Quelle: Süderländer Tageblatt vom 01.07.2010


In manchen Fällen halfen sie vier Generationen: Das Ärzte-Ehepaar Sichert am Anmelde-Tresen ihrer Praxis in Böddinghausen. Sie sagen: "Es war eine gute Zeit, aber man muss wissen, wann Schluss ist." Das Gebäude, in dem die 120 Quadratmeter große Gemeinschaftspraxis untergebracht ist, soll nun verkauft werden. Foto: F. Ahlers

"Nicht nur Ärzte. Auch Seelsorger und Berater"
Dr. Arno Sichert und Dr. Erika Sichert-Hermanni schließen ihre Praxis. Über 30 Jahre sind beide als Ärzte tätig

PLETTENBERG An und in einem Haus im Diergarten (Böddinghausen) stehen Umzugskartons. Voll mit Karteikarten, Krankenakten - und Erinnerungen. Sie gehören Dr. med. Erika Sichert-Hermanni und ihrem Mann, Dr. med. Arno Sichert. Am gestrigen Mittwoch gaben sie ihre Praxis endgültig auf.

Über drei Jahrzehnte ist Dr. Arno Sichert hier als niedergelassener Arzt - als Facharzt für Allgemein-, Sport- und Betriebsmedizin - tätig. 1978 kauft er das Haus. "Böddinghausen war für mich ein guter Standort, weil dieses Gebiet mit Papenkuhle und Burg seitens allgemeinärztlicher Versorgung noch nicht erschlossen war", sagt Dr. Arno Sichert im Gespräch.

Gebiet Böddinghausen braucht Ärzte
Nach und nach kommen mehr Patienten hinzu, der Terminplan ist gut gefüllt, die Praxis "brummt". Nicht zuletzt, weil sich Dr. Arno Sichert eben das Spezialgebiet "Sportmedizin" angeeignet hat. Aber auch generell stehen Hausärzte zu der Zeit hoch im Kurs - im Gegensatz zu heute, wie der Mediziner konstatiert. "Der Trend geht - und da sage ich ganz deutlich 'leider' - zu den Ärztehäusern und Medicentern. Der klassische< Hausarzt stirbt schlichtweg aus."

Diese Konzentration von Ärzten an einem Ort fällt dem Böddinghauser Arzt schon in den 80er bzw. 90er Jahren auf. Dr. Sichert: "An vielen Orten wurden Gemeinschaftspraxen gegründet, Ärzte schlossen sich zu Teams zusammen, bildeten Kooperationen. Es wurde immer schwieriger, alleine zu bestehen, die Praxis als Einzelperson zu halten."

Ab 1997 dann Gemeinschafts-Praxis
Auch im Diergarten zeichnet es sich ab, dass abwandernde Patienten und technisierte Gemeinschafts-Praxen das Wasser abschöpfen. Ein glücklicher Umstand macht es möglich, dass 1997 Dr. Erika Sichert-Hermanni, nicht nur Kollegin des Sportmediziners, sondern seine eigene Ehefrau, mit in die Praxis zieht. Ihr Fachgebiet: Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Ein Allgemeinmediziner und eine Frauenärztin - das ist eine gute Mischung, stellen die beiden schnell fest - und die Patienten kommen.

Nicht nur im privaten sind die beiden Ärzte zusammen, sondern auch als Team in der Praxis gehts Hand in Hand. Beide sind seit 1972 Ärzte, seit Ende der 70er Jahre sind beide in Plettenberg niedergelassene Mediziner. "Fast vier Jahrzehnte, die eigentlich richtig viel Spaß gemacht haben", sagen die beiden 65-Jährigen im Gespräch mit der Heimatzeitung. "Eigentlich" deshalb, weil vor allem in den Anfangsjahren ihrer Tätigkeit der Beruf tatsächlich noch Freude brachte, sagen beide heute in der Rückschau. "War es damals noch möglich, eine Praxis ohne echte Sorgen zu führen, ist es heute eher ein Kampf mit der Bürokratie - aber vor allem um das blanke Überleben."

Schmerzen auch seelisch bedingt
Überlebt haben sie es. Und waren für ihre Patienten nicht nur als Mediziner da. Dr. Arno Sichert und Dr. Erika Sichert-Hermanni, die auch psychosomatische Medizin erlernt hat, sind immer öfter auch vor allem Gesprächspartner für die Männer und Frauen, die zu ihnen in die Praxis kommen. "Manche Menschen haben einfach Gesprächsbedarf. Ein Patient muss nicht unbedingt Rückenschmerzen haben, wenn er gebeugt sitzt. Das kann auch an seinen Sorgen liegen", sagt Dr. Arno Sichert.

Und seine Frau ergänzt: "Beobachten gehörte zu unseren Hauptaufgaben. Wie kommt der Patient in den Behandlungsraum? Wie ist seine Mimik, Gestik? Wie ist seine Haltung? Das sind alles Faktoren, die uns beim Analysieren halfen." Denn oft brauche man keine Hoch-Technologie, um Patienten zu untersuchen. Dr. Sichert: "Wenn ein Patient mit Rückenschmerzen zu mir kommt, frage ich dann auch schonmal, ob er denn tags zuvor im Garten gearbeitet hat."

Gegen medizinischen Fortschritt spricht nichts, da ist sich das Ehepaar einig. "Das ist in jedem Fall gut. Aber nicht gut ist, wenn Maschinen die persönliche Behandlung ersetzen - und das ist stellenweise der Fall. Das geht nicht. Der klassische Arzt hat doch eigentlich einen hohen Wert!"

Dafür haben sich die Mediziner immer eingesetzt. Und jetzt ist Schluss. Was kommt danach? Was kommt jetzt nach dem gestrigen Tag, nach dem "Schlüssel umdrehen"? - "Auf jeden Fall der Unruhestand", sagt Dr. Erika Sichert-Hermanni und lächelt. Ihre Praxis wird ab dem heutigen Donnerstag von Dr. Lutz Hellweg weitergeführt. Dr. Arno Sichert gibt seine Praxis komplett auf, ist aber künftig weiterhin als Betriebsarzt tätig.

Nachfolger bleibt zunächst in der Praxis
Für zwei Monate bleibt die gynäkologische Praxis von Dr. Hellweg noch in Böddinghausen, danach sind die derzeit in der Renovierung befindlichen neuen Praxisräume in der Kaiserstraße bezugsfertig. Dann wird die Gemeinschaftspraxis Dr. Hellweg / Dr. Tornow / Dr. Miserre in dem ehemaligen Malergeschäft eröffnet.

Das Ärzte-Ehepaar Sichert jedenfalls ist zwar wehmütig, dass es jetzt vorbei ist, aber auch erleichtert. "Irgendwann muss gut sein", sagt Dr. Erika Sichert-Hermanni. Dieser Zeitpunkt ist für beide jetzt gekommen. Ihre Patienten haben sich mit Blumen und kleinen Präsenten von den Ärzten verabschiedet.

Jetzt werden sich die beiden vor allem darum kümmern, dass die Ältere ihrer beiden Töchter künftig als Chirurgin arbeiten kann. "Wir wollen sie unterstützen - und bleiben so zumindest passiv in der Medizin zu Hause."
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