Plettenberg. (ker) "Ich hab`s!" Mit Entdeckerstolz hält Karl Rüsche ein altes Fotoalbum hoch. Neugierig schlägt
der 81-jährige die erste Seite auf. In weißer Schrift auf schwarzem Grund steht dort fein säuberlich geschrieben: "1. Prozession
der St. Laurentius Pfarrgemeinde Plettenberg. Fronleichnam 1951."
Beim Durchblättern werden Erinnerungen wach an jenen Tag vor 50 Jahren, als sich Plettenberger Katholiken zum ersten
Mal seit der Reformationszeit wieder zu einem Fronleichnamszug durch die Straßen der Stadt versammelten. Darunter auch
der damals 31-jährige Karl Rüsche, der gemeinsam mit anderen Gläubigen bereits Tage zuvor bei den Vorbereitungen tatkräftig
mitgeholfen hatte. 50 Jahre Fronleichnamsprozession: Für die WESTFÄLISCHE RUNDSCHAU stöberte der Ur-Plettenberger,
der über viele Jahre hinweg das Laurentius-Archiv betreut hat, in alten Text- und Bilddokumenten.
Der kleine Raum im Keller der Pfarrverwaltung an der Lehmkuhler Straße ist vollgestopft mit jeder Menge Büchern und Fotos
zur Geschichte der St. Laurentius-Gemeinde. In einer Ecke steht die umfangreiche Pfarrchronik, die Interessierten auch Auskunft
über die erste Fronleichnamsprozession 1951 gibt.
Über 2000 Menschen trafen sich an diesem Maitag vor 50 Jahren am Alten Markt - dort also, wo noch bis in die Mitte der
70er Jahre das ursprüngliche Gotteshaus von St. Laurentius stand.
Protestanten sorgten mit Beschimpfungen fast für einen Eklat
Von der Kirche führte der Zug über die Wilhelmstraße, Schwarzenbergstraße, den Lindengraben und die Grünestraße zur
Brachtschule, wo der erste Altar aufgebaut war. Wie viele andere Katholiken aus der Unterstadt hatten Karl Rüsche und
seine Familie zuvor viele Stunden damit verbracht, unzählige Blumen zu pflücken und damit die Station am Pausenhof aufs
Schönste herzurichten Hübsche Blumenteppiche mit kleinen Mustern schmückten auch die übrigen drei Altäre und den
Prozessionsweg, der von der Brachtstraße über die Steinbrinkstraße weiter zur Grünestraße ging.
Neben der Firma Hiby stand der zweite Altar. Von dort bewegte sich die Prozession wieder über die Grünestraße, Unterm
Grünen Berg entlang über die Brücke zur Königstraße, um am Hause Krichel zum dritten Male Halt zu machen. "Das Haus
Krichel gibt es heute gar nicht mehr", erzählt Karl Rüsche und sucht auf dem Stadtplan die Stelle, wo damals der dritte Altar
aufgebaut war.
Von dort zogen die Gläubigen über die Lehmkuhler Straße und den Böhler Weg zum alten katholischen Friedhof (heute steht
dort die Laurentiuskirche) - der vierten und letzten Station. Über die Lehmkuhler Straße, Kaiser- und Wilhelmstraße ging es
schließlich zurück zur Kirche.
"Wir hatten schönes Frühlingswetter", weiß der alte Kirchenmann noch ganz genau, dass Petrus die Plettenberger Katholiken
rechtzeitig zu Fronleichnam mit einem prächtigen Sonnentag beschenkte. Sogar von den alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen in
Rüsches Fotoalbum scheint die Sonne noch zu lachen...
Männer in feinen Sonntagsanzügen, Frauen in hübschen Kleidern, Kommunionkinder ganz in Weiß mit Kränzchen im Haar und
Blumenkörbchen, Fahnenträger, Messdiener in festlichen Gewändern, ein kleines Blasorchester, der damals noch junge
Kirchenchor von St. Laurentius: Alt und Jung waren auf den Beinen, um zusammen mit dem damaligen Pfarrer von St. Laurentius,
Wilhelm Balkenhol, an diesem historischen Ereignis teilzunehmen.
Die Fotos frieren die Bewegung der scheinbar endlos langen Menschenschlange ein, werfen Schlaglichter auf feierlich-ernste
Gesichter. Ein Blick in die Chronik verrät, dass die Ordnung im Fronleichnamszug offensichtlich ganz "vorbildlich" war. Daran
kann sich auch noch unser Zeitzeuge erinnern: "Die Prozession ging friedlich über die Bühne." Schriftlichen Überlieferungen
zufolge versuchten zwar einige Protestanten die Feierlichkeiten zu stören, aber ohne jeden Erfolg.
Von diesen unschönen Querelen am Rande der Veranstaltung berichtet auch Albrecht von Schwartzen in seiner Plettenberger
Stadtchronik für das Jahr 1951: "Der evangelische Bevölkerungsteil hatte für diese Veranstaltung keinerlei Verständnis und
sah diese als Provokation an. Die Prozession verlief jedoch ohne Störung. Eine schärfere Abgrenzung und Distanzierung
voneinander unter den Anhängern beider Konfessionen ließ sich aber feststellen, die sogar in einzelnen Fällen in gegenseitige
Beschimpfungen ausartete. Einige sprachen sogar vom Anlass zu einem neuen Kulturkampf in Plettenberg."
Hans Erlemeier, seit 1985 Pfarrer von St. Laurentius, fand in der Kirchenchronik allerdings auch Aussagen, nach denen sich
Protestanten der Prozession ganz spontan anschlossen und auf diese Weise öffentlich ihren Glauben bekannten...
Heute hat Laurentiusgemeinde 5000 Mitglieder
Die wenigen Katholiken, die ihrem Glauben treu blieben, schlossen sich der katholischen Lambertusgemeinde in Affeln an.
Die ersten Versuche, so schlug Pastor Hans Erlemeier in der Pfarrchronik nach, in Plettenberg wieder eine katholische
Kirchengemeinde zu gründen, wurden im Jahre 1810 unternommen. In der Folgezeit erlitten die Katholiken - in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhundert waren es nicht mal 300 Mitglieder - jedoch so manchen Schiffsbruch bei ihren Bemühungen, sich selbständig
zu machen. Die lutherische Gemeinde wollte den Plettenberger Katholiken weder die Einkünfte einer zweiten unbesetzten Pfarrstelle
abtreten noch die Boeler Kapelle als Kirchenraum zur Verfügung stellen.
Erst als sich 1830 die Gelegenheit ergab, das alte Rathaus anzukaufen, war endlich der Grundstein zur Wiederbegründung der
katholischen Kirchengemeinde in Plettenberg gelegt. Feierlich aus der Taufe gehoben wurde die St. Laurentius-Gemeinde dann
am 11. August 1839, als die erste Messe in dem zur Kapelle umgebauten Rathausgebäude stattfand. Es dauerte weitere zehn
Jahre, bis der katholische Missionsbezirk in Plettenberg rechtlich begründet wurde. Bis dahin waren nicht einmal katholische
Begräbnisse rechtmäßig anerkannt.
So berichtet die Chronik unter dem 6. Oktober 1840, dass die Leiche eines verstorbenen Katholiken drei Stunden vor dem
angesetzten Beerdigungstermin von bestellten Trägern weggebracht und anschließend evangelisch beerdigt worden sei,
"weil die Katholiken als Eingepfarrte der lutherischen Gemeinde zu betrachten seien". Erst als es dem ersten Geistlichen
der Laurentius-Gemeinde, Missionar Hachez, gelang, einen Garten auf dem Boel zu erwerben, erhielt die katholische Bevölkerung
schließlich 1851 ihren eigenen Friedhof.
Bis die Plettenberger Katholiken wieder in einer Fronleichnamsprozession durch die Straßen ihrer Stadt ziehen konnten, vergingen
weitere hundert Jahre.
Kein Wunder, dass dieser Festtag im Mai 1951 nicht nur für die Gläubigen der Laurentius-Gemeinde ein zentrales Ereignis war.
Vieles, was unter dem Nazi-Terror verboten oder in den Kriegsjahren nicht möglich war, lebte erneut auf. In die Plettenberger
Dienstzeit von Pfarrer Wilhelm Balkenhol (1949-1953) fielen die ersten Wallfahrten, Einkehrtage und eben auch Fronleichnamszüge,
die von nun an bis auf den heutigen Tag wieder regelmäßig durchgeführt wurden.
Plettenberg 2001: Zu ihrer 50. Prozession seit Wiederbegründung der katholischen Kirchengemeinde in der Vier-Täler-Stadt lädt
die auf inzwischen über 5000 Mitglieder angewachsene Laurentius-Gemeinde für den Fronleichnamstag, 14. Juni, ein. Das
Festhochamt wird ab 9.30 Uhr in der Schützenhalle gefeiert. Anschließend zieht die Prozession den traditionellen Weg, der
übrigens nicht mehr so lang ist wie im Jahre 1951, durch die Stadt zur Laurentiuskirche.
Eines ist zum Verdruss von Pastor Erlemeier allerdings anders als in den Jahren zuvor. Denn auf dem Alten Markt, wo 1986 zur
Erinnerung an die ehemaligen Laurentiuskirchen eine Bronzetafel in den Boden eingelassen wurde, ist eine Versammlung der
Prozessionsteilnehmer nur noch unter erschwerten Bedingungen möglich. Schuld daran ist der Biergarten, der erst vor kurzem
an dieser Stelle eröffnet wurde. Pastor Erlemeier: "Ein sinnfälliges Beispiel dafür, wie Kirche an den Rand gedrängt wird."
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