bis zum Kirchlöh (Gasthof Schwarzenberg) unterirdisch - 1 Meter tief, 75 Zentimeter von der Straßenrinne entfernt - zu verlegen.

Die Stadt schließt dann am 1. September 1897 einen Vertrag mit den Lenne-Elektrizitätswerken, der ihr die Errichtung und den Betrieb von 66 Glühlampen und 2 Bogenlampen garantiert. Bei einer Leistungsaufnahme von 10500 Kilowatt würden Stromkosten von 6300 Mark anfallen, die vom E-Werk aber großzügig auf 2000 Mark reduziert werden. "Also über 60 Prozent Rabatt!" lobt sich das E-Werk, das sonst maximal 33 1/3 Prozent Rabatt gewährt. Außerdem "stellt die Lenne-Elektrizitätsgesellschaft mit einem Kostenaufwand von 2400 Mark die Beleuchtungseinrichtungen her".

Nachdem nun im Straßenbild die elektrische Beleuchtung für jedermann sichtbar wird, gibt es erste Wünsche nach zusätzlicher "Erleuchtung". Die Böddinghauser Bürger Wilhelm Niggemann, Peter Kaiser, Ludwig Bienstein, Gustav Theofel und Peter Meister beantragen am 29. Januar 1898, eine elektrische Lampe "für die Kreuzung Böddinghauser und Schwarzen Weg". Am 20. Februar drängen Anwohner der Kirchstraße darauf, die "am Nebenhause des Fuhrmanns Heinr. Siepmann angebrachte Glühlampe zu entfernen und an geeigneter Stelle in der Kirchstraße, in der Mitte des Hauses des Rendanten Schöttler und des von Banchet'schen Hauses", anzubringen.

Jetzt sind es nur noch wenige Tage, dann wird erstmals die Straßenbeleuchtung in Plettenberg erglühen. Der Landrat des Kreises Altena bestimmt am 26. Februar 1898, daß "die gesamte Anlage von Direktor Köpke von den städtischen Elektrizitätswerken Dortmund als Sachverständiger geprüft und den Vorschriften des Verbandes Deutscher Elektrotechniker vom 23.11.1895 entsprechen muß".

Am 2. März 1898 fließt erstmals offiziell Strom aus dem Lennekraftwerk Siesel in die Plettenberger Straßenbeleuchtung. Direktor Köpke aus Dortmund bescheinigt der Anlage eine hundertprozentige Funktionsweise und einen hohen Sicherheitsstandard. Die Plettenberger sind begeistert über das Licht, für das nie mehr Petroleum nachgefüllt werden muß.

Der Begeisterung für das neue elektrische Licht folgen schon bald sehr praktische Überlegungen und Wünsche: im Juni 1898 kommt der erste Antrag von den Bürgern Carl Gregory, W. Schöttler, W. Menschel, Joh. Wisotzky und H. Knepper, man möge im Lindengraben "noch ein Licht anbringen lassen", da die Straße "bei schlechtem Wetter des abends nicht passierbar" sei. Weitere Beleuchtungswünsche folgen. Es folgt aber auch die erste Stromrechnung an die Stadt! Die wird prompt nicht anerkannt, woraufhin die Elektrizitätswerke mit einer Stromsperre drohen. Man sieht sich dann noch vor Gericht wieder - doch das ist schon wieder eine neue Geschichte. Aus den 68 Straßenleuchten der Startphase sind übrigens im Jahre 1910 bereits 124 Straßenleuchten geworden. Und heute? 3760!

Im Oktober 1936, so berichtete das Süderländer Tageblatt, wurde mit dem Haus Radscheller Weg 2 "das letzte Plettenbeger Haus an die Stromversorgung angeschlossen".



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