"So läßt der Jude heute christliche Arbeiter wohnen!" Adolf Sternberg - ". . . wie ein Jude mit deutschen Menschen umzugehen wagt"
Ein Beispiel dafür, wie rigoros und mit welch z. T. fadenscheinigen Argumenten zur NS-Zeit gegen jüdische Mitbürger vorgangen
wurde, ist das diffamierende Protokoll aus dem Jahre 1936
über eine Besichtigung durch den damaligen
Bürgermeister Wahle in der Schmiede des Adolf Sternberg (gegr. 1919) an der Herscheider Straße.
Foto: Archiv Horst Hassel
In einem Brief an eine Plettenberger Tageszeitung, die Firma Adolf Sternberg betreffend,
eingegangen dort am 18.12.1936, schreibt Engelbert Wahle seine Eindrücke von der
Ortsbesichtigung sehr einseitig und voreingenommen nieder. Die Zeitung ist der
Bitte um Veröffentlichung dieses Briefes übrigens nicht nachgekommen. Sternberg musste das Unternehmen 1938 verkaufen. |
Der Bürgermeister
Plettenberg, den 12. Dezember 1936
"Auf mehrfache Anfrage teilt die Polizeiverwaltung der Stadt Plettenberg folgendes mit:
Kommt man in die Betriebsräume dieser Firma so muss man feststellen, dass es eine starke
Zumutung ist, dass die Arbeiter 8 Stunden, evtl. noch länger, sich in diesen Räumen
aufhalten und ihre Arbeit leisten. Die ganzen Betriebsstättem machen einen trüben dunklen
Eindruck und die Wände der Arbeitsräume sind seit 5 Jahren nicht mehr geweist, so dass
der Schmutz und Dreck mehr die Farbe der Wände ausmacht, als die Helligkeit der geweisten
Flächen. Es wurden dann in den Räumen noch weitere Mängel festgestellt.
Die Beleuchtung in den Fabrikräumen ist z. T. so gering, dass unbedingt hellere Beleuchtung
gefordert werden muß. Zwischen den im Betriebe befindlichen Fabrikräumen und der Packstube
befindet sich ein größerer Raum, der immer von den Arbeitern begangen werden muß und in
dem man sich kaum irgendwie bewegen kann, da fast überall unordentlich Waren und Gegenstände
des Betriebes rumliegen, wie überhaupt die Unordnung in dem Betriebe besonders hervorzuheben
ist. In diesem Raum befinden sich in einer dunklen Ecke 2 Wasserhähne mit z. T. verrosteten
Becken an der schmutzigen Wand. Von einem Wasserhahn ist ein Ablauf durch ein Rohr zur
Fabrik für irgendwelche Fabrikzwecke gemacht. Dies ist die Stelle, die man als sogen.
Waschraum bezeichnet. Dunkel und zwischen allerlei Gerümpel. Eine andere Waschgelegenheit
ist nicht vorhanden und es ist selbstverständlich, wenn sich der anständige deutsche
Arbeiter weigert, diese Waschgelegenheit zu benutzen und sich Eimer zum Waschen besorgt
und sich dann direkt in der Fabrik bei seiner Maschine wäscht. Es ist deshalb auch ganz
selbstverständlich, wenn ein Arbeiter sagt: "Ich wasche mich in der Fabrik nicht, das ist
mir zu schmutzig. Wenn es den andern gut genug ist, können diese das ja machen." Ein
Umkleideraum für die Belegschaft war überhaupt nicht festzustellen. Anscheinend dient
dieser Raum bzw. evtl. die ebenfalls unaufgeräumte Packstube als Umkleideraum für die
Belegschaft. Auch als Aufenthaltsraum, wo der Arbeiter seine Mahlzeiten einnimmt, dürfte
wohl dieser Vorraum anzusehen sein.
Kommt man weiter unter den laufenden Haupttreibriemen hindurch weiter in die Fabrik hinein,
so läßt sich das, was bezügl. dieses obigen Vorraums gesagt wurde, auch hier immer wieder
feststellen. Durcheinander Fahrräder hier und da, da keine Fahrradaufbewahrung vorhanden
ist und Beschmutzung im höchsten Grade. Die Beteiligten, die eine große Anzahl anderer
Plettenberger Betriebe gesehen haben, müssen hierbei ausdrücklich feststellen, dass etwas
derartiges ihnen noch nicht geboten wurde.
Ein Anschlagbrett, wie es erforderlich ist, fehlt in der Fabrik überhaupt. Die
Unfallverhütungsvorschriften waren so vergilbt, dass man sie überhaupt kaum lesen
konnte. Z. T. waren sie, da sie auf Blech gedruckt waren, beschädigt und nicht lesbar.
Eine Arbeitszeitordnung wurde überhaupt im Betriebe nicht ausgehängt.
Der Sanitätskasten befand sich nicht im Betriebe, sondern 1 kleiner Kasten befand sich
in dem sogen. Büroraum des Sternberg. Wie gesagt wurde, soll Sternberg die Verbände
an dem deutschen Arbeiter selbst legen. In dem Verbandskasten zeigte sich dasselbe Bild
wie im ganzen Betrieb. Neben einigen noch guten Binden fanden sich lose Binden, lose
Watte usw., anscheinend schon gebraucht, ein vollkommen zerknittertes Dreiecktuch und
anderes zu Bemängelndes mehr. Sternberg wurde aufgefordert, sich umgehend einen
vorschriftsmäßigen Kasten, der an geeigneter Stelle im Fabrikraum selbst untergebracht
werden sollte, zu besorgen und wurde auf ordnungsmäßige Führung des Kastens aufmerksam
gemacht.
Das Schlimmste aber waren die sonstigen sanitären Anlagen des Betriebes. Hinter der Fabrik
befinden sich für die Belegschaft 2 Closetts in einer Bretterbude. Diese Closetts scheinen
seit Jahren nicht mehr gereinigt zu sein und der Fußboden war mit schmutzigen Zeitungs-
und Papierresten vollkommen übersäht. Ein Pissoir befand sich überhaupt nicht bei der
Firma. Die dortige Arbeiterschaft ist gezwungen, ihre Notdurft an der Wand des Betriebes,
die vom Sportplatz leicht eingesehen werden kann, zu verrichten. Wenn im Sommer die
Sonne recht heiß dann auf diese Stelle brennt, steigen die üblen Gerüche durch das Fenster
in die Fabrik hinein und verpesten dort die Luft. Man sieht hier wieder, wie ein Jude mit
deutschen Menschen heute noch umzugehen wagt. Die erforderlichen Schritte zur Abstellung
aller Mängel sind seitens der beteiligten Stellen getroffen.
Fragt man den Sternberg, warum dies alles nicht gemacht worden sei, so erklärt er, er habe
kein Geld. Dabei hat er seine Belegschaft durch die Wirtschaftsbesserung im dritten Reich
ebenfalls verstärken können. Meistens handelt es sich aber um Arbeiten, die gar kein Geld
oder nur geringe Beträge kosten und die trotzdem mithelfen, dem deutschen Arbeiter den
Aufenthalt in seiner Arbeitsstätte zu verbessern. Wenn Sternberg kein Geld hat, dann ist
es zu verwundern, dass sein Sohn noch im letzten Jahre eine Reise nach Italien durchführen
konnte. Er konnte dies doch sicher nur auf Grund der Einnahmen, die sein Vater aus der
Fabrik hatte.
War dies eine Schilderung aus dem Fabrikbetrieb des Sternberg, so zeigt weiterhin ein
Besuch der von Sternberg an die Familie Pöggeler vermieteten sogen. Wohnräume dasselbe
Bild. Die Wohnung, die die Familie Pöggeler bereits seit ungefährt 18 Jahren bewohnt,
befindet sich nicht etwas in einem Wohnhause, sondern im ersten Stockwerk eines
Stallgebäudes. Für die 4 kleinen Räume wird eine Miete von 25,-- R(M) verlangt und jetzt
verlangte der Jude sogar eine Mieterhöhung auf mindestens 35,-- R., nur weil er eine
Dachreparatur an dem Hause, die unbedingt notwendig war, ausgeführt hatte. Das Dach war
nämlich so schadhaft, dass es jahrelang hindurchregnete und der Fußbodenbelag des
Dachbodens an zahlreichen Stellen durchfaulte, so dass sich große Löcher, die von dem
Mieter mit Brettern zugelegt werden mußten, ergaben und dann die Nässe durch die Decke
in die Wohnung der Mieter kam. Der Mieter mußte sogar Behälter zum Auffangen des
Regenwassers in seiner Wohnung aufstellen. Auch an den Wänden entlang lief das Wasser
in die Wohnung.
18 Jahre lang hat der Jude Sternberg von seinem Mieter monatlich 25,- R erhalten, das war
im Jahr 300,- R. Die einzigen Reparaturen, die er ausführen ließ, war vor Jahren einmal
(die) Anfertigung einer neuen Treppe - dabei hat er dann auch gleich wieder die Miete
um 2,- RM gesteigert, was ihm jedoch nicht gelang - und Instandsetzung der Fenster. Die
Miete von 27,- RM hat der Mieter schon 4 Jahre lang gezahlt.
Von dem Stall, der sich unter der Küche des Mieters befindet, steigt durch ein Loch im
Fußboden kalte Zugluft und übler Geruch in die Küche. Die Treppe zum Hausboden ist ohne
Geländer. Auf dem Flur befindet sich die Wasserleitung, die fast jährlich mehrere Male
einfriert, da der ganze Flur zugig ist. Unten im Stall ist der Schieber für den Kamin
so undicht, dass er von dem Mieter mit Lumpen zugestopft werden muß, damit überhaupt
der Kamin ordnungsmässig funktioniert. In den unteren Stallgebäuden fehlen zahlreiche
Fensterscheiben. Die Öffnungen sind mit Säcken und Lumpen ausgestopft, damit es nicht
zu kalt wird.
Das schönste ist aber, dass die Mieter seit 1929 ohne Licht sind. Sie müssen sich also
mit Petroleumlampen behelfen. Bis zum Jahre 1929 hatte die Wohnung elektrische
Beleuchtung. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Wohnung, man sagt infolge eines Umbaus,
der elektrische Anschluss abgeschnitten, ohne dass aber an der Miete sich dies irgendwie
bemerkbar machte. Mehrmals wurde der Mieter bei dem jüdischen Vermieter vorstellig, der
sich heute auf nichts mehr entsinnen, ja nicht einmal entsinnen kann, dass überhaupt
elektrisches Licht in den Räumen war und erst durch die noch vorhandenen Leitungen
seinem Gedächtnis etwas nachgeholfen bekommen mußte.
Auf die mehrfachen Vorstellungen des Mieters, der sogar die Hälfte der Kosten für einen
neuen Anschluß mittragen wollte, wurde nichts unternommen, vielmehr antwortete der
Vermieter, der allerdings gern die Miete einstrich: "Mir ist das genug. Wenn Sie wollen,
legen Sie sich die Leitung auf Ihre Kosten an." Hierzu war der Mieter als Arbeiter jedoch
nicht in der Lage und insbesondere auch nicht verpflichtet, denn schließlich wird ja die
Leitung mit der Verlegung in den Räumen ein Bestandteil der Wohnung und bringt eine
Verbesserung der Wohnung mit sich, die allein durch den Hauswirt durchzuführen ist.
Der Mieter sagt selbst, dass 1919, als er die Wohnung bezog, sie noch einigermaßen wohnlich
war. Die ganzen Jahre hindurch habe aber Sternberg keine Reparaturen durchführen lassen,
so daß die Wohnung im Laufe der Jahre derart schlecht und durch Menschen fast nicht mehr
bewohnbar wurde. So läßt der Jude heute christliche Arbeiter wohnen. Auch in dieser
Beziehung ist von Seiten der zuständigen Stellen das Weitere gegen den Juden eingeleitet
worden."
![]() Zeichnung von Albrecht von Schwartzen: die Firma Adolf Sternberg an der Herscheider Straße |