Endloser Formalismus erschwert Humanitäre Hilfe! Vier Tage und vierundzwanzig Formulare notwendig
10. Hilfstransport der "Rußlandhilfe Plettenberg" nach St. Petersburg - Wirtschaftliche Versorgung dort verbessert
Plbg./St. Petersburg (HH) Die wirtschaftliche Versorgung in St. Petersburg hat sich seit
Januar 1993 deutlich gebessert. Das stellten Vertreter der "Rußlandhilfe Plettenberg" bei ihrem
10. Hilfstransport vom 4. bis 13. Juni nach St. Petersburg fest. Das Warenangebot in den Magazinen
und Kaufhäusern ist groß, das Preisniveau allerdings sehr hoch, so daß vielen Menschen nur der
Blick auf die Warenfülle bleibt.
Um nicht erneut Schwierigkeiten beim Zoll wie im Januar 1993 beim letzten Hilfstransport zu haben
(als man einen ganzen Tag brauchte, um den Zollstempel zu bekommen), hatte die Rußlandhilfe
Plettenberg beim Auswärtigen Amt in Bonn nachgefragt, welche Bestimmungen erfüllt und welche
Zertifikate für die Hilfsgüter vorgelegt werden müssen. Alle vom April '93 stammenden Zollbestimmungen
wurden dann nach diesen Auskünften erfüllt, so daß man guten Mutes auf die Reise von Travemünde
über Malmö, Stockholm, Helsinki nach St. Petersburg ging.
Die Zoll-/Paßkontrolle an der finnisch-russischen Grenze hatte ex-europäisches Format - keine zehn
Minuten, und der Hilfstransport war zollmäßig abgewickelt. Die Zollbeamten waren im Gegensatz zu
früher sehr gesprächsbereit und freundlich. Allein - die endgültige Verzollung mußte wieder in St.
Petersburg erfolgen.
Dort fuhr man zunächst zum gleichen Zollamt, bei dem auch im Januar die Formalitäten abgewickelt
worden waren. Doch dort war man nicht mehr zuständig. Die zollmäßige Abwicklung humanitärer
Hilfstransporte wurde inzwischen zentral in der Bürgermeisterei Smolny und beim Hafenzoll zusammengefaßt.
Es folgte eine Odyssee, die rund 500 km durch St. Petersburg führte und genau vier Tage dauerte. Erst dann
war die für die Empfänger der Hilfsgüter so wichtige Zollfreigabe erfolgt und die Rußlandhilfe Plettenberg
bekam ihren Freistempel auf die Zollpapiere.
Hinter den neuen Bestimmungen steht der Versuch der St. Petersburger Behörden, die kommerzielle
Verwertung von Hilfsgütern zu verhindern. Daß dies mit den reinen Formalismen, mit denen die Rußlandhilfe
Plettenberg konfrontiert wurde, nicht gelingen kann, wurde sehr schnell deutlich.
So mußte für die mitgebrachten Medikamente ein Zertifikat vom Medizinischen Institut St. Petersburg
vorgelegt werden. Das war auch in knapp zwei Stunden erledigt. Nur: für die Medikamente selbst (Menge
oder Zusammensetzung) hat sich niemand interessiert. Es zählte allein der formalistische Vorgang
des Ausfüllens eines Formulares und des daruntergesetzten, so ungemein wichtigen runden russischen
Stempels.
Eine kleine Menge Lebensmittel wie haltbare Milch und Marmelade wurde zwischendurch einfach im Kinderhaus
ausgeladen, um weiterem Formalismus zu entgehen. Durch das fortwährende Hin und Her zwischen Zollamt
im Hafen, der Bürgermeisterei Smolny, dem Kinderheim Nr. 3 und dem Altenheim Smolny (als Empfänger
der Hilfsgüter), dem für das Kinderhaus zuständigen Bezirks-Steueramt, dem Medizinischen Institut und
diversen anderen Institutionen dauerte es vier Tage, bis die Hilfsgüter endlich ausgeliefert werden konnten.
Die Direktorin des Kinderhauses Nr. 3, Nina Michailowna, sorgte persönlich für eine peinlichst genaue
Auflistung der überbrachten Spenden aus Plettenberg und quittierte den Empfang.
Grundsätzlich kann man sagen: Je besser die Verbindungen der Empfänger von Hilfsgütern zu den Behörden
sind, desto schneller lassen sich die Zollformalitäten abwickeln. Allerdings gilt in Rußland mehr als
anderswo der Wahlspruch "Nur wer gut schmiert, der gut fährt": je größer die Bereitschaft der Empfänger ist,
den Vertretern der Behörden auch einen Anteil von den Hilfsgütern zukommen zu lassen, desto zügiger kann
die Abfertigung erfolgen.
Die nach dem Zusammentragen der insgesamt 24 mit unzähligen Stempeln versehenen Formularseiten verbliebene
Zeit reichte nicht aus, um wie gewohnt mit den Kindern im "Dom Rebenka" oder den Bewohnern im Altenheim
ein wenig zu plaudern oder Dankeschön-Musik und Tanzvorführungen entgegenzunehmen. Due gute Seele
Mischa Wassilijew sorgte dafür, daß Diesel nachgetankt und private Spendenpakete überbracht werden konnten.
Ein besonderes "Schmankerl" erwartete die Rußlandhilfe dann noch an der russischen Grenze bei der Ausreise.
Offensichtlich zur Demonstration, wie eine Zollkontrolle aussieht, wenn sie richtig gemacht wird, mußten nicht nur
sämtliche privaten Dankeschön-Pakete St. Petersburger Bürger ohne Ausnahme geöffnet werden. Von der Brieftasche
im Handschuhfach bis zum Kulturbeutel im privaten Reisekoffer wurde alles durchsucht - sogar das Bargeld mußte auf
den Tisch gelegt werden und wurde mit der ausgefüllten Zollerklärung verglichen. Immerhin, der Zollbeamte ließ sich
nicht anmerken, ob er enttäuscht war, weil er nichts finden konnte.
Bildtext: Das Kinderhaus - "Dom Rebenka" - Nr. 3 in St. Petersburg war u. a. das Ziel des 10. Hilfstransportes der
"Rußlandhilfe Plettenberg". Rund 1,2 t Hilfsgüter wurden mit dem Kleintransporter der Fa. Limberg übergeben. Der
Dank der Direktorin des Kinderheimes, in dem bis zu 4 Jahre alte Kinder untergebracht sind, galt den Spendern
in Plettenberg, Lüdenscheid und Umgebung. Foto: Hassel |