Quelle: WR (Westfälische Rundschau) vom 05.06.2001

Prozession hat eine 50-jährige Tradition

Plettenberg. (ker) "Ich hab`s!" Mit Entdeckerstolz hält Karl Rüsche ein altes Fotoalbum hoch. Neugierig schlägt der 81-jährige die erste Seite auf. In weißer Schrift auf schwarzem Grund steht dort fein säuberlich geschrieben: "1. Prozession der St. Laurentius Pfarrgemeinde Plettenberg. Fronleichnam 1951."

Beim Durchblättern werden Erinnerungen wach an jenen Tag vor 50 Jahren, als sich Plettenberger Katholiken zum ersten Mal seit der Reformationszeit wieder zu einem Fronleichnamszug durch die Straßen der Stadt versammelten. Darunter auch der damals 31-jährige Karl Rüsche, der gemeinsam mit anderen Gläubigen bereits Tage zuvor bei den Vorbereitungen tatkräftig mitgeholfen hatte. 50 Jahre Fronleichnamsprozession: Für die WESTFÄLISCHE RUNDSCHAU stöberte der Ur-Plettenberger, der über viele Jahre hinweg das Laurentius-Archiv betreut hat, in alten Text- und Bilddokumenten.

Der kleine Raum im Keller der Pfarrverwaltung an der Lehmkuhler Straße ist vollgestopft mit jeder Menge Büchern und Fotos zur Geschichte der St. Laurentius-Gemeinde. In einer Ecke steht die umfangreiche Pfarrchronik, die Interessierten auch Auskunft über die erste Fronleichnamsprozession 1951 gibt.

Über 2000 Menschen trafen sich an diesem Maitag vor 50 Jahren am Alten Markt - dort also, wo noch bis in die Mitte der 70er Jahre das ursprüngliche Gotteshaus von St. Laurentius stand.

Protestanten sorgten mit Beschimpfungen fast für einen Eklat
Karl Rüsche legt das Buch zur Seite, um einen Stadtplan auf dem Tisch auszubreiten. Mit dem Zeigefinger fährt er den langen Prozessionsweg nach, den die Katholiken an Fronleichnam 1951 zurücklegten.

Von der Kirche führte der Zug über die Wilhelmstraße, Schwarzenbergstraße, den Lindengraben und die Grünestraße zur Brachtschule, wo der erste Altar aufgebaut war. Wie viele andere Katholiken aus der Unterstadt hatten Karl Rüsche und seine Familie zuvor viele Stunden damit verbracht, unzählige Blumen zu pflücken und damit die Station am Pausenhof aufs Schönste herzurichten Hübsche Blumenteppiche mit kleinen Mustern schmückten auch die übrigen drei Altäre und den Prozessionsweg, der von der Brachtstraße über die Steinbrinkstraße weiter zur Grünestraße ging.

Neben der Firma Hiby stand der zweite Altar. Von dort bewegte sich die Prozession wieder über die Grünestraße, Unterm Grünen Berg entlang über die Brücke zur Königstraße, um am Hause Krichel zum dritten Male Halt zu machen. "Das Haus Krichel gibt es heute gar nicht mehr", erzählt Karl Rüsche und sucht auf dem Stadtplan die Stelle, wo damals der dritte Altar aufgebaut war.

Von dort zogen die Gläubigen über die Lehmkuhler Straße und den Böhler Weg zum alten katholischen Friedhof (heute steht dort die Laurentiuskirche) - der vierten und letzten Station. Über die Lehmkuhler Straße, Kaiser- und Wilhelmstraße ging es schließlich zurück zur Kirche.

"Wir hatten schönes Frühlingswetter", weiß der alte Kirchenmann noch ganz genau, dass Petrus die Plettenberger Katholiken rechtzeitig zu Fronleichnam mit einem prächtigen Sonnentag beschenkte. Sogar von den alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen in Rüsches Fotoalbum scheint die Sonne noch zu lachen...

Männer in feinen Sonntagsanzügen, Frauen in hübschen Kleidern, Kommunionkinder ganz in Weiß mit Kränzchen im Haar und Blumenkörbchen, Fahnenträger, Messdiener in festlichen Gewändern, ein kleines Blasorchester, der damals noch junge Kirchenchor von St. Laurentius: Alt und Jung waren auf den Beinen, um zusammen mit dem damaligen Pfarrer von St. Laurentius, Wilhelm Balkenhol, an diesem historischen Ereignis teilzunehmen.

Die Fotos frieren die Bewegung der scheinbar endlos langen Menschenschlange ein, werfen Schlaglichter auf feierlich-ernste Gesichter. Ein Blick in die Chronik verrät, dass die Ordnung im Fronleichnamszug offensichtlich ganz "vorbildlich" war. Daran kann sich auch noch unser Zeitzeuge erinnern: "Die Prozession ging friedlich über die Bühne." Schriftlichen Überlieferungen zufolge versuchten zwar einige Protestanten die Feierlichkeiten zu stören, aber ohne jeden Erfolg.

Von diesen unschönen Querelen am Rande der Veranstaltung berichtet auch Albrecht von Schwartzen in seiner Plettenberger Stadtchronik für das Jahr 1951: "Der evangelische Bevölkerungsteil hatte für diese Veranstaltung keinerlei Verständnis und sah diese als Provokation an. Die Prozession verlief jedoch ohne Störung. Eine schärfere Abgrenzung und Distanzierung voneinander unter den Anhängern beider Konfessionen ließ sich aber feststellen, die sogar in einzelnen Fällen in gegenseitige Beschimpfungen ausartete. Einige sprachen sogar vom Anlass zu einem neuen Kulturkampf in Plettenberg."

Hans Erlemeier, seit 1985 Pfarrer von St. Laurentius, fand in der Kirchenchronik allerdings auch Aussagen, nach denen sich Protestanten der Prozession ganz spontan anschlossen und auf diese Weise öffentlich ihren Glauben bekannten...

Heute hat Laurentiusgemeinde 5000 Mitglieder
Der angedeutete Religionsstreit zwischen evangelischer und katholischer Bevölkerung reicht weit zurück bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts, als in Plettenberg die Reformation Einzug hielt.

Die wenigen Katholiken, die ihrem Glauben treu blieben, schlossen sich der katholischen Lambertusgemeinde in Affeln an.

Die ersten Versuche, so schlug Pastor Hans Erlemeier in der Pfarrchronik nach, in Plettenberg wieder eine katholische Kirchengemeinde zu gründen, wurden im Jahre 1810 unternommen. In der Folgezeit erlitten die Katholiken - in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert waren es nicht mal 300 Mitglieder - jedoch so manchen Schiffsbruch bei ihren Bemühungen, sich selbständig zu machen. Die lutherische Gemeinde wollte den Plettenberger Katholiken weder die Einkünfte einer zweiten unbesetzten Pfarrstelle abtreten noch die Boeler Kapelle als Kirchenraum zur Verfügung stellen.

Erst als sich 1830 die Gelegenheit ergab, das alte Rathaus anzukaufen, war endlich der Grundstein zur Wiederbegründung der katholischen Kirchengemeinde in Plettenberg gelegt. Feierlich aus der Taufe gehoben wurde die St. Laurentius-Gemeinde dann am 11. August 1839, als die erste Messe in dem zur Kapelle umgebauten Rathausgebäude stattfand. Es dauerte weitere zehn Jahre, bis der katholische Missionsbezirk in Plettenberg rechtlich begründet wurde. Bis dahin waren nicht einmal katholische Begräbnisse rechtmäßig anerkannt.

So berichtet die Chronik unter dem 6. Oktober 1840, dass die Leiche eines verstorbenen Katholiken drei Stunden vor dem angesetzten Beerdigungstermin von bestellten Trägern weggebracht und anschließend evangelisch beerdigt worden sei, "weil die Katholiken als Eingepfarrte der lutherischen Gemeinde zu betrachten seien". Erst als es dem ersten Geistlichen der Laurentius-Gemeinde, Missionar Hachez, gelang, einen Garten auf dem Boel zu erwerben, erhielt die katholische Bevölkerung schließlich 1851 ihren eigenen Friedhof.

Bis die Plettenberger Katholiken wieder in einer Fronleichnamsprozession durch die Straßen ihrer Stadt ziehen konnten, vergingen weitere hundert Jahre.

Kein Wunder, dass dieser Festtag im Mai 1951 nicht nur für die Gläubigen der Laurentius-Gemeinde ein zentrales Ereignis war. Vieles, was unter dem Nazi-Terror verboten oder in den Kriegsjahren nicht möglich war, lebte erneut auf. In die Plettenberger Dienstzeit von Pfarrer Wilhelm Balkenhol (1949-1953) fielen die ersten Wallfahrten, Einkehrtage und eben auch Fronleichnamszüge, die von nun an bis auf den heutigen Tag wieder regelmäßig durchgeführt wurden.

Plettenberg 2001: Zu ihrer 50. Prozession seit Wiederbegründung der katholischen Kirchengemeinde in der Vier-Täler-Stadt lädt die auf inzwischen über 5000 Mitglieder angewachsene Laurentius-Gemeinde für den Fronleichnamstag, 14. Juni, ein. Das Festhochamt wird ab 9.30 Uhr in der Schützenhalle gefeiert. Anschließend zieht die Prozession den traditionellen Weg, der übrigens nicht mehr so lang ist wie im Jahre 1951, durch die Stadt zur Laurentiuskirche.

Eines ist zum Verdruss von Pastor Erlemeier allerdings anders als in den Jahren zuvor. Denn auf dem Alten Markt, wo 1986 zur Erinnerung an die ehemaligen Laurentiuskirchen eine Bronzetafel in den Boden eingelassen wurde, ist eine Versammlung der Prozessionsteilnehmer nur noch unter erschwerten Bedingungen möglich. Schuld daran ist der Biergarten, der erst vor kurzem an dieser Stelle eröffnet wurde. Pastor Erlemeier: "Ein sinnfälliges Beispiel dafür, wie Kirche an den Rand gedrängt wird."


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