5. Hilfstransport vom 3. bis 13. Januar 1992

Fahrzeuge: Sattelzug der Fa. Rosemann, Kleintransporter/Klein-Lkw der Firmen Langhammer, Autoverleih Limberg sowie der SGV-AG Plettenberg und ein Kleinlaster (Robur) aus ehemaligen Beständen der Volkspolizei in Brandenburg.
Teilnehmer: Walter Dasberg, Oliver Dasberg, Josef Ams, Thorsten Klippert, Gerhard Padberg, Gerd Mergenthaler, Michael Ackermann, Horst Hassel.


Dieser Lkw (Robur) wurde der Rußlandhilfe Pletenberg vom Innenministerium in Düsseldorf mit der Auflage geschenkt, den Wagen in St. Petersburg weiter zu verschenken. Damit kann die Rußlandhilfe bereits das zweite Fahrzeug überreichen. Diesmal wird das Kinderheim Nr. 40 das Fahrzeug bekommen.


Der 5. Transport mit 30 t Hilfsgütern an der finnisch-russischen Grenze.


Quelle: Schleusinger Tageblatt vom 22.01.1992 (Schleusingen/Thüringen ist die Partnerstadt von Plettenberg)

Plettenberg hilft St. Petersburg
Eine Reportage aus der Partnerstadt - Fünfte Fahrt der "Rußlandhilfe Plettenberg" brachte 30 t Hilfsgüter

Plettenberg/St. Petersburg (HH). Zum fünften Mal brachte vor wenigen Tagen die von Gerd Padberg organisierte "Rußlandhilfe Plettenberg" Hilfsgüter nach St. Petersburg, ins ehemalige Leningrad. Lebensmittel, Kleidung, Schuhe, Bettwäsche und vieles mehr im Gesamtwert von rund 200.000 DM war diesmal durch Spenden zusammengekommen. Mit fünf Fahrzeugen sorgten acht Teilnehmer dafür, daß die Hilfsgüter direkt zu den betroffenen Kindern und älteren Leuten kamen.

Wochen vor der Fahrt, die in der ersten Januarwoche begann, hatten die freiwilligen Helfer sich um Spendengelder und Sachspenden bemüht. Die größte Einzelspende kam von einer einheimischen Firma (die anonym bleiben wollte), die auf Weihnachtspräsente verzichtete und 15.000 DM stiftete. Die Bedingung: Von diesem Geld sollte den Kindern in St. Petersburg eine richtige Weihnachtsfeier bereitet werden.

Eine besondere Weihnachtsfeier
Pünktlich zur russisch-orthodoxen Weihnacht am 6. Januar war die Rußlandhilfe Plettenberg vor Ort. Im Kinderheim Nr. 9 Bucharestkaja hatten die Gruppenleiterinnen mit den Kindern eine typisch russische Feier vorbereitet. Dazu verkleidete man sich "karnevalistisch" und führte eine winterlich-weihnachtliche Geschichte auf. Gerd Padberg bekam stellvertretend für die gesamte Rußlandhilfe Plettenberg bzw. die Plettenberger Bevölkerung ein große Dankeschön für die bisherige Hilfe gesagt.

Die Hilfe kommt an
Die fünfte Hilfstransportfahrt nutzte bisherige Erfahrungen. So wurde diesmal im Kinderheim Bucharestkaja eine "Hilfskonferenz" einberufen, zu der die Leiter der umliegenden Kinderheime hinzugebeten wurden. Dann wurde festgelegt, auf wie viele Kinderheime die insgesamt 30 Tonnen schwere Ladung aufgeteilt werden konnte. Teilweise holten sich die Kinderheime den für sie bereitgestellten Teil der Hilfsgüter selbst ab, überwiegend wurden aber Lebensmittel, Kleidung und die anderen Sachen mit Hilfe der Kleintransporter der Rußlandhilfe direkt in die einzelnen Kinder- und Altenheime gebracht.

Nicht nur durch den direkten Transport und das persönliche Ausladen der Hilfsgüter war gewährleistet, daß die Hilfe direkt zu den betroffenen Kindern und älteren Menschen kam. Die Teilnehmer der Rußlandhilfe schauten auch Tage später immer mal wieder nach, um unauffällig zu kontrollieren, ob die Hilfsgüter im Sinne der Spender verwendet wurden. Dies war immer der Fall.

Insgesamt zehn Tage war die Rußlandhilfe Plettenberg diesmal in St.Petersburg. Erkennbar war, daß die Schlangen vor den Geschäften mit Grundnahrungsmitteln noch länger geworden waren. Die Freigabe der Preise hat dazu geführt, daß sich nunmehr auch die wenigen gut verdienenden Russen nicht einmal mehr die täglichen Lebensmittel leisten können.

Eine Reise durch Eis und Schnee
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Das trifft diesmal auf die Teilnehmer der fünften Hilfsfahrt in besonderem Maße zu . . .
Vorab: alle Fahrzeuge erreichten ohne Panne ihr Ziel, und auch die Rückfahrt blieb ohne Unfälle oder größere Fahrzeugausfälle. Damit wurden auch auf der fünften Reise sämtliche Fahrzeuge heil zurückgebracht.

Das Abenteuer begann gleich nach der Überfahrt mit der Finnjet von Travemünde nach Helsinki. Leichte Minusgrade und Reste von Eis an den Fahrbahnrändern ließen winterliche Verhältnisse in Rußland erahnen. Gleich nach der finnisch-russischen Grenze verschlechterten sich die Straßenverhältnisse spürbar. Rubbelpisten aus Eis und Schnee machten die Fahrt ab hier zur achtstündigen Ganzkörper-Massage.

Rund 60 Kilometer vor St. Petersburg versperrte eine Brücke von nur 3,60 Metern Durchfahrtshöhe dem 4,00 Meter hohen Sattelzug den weiteren Weg über die Europastraße. Ein langer Umweg über vereiste und verschneite Nebenstraßen wurde notwendig.

Strafzettel auf russisch
Gleich nach der Einfahrt nach St. Petersburg offenbarte sich ein zweites Problem: fast 90 Prozent der Straßen sind für Lkw gesperrt. So war das erste "Knöllchen" gleich an der Brücke mit den beiden Leuchttürmen fällig. Nach "alter russischer Tradition" wußte in Valuta (10 DM Westgeld) gezahlt und auf eine Quittung verzichtet werden.
Geradezu unglaublich niedrig war der Dieselpreis. Als der Sattelzug rund 200 Liter nachtanken mußte, verlangte man dafür nur 150 Rubel - rund 2,10 DM.

Fast im Fahrzeug erfroren wäre die Besatzung des Sattelzuges, als auf der Rückfahrt zwischen St. Petersburg und finnischer Grenze die Fahrzeug- und Standheizung ausfielen. Eine dicke Eisschicht an den Scheiben des Führerhauses war bei Minus 20 bis 25 Grad zu durchdringen. Beim Nachfüllen des vermeintlich fehlenden Kühlwassers gefror das Wasser in Sekundenschnelle in der Flasche.

Genau vier Minuten vor 24 Uhr erreichte der Sattelzug die Grenze. Überpünktlich machten die Zöllner aber Feierabend - die Grenze schloß. So mußte die Sattelzug-Besatzung im Schneesturm bei Minus 25 Grad im eiskalten Lkw weitere acht Stunden (Anm.: der Grenzübergang war damals nachts von 0 - 8 Uhr geschlossen) bis zur Grenzabfertigung warten.

Die Lage in St.Petersburg
Die wirtschaftliche Lage in St. Petersburg im Januar 1992 ist erschreckend. Nicht einmal mehr die subventionierten Grundnahrungsmittel wie Brot, Mehl, Salz, Tee oder Zucker sind in ausreichendem Maße vorhanden. Wenn es sie gibt, sind die Preise unerschwinglich geworden. Selbst der geliebte Wodka steht kaum noch auf dem Tisch, seit der Preis von 40 auf 100 Rubel pro Flasche gestiegen ist.

Wer glaubt, die Löhne wären mit der Preisfreigabe angehoben worden, der irrt. Den Lehrern wurde das Gehalt auf 85 Prozent gekürzt, lediglich die mit Streik drohenden Eisenbahner und Kommunalarbeiter konnten eine kleine Lohnanhebung durchsetzen.
Für deutsche Verhältnisse sind die russischen Preise absolut irrational. So verdient z. B. eine Lehrerin derzeit rund 150 Rubel im Monat. Das sind umgerechner 2,10 DM. Die Inflation des Rubels ist eine tagtägliche. Für 1,00 DM gab es am 5. Januar 1992 in St. Petersburg am offiziellen Bankschalter 70 Rubel (zur gleichen Zeit des Vorjahres hatte man lediglich 10 Rubel für eine Mark bekommen). Am 7. Januar 1992, also zwei Tage später, wurden schon 80 Rubel für eine Mark getauscht. Auf dem Schwarzmarkt gab es am 10. Januar bereits 100 Rubel für eine Mark!.

Hilfe zur Selbsthilfe
Machen die Hilfslieferungen aus Plettenberg überhaupt einen Sinn? Wird nicht in ein schier endloses Loch geschüttet? Soweit es Lebensmittel betrifft, sind die Hilfslieferungen sicherlich nur geeignet, die trostlose Situation während des russischen Winters etwas zu mildern. Die Menschen werden mit Hilfe der Lebensmittellieferungen überleben können.

Die "Rußlandhilfe Plettenberg" hat es sich aber zur Aufgabe gemacht, in St. Petersburg die Eigeninitiative zu fördern. Das geschieht durch praktische Hilfe in Form von Nähmaschinen, Stoffen, Knöpfen, Garnen etc.. Die werden in einer neu eingerichteten Nähstube zu Kleidung verarbeitet. Das Kinderheim kann diese Kleidung verkaufen und sich dadurch demnächst selbst tragen.
Im Keller des Kinderheimes Nr. 9 ist eine Keramikwerkstatt eingerichtet. Dort werden glasierte Schneckenhäuser aus Ton hergestellt. Die "Rußlandhilfe Plettenberg" hat im ersten Anlauf 100 Schneckenhäuser in Auftrag gegeben und mit nach Plettenberg gebracht. Hier sollen die Keramik-Schmuckstücke verkauft werden. Von dem Erlös werden weitere Schneckenhäuser in Auftrag gegeben.

"Wir müssen uns selbst helfen", erkennt ganz richtig Direktor Anatolij den einzig realistischen Weg aus der Krise. Dass dies zur Zeit nur Dank der "Hilfe zur Selbsthilfe" aus Plettenberg möglich ist, erkennt der Direktor mit unwahrscheinlich großer Dankbarkeit an.