Quelle: Jahresbericht der Handelskammer des Kreises Altena 1857 und 1858, S. 38-39 (WWA Dortmund, mikroverfilmt)
"Nicht selten, dass Betten und Oefen verpfändet werden"
(HH) Üblicherweise wurde das Schützenfest seit 1836 im Zwei-Jahres-Turnus gefeiert.
Nun wird über das Fest 1856 berichtet, es sei "nicht ganz einwandfrei verlaufen".
Was Auslöser dieser Nachricht war, und warum das nächste Fest erst drei Jahre
später gefeiert wurde, ist derzeit noch nicht bekannt. Im Jahresbericht der Handelskammer
zu Altena für die Jahre 1857-58 findet sich aber ein Hinweis, welche Probleme
Schützenfeste allgemein der Bevölkerung damals bereiteten. Dabei ging es darum,
dass die Arbeiter nicht gewohnt waren, mit dem Geld umzugehen, das sie im Zuge der
Industrialisierung in den Fabriken verdienten:
"Nicht minder verführerisch für den Arbeiter ist die öftere Wiederkehr großer,
lang andauernder Belustigungsveranstaltungen. Bei der jetzigen Cultur der
Detail-Verkaufs-Geschäfte haben die sogenannten 'Kirmessen' für den Waaren-Verkauf
nur noch geringe Bedeutung, und können in dieser Beziehung wohl als überflüssig
und nutzlos bezeichnet werden; dahingegen bieten die Kirmessen in den Fabrikorten
den lebhaftesten Ball- und Wirthshaus-Verkehr mit Vergnügungen aller Art. Die
Festlichkeiten dauern gewöhnlich 3 Tage, und wenn sie in den Anfang der Woche
fallen, so zieht sich die Arbeits-Versäumnis 4 - 5 Tage hin, mit einer für den
Arbeiter neben dem Lohn-Ausfall oft zu starken Ausgabe.
Ein noch ungleich mehr anziehendes Volks-Vergnügen bieten die beliebten Schützenfeste
auch gewöhnlich von 3 - 4-tägiger Dauer, mit Militair-Musik, Kram-Markt und heiteren
Spielen verschiedener Art. Unzweifelhaft haben diese mit Schießübungen und kleinen
Exercitien in leichter Uniform verbundenen Volksfeste in Bezug auf Wehrfähigkeit,
Organisations-Übung, Anregung zu sozialem Gemeinsinn und öffentlicher Besprechung
etc. ihre schönen Seiten, und es würde die Betheiligung alle Stände an solchem
Fest-Jubel wohl gerne eintreten, wenn der bedenkliche Hinweis auf die für den
Arbeiterstand zu großen Geld- und Versäumnis-Opfer nicht wirklich begründet wäre.
Dem anfeuernden Schall der Militair-Trompeten und Hörner widersteht in den kleinen
Städten kein Arbeiter, und es ist nicht selten, dass Betten und Oefen verpfändet
werden, um die nöthigen Geldmittel zur ungenirten Theilnahme an der rauschenden
Freude herbeizuschaffen; nachher aber muss die Familie wohl wochenlang Entbehrungen
leiden, um das Loch in der Wirthschafts-Kasse allmählich wieder zu stopfen.
Zwei solcher theuren schwelgenden Feste in Einem Jahr ist nach Ansicht aller
Unbefangenen für die leichterregbare Fabrik-Bevölkerung offenbar zu viel, denn
an Gelegenheit zur Restauration von der Arbeit, zu Tanz und Spiel in mäßig
erträglichen Verhältnissen fehlt's ja nie! Mit Rücksicht auf den jüngst empfangenen
Verweis zur besseren Beachtung des geordneten Instanzen-Zuges bei unseren Anträgen
dürfen wir uns indeß nur erlauben, zum Wohl der arbeitenden Klassen als sehr
wünschenswert zu bezeichnen, |