Ereignisse des Jahres 1895
(Quelle: Süderländer Wochenblatt)

JUNI
 6. Gaslicht auf dem Bahnhof! Infolge der Petroleum-Preistreiberei hat der preußische Eisenbahnminister angeordnet, daß auf allen Bahnstationen solcher Orte, die Gasanstalten haben, sämtliche Kandelaber und Weichenlaternen, soweit dieselben noch nicht Gasbeleuchtung haben, sondern bisher mit Petroleum gespeist wurden, an die Gasleitung mit angeschlossen werden sollen.
 8. Wildwest in Plettenberg! Das leidige Messer hat hier bei einer Schägerei am Mittwoch abend wieder seine Rolle gespielt. In der Menschelschen Wirtschaft in der Bermke gerieten beim Kegelspiel die Fabrikarbeiter Wigginghaus und Müller in Streit, der durch das Nachhausegehen des letzteren geschlichtet schien. Doch nach kurzer Zeit kehrte Müller in Begleitung seines jüngeren Bruders zurück, um den Krakehl fortzusetzen. Beiden wurde jedoch vom Wirt der Eintritt verweigert. Als nun Wigginghaus mit seinen beiden Begleitern nach Hause aufbrach, wurde er von den Gebrüdern Müller gestellt, wobei August Müller ein offenes Messer in der Hand führte. Dieserhalb wurde er von den Dreien ordnungsmäßig vorgenommen und ihm eine Tracht Prügel verabfolgt. Währenddessen hatte der 17jährige Emil Müller ebenfalls das Messer gezogen und versetzte dem Arbeiter Heuel einen Stich in den Rücken unter das rechte Schulterblatt. Die zehn Zentimeter tiefe Wunde hat glücklicherweise keine edlen Teile verletzt, doch mußte Heuel in ärztliche Behandlung genommen werden und wird einige Zeit arbeitsunfähig bleiben. Der Messerheld sieht einer exemplarischen Strafe entgegen.
10. Theobald Pfeiffer erwirbt das Ohler Eisenwerk! In dem heutigen gerichtlichen Verkaufstermin über das Ohler Eisenwerk gab Fabrikant Theobald Pfeiffer aus Siegen das Höchstgebot mit 103.600 Mark ab. Termin für den Zuschlag ist auf Donnerstag, den 13. dieses Monats anberaumt.
13. Anleihe für Kleinbahn genehmigt! Seitens der Regierung ist die zweite Anleihe für den Bau der Kleinbahn bei der hiesigen Sparkasse nunmehr genehmigt, jedoch mit der Änderung, daß der Zinssatz nicht auf 3 1/2 sondern auch 3 6/10 Prozent gestellt wird. Desgleichen ist auch der Entwurf des Status genehmigt.

JULI
 4. Gestern nachmittag, kurz nach 3 Uhr, brach in der Brennerei der Firma Wever und Möller Feuer aus, welches bei dem herrschenden Südsturm in kurzer Zeit gewaltige Dimensionen annahm und sämtliche Nachbarhäuser in große Gefahr setzte. Von den am Neubau beschäftigten Maurern wurden zuerst die aus der Bodenluke züngelnden Flammen bemerkt, welche trotz der angestrengten Tätigkeit des Personals und schnell hilfsbereit herbeieilender Nachbarn nicht auf ihren Entstehungsherd, den Kornboden, eingedämmt werden konnten, sondern an den großen Korn-, Heu- und Strohvorräten schnellzündende Nahrung fanden und im Nu sich über die ganze Brennerei und die Wirtschafts- und Viehgebäude ausdehnten. Infolge der gewaltigen Glut, in die noch der Südsturm mit vollen Backen hineinblies, fingen die Nachbarhäuser des Küfermeisters Schmidt, der Witwe Kirchhoff und das ehemalige Schrödersche Haus ebenfalls Feuer, doch gelang es, hier schnell zu dämpfen. Glücklicherweise blieb das dem Feuer am meisten ausgesetzte Wengenrothsche Wohnhaus infolge der eifrigen Hilfe wackerer Nachbarn gänzlich verschont. Bei der zuerst mangelhaften Zuleitung des Hydranten konnte die Feuerwehr erst dann erfolgreicher eingreifen, als durch Zuleitung des Mühlengrabens auch die Druckspritze in Dienst gestellt werden konnte. So gelang es gegen 18 Uhr des Brandes Herr zu werden. Die Brennerei ist bis auf den Mittelbau heruntergebrannt und es erwächst trotz der Versicherung dem Besizer ein bedeutender Schaden, da die Anlage zum Teil sehr gelitten hat und dadurch eine wochenlange Betriebsstörung hervorgerufen ist. Das wertvolle Mastvieh und die drei Pferde wurden rechtzeitig gerettet. Den Brandschaden hat die Preußische Feuer-Versicherungs-Actiengesellschaft zu Berlin zu decken. Von den Rettungsarbeiten des Schmidtschen Hauses sei anerkennend der Gehilfen des Schieferdeckers Kirchhoff gedacht, welche in waghalsiger Weise mitten im Feuer das Dach aufrissen.
 6. Bei der am 14. vorigen Monats stattgefundenen Berufs- und Gewerbezählung wurden in der hiesigen Stadt 845 Familien mit 4.023 Personen gezählt und zwar 2.108 Personen männlichen und 1.915 Personen weiblichen Geschlechts. Es wurden 727 Landwirtschaftskarten und 126 Gewerbebogen aufgestellt. Vergleicht man hiermit die Einwohnerzahl Plettenbergs vom Jahre 1871, nämlich 2.000 Seelen, so hat sich die Einwohnerzahl in dem Zeitraum von 24 Jahren verdoppelt.

SEPTEMBER
17. Hof brannte nieder! Am Sonnabend früh gegen 7 Uhr brach in dem Doppelhause der Landwirte Berges und C. Langemann in Marl Feuer aus, welches an den vielen Vorräten an Hafer, Roggen und Heu reiche Nahrung fand, so daß das Gebäude fast ganz niederbrannte trotz der eifrigen Anstrengungen unserer Freiwilligen Feuerwehr, die sofort nach dem Alarm zur Stelle war und mit bekannter Bravour eingriff. Als Ursache des Brandes wird angenommen, daß undichte Stellen am Schornstein Funken durchgelassen haben, durch welche der Haferstroh in Brand geriet. Glücklicherweise sind Gebäude, Hausgerät und Futtervorräte versichert und haben, wenn wir recht haben, die Vaterländische-, die Provinzial-, die Baseler und die Norddeutsche Feuerversicherung den Schaden zu decken. Gleichwohl erleiden die vom Brand Betroffenen einen schweren Verlust, da die Vorräte nicht annähernd versichert waren.
21. Gehweg an der Lenne! Mit dem Legen der Fußgängerbahn an der Lennebrücke ist gestern endlich begonnen, obgleich die Maurerarbeiten erst zum Teil fertig sind. Hiernach werden wohl die vielen Klagen, zu denen der Umbau an der Brücke Veranlassung gab, bald aufhören. Mit den Erdarbeiten ist man bereits bis zur Post fortgeschritten, während gleichzeitig das Legen der Packlage und dann der Schienen rüstig vorwärtschreitet. - Arbeiten am Wehr! Die Arbeiten am Siesel schreiten rüstig vorwärts. Infolge der günstigen Witterungsverhältnisse sind die Arbeiten am Wehr, welches kurz oberhalb der Kreuzung von Staatsbahn und Chaussee vor Pasel angelegt wird, soweit gediehen, daß das eigentliche, betonierte Wehr, sowie die Ufermauer auf der rechten Seite des Flußbettes bereits fast fertiggestellt sind und es sich nur noch um die Ausführung der Uferbefestigung auf der linken Seite, sowie der Bahnunterführung an jener Stelle handelt, um die Lenne unter der Bahn hindurch in den Obergraben abzuleiten. Der Bau des an dieser Stelle nötig werdenden Tunnels für den Obergraben hat auch bereits begonnen. Der Tunnel soll im Laufe eines halben Jahres fertiggestellt sein.

OKTOBER
 3. In der auf Montag abend nach dem Bitzhennerschen Lokal einberufenen Versammlung der hiesigen Gewerbetreibenden, die von einigen 20 Personen besucht war, wurde die Bildung eines Vereins zum Schutze der geschäftlichen Interessen gegen das überhandnehmende Borgunwesen angeregt. Die Anregung fand allgemeinen Beifall und wurde in den provisorischen Vorstand gewählt als Vorsitzender Bäckermeister W. Potthoff, als Beisitzer die Kaufleute Albert und Ernst Niebch, sowie als Schriftführer Kaufmann Otto Wever. In der nächsten Versammlung soll über die grundlegenden Statuten beraten werden.
 8. Grunderwerb für neues Gericht perfekt! Am vorigen Freitag ist hier zwischen dem Landgerichtsdirektor Langrok aus Hagen, im Auftrag des Justizminsters, und den Vertretern der hiesigen evangelischen Kirchengemeinde, Pfarrer Klein und Kirchmeister Lohmann, der Kaufvertrag abgeschlossen über das von der Kirchengemeinde zum Bau des neuen Amtsgerichtsgebäudes abzutretende Grundstück an der Herscheider Straße. Mit dem Bau des neuen Gerichtsgebäudes dürfte schwerlich vor 1898 begonnen werden.

NOVEMBER
 1. Der Landgerichtspräsident Langrock weilte in den letzten Tagen hier zur Revision des Amtsgerichts.
- Eine schwere Verletzung zog sich am Mittwoch Abend eine Frau K. hier auf eigenthümliche Weise zu. Um dem ungehorsamen Töchterchen eine Lection zu ertheilen, wollte die Mutter demselben eine Ohrfeige geben; in demselben Augenblick hob das Kind zur Abwehr die Hand, in der es ein Küchenmesser hielt. Leider schlug die Mutter blindlings zu und traf mit der Hand so unglücklich in das Messer, dass ihr am Handgelenk die Sehnen des Daumens durchschnitten wurden. Es bedurfte der Hülfe zweier Aerzte, um die schwere Verletzung zu unterbinden. Erst gestern Morgen gelang es, die durchschnittenen Sehnen zu fassen und nach Vernähung einen ordentlichen Verband anzulegen.
- Nichts weniger als vom Glück begünstigt ist die neue Papierfabrik, welche am 1. Oktober in dem früher Posthalter Schulte'schen Werk den Betrieb zu eröffnen gedachte. Die bestellte große Holländer-Maschine wurde nicht fertig und gelangte nach mehr denn dreiwöchiger Verzögerung erst vorgestern hier asn. Gestern Morgen sollte nun die schwere Maschine mit dem Krahn ausgeladen werden; hierbei rutschten die Ketten ab und der schwere Koloß stürzte zur Erde, in einen Haufen Eisentrümmer zusammenbrechend. Wer für den schweren Schaden verantwortlich zu machen ist, wird die Untersuchung ergeben.
- Die Arbeiten an unserer Kleinbahn haben in letzter Zeit wieder ein flottes Tempo angeschlagen. Bereits sind die Erdarbeiten ihrer Vollendung recht nahe gebracht, mehr denn zur Hälfte sind die Gleise verlegt, auch die größeren Brückenbauten sind zumeist beendet und der letzte Theil der Eisenconstructionen kommt in den nächsten Tagen zur Montage. Der Locomotivschuppen auf dem Schmalspur-Bahnhof ist bereits aufgeschlagen und wird in diesen Tagen fertiggestellt. Dem Eintreffen der ersten Locomotive sieht man stündlich entgegen und soll beim Eintreffen derselben, sowie der für nächste Woche erwarteten Güterwagen, sofort ein Materialzugsbetrieb eingerichtet werden. Nachdem gestern, fast in letzter Stunde, eine Einigung über den Ankauf des benöthigten Straßenabsplisses vor dem Schulte'schen Hause neben dem Umlauf erzielt ist, kann diese Materialbeförderung auch schon den größeren Theil des Bahnterrains in der Stadt sofort passiren. Damit ist auch die Hoffnung neu belebt, bei irgend günstigem Wetter die Betriebseröffnung noch in diesem Jahre zu ermöglichen. - Hoffentlich lassen sich die der Ausführung der Personenverkehrslinie noch entgegenstehenden Hindernisse frühzeitig genug beseitigen, so dass an eine gemeinsame Eröffnung von Güter- und Personenverkehr gedacht werden kann.
 6. Mit der kürzlich hier eingetroffenen Locomotive für die Straßenbahn wurde heute Nachmittag eine Probefahrt nach der Stadt bis zum Mühlendamm unternommen. Im Anschluss hieran wurde die Befahrung einiger Kurven geprüft und war das Resultat auf allen, auch der kleinsten, 15-Meter-Kurve in der W. O. Schulte'schen Einfahrt ein höchst befriedigendes. Die Maschine stammt aus der Fabrik von Arn. Jung, hat bis 80 Pferdekraft und läuft in der Stunde bis 15 km. Natürlich hatte das Schauspiel eine hundertköpfige, staunende Menschenmenge angelockt.


Lexikon für die Stadt Plettenberg, erstellt durch Horst Hassel,
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