Feuerwehr in St. Petersburg
vom 3. bis 14. Januar 1993 - Fahrzeuge: Europcar-Mercedes Lkw 814, Spedition Koch-Lkw Mercedes 1113,
Jecksties-Peugeot, Fa. Freund Ford Transit (Wilfried Köhn hatte sich mit seinem Polo unserer Rückfahrt von
St. Petersburg über meterhoch schneeverwehte russische Straßen angeschlossen); Sieben Teilnehmer: Gerhard Padberg, Udo Heßmer, Hardy
Jecksties, Anneliese Rode, Andreas Knipp, Horst Hassel, ?
![]() Im Feuerwehrgerätehaus der Löschgruppe Oestertal wurden die bereitgestellten Hilfsgüter aus allen Löschgruppen im Stadtgebiet gesammelt.
Quelle: Fax-Bericht von Bord der Finnjet vom 13. Januar 1993 (Kosten: 24 FIM = 8 Mark) an das
Süderländer Tageblatt (das den Bericht auszugweise abdruckte)
Zur russisch-orthodoxen Weihnacht war Rußlands ehemalige Hauptstadt
St. Petersburg mit Weihnachtsbäumen geschmückt. Doch nicht alle Sterne strahlten, als der Hilfstransport
mit 13 Tonnen Hilfsgütern aus Plettenberg beim Zoll in St. Petersburg eintraf. Die Sterne auf den
Schulterklappen der Zollbeamten waren stumpf, die Abfertigungsmodalitäten zogen sich über den gesamten
"Heiligabend" hin. Erst dann konnten die vier Fahrzeuge an den vorgesehenen Empfangsstellen im
Kindergarten Nr. 4, im Altenheim Nr. 1 in der Nähe des Smolny-Klosters, bei zwei Feuerwachen in den
Bezirken Kalinski und Leninski abgeladen werden.
Die Fahrt mit vier Fahrzeugen hatte am 3. Januar begonnen. Nach einigen Problemen mit durch die Kälte
versulztem Kraftstoff rollte der Transport reibungslos bis Travemünde. Per "Finnjet" traf man am 5. Januar
in Helsinki ein. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt rollte man bis zur finnisch-russischen Grenze. Selten
war die Atmosphäre dort so freundlich, der persönliche Kontakt mit den russischen Grenzsoldaten so
natürlich. Das ließ für den weiteren Transport hoffen, doch es sollte ganz anders kommen . . .
Am nächsten Morgen, es war Mittwoch, der 6. Januar, also russisch-orthodoxer Heiligabend, sollten die
Zollformalitäten abgewickelt werden. Gerhard Padberg, Dolmetscherin Vera Petrowna und Kinderheim-Direktor
Anatolij kehrten aber unverrichteter Dinge zurück: Der Zoll erkannte die vorgelegte Auflistung der Hilfsgüter
nicht an. So konnte man sich unter "Nähutensilien" zum Beispiel nicht viel vorstellen. Als man hörte, daß
dazu auch drei Nähmaschinen gehörten, vertrat man sogar die Auffassung, Nähmaschinen seien keine
humanitäre Hilfe.
Die siebenköpfige Gruppe aus Plettenberg war fassungslos. Da wollte man Hilfe bringen, und dann wurde dies
durch unnötigen Formalismus erschwert. Im ersten Moment war die Reaktion eindeutig: Wenn der Zoll uns
nicht die gesamte Hilfsgüterladung als Humanitäre Hilfe anerkennt, nehmen wir alles wieder mit.
Wenig später wurde dann beschlossen, Druck auf den St. Petersburger Zoll auszuüben. Mit insgesamt zehn
Personen fuhren wir zum Zoll und drängten und mit laufender Video-Kamera in das Büro des zuständigen
Zollbeamten. Es war übrigens der gleiche, der uns schon im November beim 8. Hilfstransport Probleme bereitet
hatte. Nun mußten wir uns kritische Worte anhören. Deutsche Disziplin sei es doch wohl nicht, ungefragt mit
laufender Filmkamera in ein Zollbüro zu kommen, eröffnete uns der Beamte mit jeweils einem Stern auf den
Schulterklappen, während als stummer Beobachter sein Drei-Sterne-bewehrter Vorgesetzter abwartend zuschaute.
Dann erfuhren wir völlig neue Forderungen: für die mitgeführten Lebensmittel sowie Medikamente seien
Zertifikate über die Unbedenklichkeit der Waren erforderlich. Großes Kopfschütteln beim Leiter der Feuer- und
Rettungswache Plettenberg, Udo Heßmer. Hatte der doch erst wenige Minuten zuvor einen Jungen dabei beobachtet,
wie er altes Brot aus einem Mülleimer vor dem Hotel klaubte . . .
Nach schier endlosen Diskussionen wurde auf das geforderte Zertifikat verzichtet, die Liste der aufgeführten Hilfsgüter
wurde detaillierter erstellt. Dann mußte der Direktor des Kinderheimes noch Zoll für eine Bohrmaschine und
12 Autoreifen bezahlen, die ebenfalls nicht als humanitäre Hilfe anerkannt wurden. Inzwischen
war es fast 17 Uhr - an diesem Heiligen Abend würde man also nicht mehr zum Altenheim, Kinderheim oder
Kindergarten fahren können.
Bei der Ausfahrt aus dem Zollgelände war dort schon alles verschlossen. Dafür versuchte der Teilnehmer eines
Mannheimer Hilfstransportes (unter der Leitung von Horst Klinkhart), der mit sechs Sattelzügen Hilfsgüten zur gleichen Zeit wie die Plettenberger in
St. Petersburg weilte, mit Hilfe des (Bezirks-)Bürgermeisters den Zollstempel zu bekommen. Dabei hatten die
Mannheimer zum Teil schon vollendete Tatsachen geschaffen: vier Sattelzüge mit tausenden von Hilfspaketen
waren in verschiedenen Schulen schon ausgeladen worden. . . .
Inzwischen ist der Hilfstransport der Rußlandhilfe Plettenberg auf der Heimreise. Donnerstagabend will man wieder
in Plettenberg eintreffen und dann eine Menge zu erzählen haben. Viele Male wollte man vor der Unvernunft der
russischen Bürokratie kapitulieren, doch das Leuchten in den Augen der Kinder und der alten Leute, als sie die
Hilfe aus Plettenberg in Empfang nehmen konnten, sagte den Helfern, daß es die vielen Unannehmlichkeiten und
Schikane Wert waren.
Eines ist sicher: sowohl die Plettenberger als auch die Mannheimer Teilnehmer werden die Vorkommnisse nicht
auf sich beruhen lassen und gegen die Behinderungen der humanitären Hilfe protestieren. In einem Land, in dem
die "Mafia" allgegenwärtig ist, kann man nicht ausgerechnet Hilfstransporten zeigen wollen, daß alles korrekt
zugehen muß.
PS: Mit Schreiben vom 19.01.1993 wurden Probleme beim Zoll erneut dem Auswärtigen Amt, z. Hd. Herrn
Heusgen, in Bonn angezeigt und um eine Protestnote bei den zuständigen russischen Stellen gebeten. Das
Auswärtige Amt (421-9 320.25/6) schrieb u. a. zurück: "Mit Interesse und Bedauern haben wir die von Ihnen geschilderten
Erfahrungen bei der Durchführung eines Hilfstransportes nach Rußland und ihre Schwierigkeiten bei den Grenz-,
Zoll- und Visaformalitäten zur Kenntnis genommen. Ihre Erfahrungen werde ich in einer Besprechung mit dem
für die Nahrungsmittelhilfen zuständigen Mitarbeiter der Botschaft der Russischen Föderation aufgreifen. Mit
freundlichen Grüßen, Heusgen."
Feuerwehr-Dienststelle 75 1-00 WPO PASS St. Petersburg und St. Petersburger Gebiet
Der 38 (Wehrleute) starke Trupp der Feuerwehrdienststelle 75 von St. Petersburg bedankt sich bei
Herrn G. Padberg und Udo Heßmer für die Organisation der Wohltätigkeitsaktion, für die Spenden und
den Transport der humanitären Hilfe nach Petersburg von den Plettenbergern
Wir wollen hoffen, daß diese Aktion nicht nur zur Freundschaftsfestigung zwischen unseren Völkern und
Städten beitragen wird, sondern auch zum Beginn unserer beiderseitigen Zusammenarbeit zwischen
den Feuerwehrlöschgruppen von Plettenberg und St. Petersburg wird.
Stellvertretender Leiter der Feuerwehdienststelle 75, Leutnant Belousow Y. Ju. |