Quelle: Süderländer Tageblatt vom 01.07.2010
"Nicht nur Ärzte. Auch Seelsorger und Berater"
PLETTENBERG An und in einem Haus im Diergarten (Böddinghausen) stehen
Umzugskartons. Voll mit Karteikarten, Krankenakten - und Erinnerungen. Sie
gehören Dr. med. Erika Sichert-Hermanni und ihrem Mann, Dr. med. Arno Sichert.
Am gestrigen Mittwoch gaben sie ihre Praxis endgültig auf.
Über drei Jahrzehnte ist Dr. Arno Sichert hier als niedergelassener Arzt -
als Facharzt für Allgemein-, Sport- und Betriebsmedizin - tätig. 1978 kauft
er das Haus. "Böddinghausen war für mich ein guter Standort, weil dieses
Gebiet mit Papenkuhle und Burg seitens allgemeinärztlicher Versorgung noch
nicht erschlossen war", sagt Dr. Arno Sichert im Gespräch.
Gebiet Böddinghausen braucht Ärzte
Diese Konzentration von Ärzten an einem Ort fällt dem Böddinghauser Arzt
schon in den 80er bzw. 90er Jahren auf. Dr. Sichert: "An vielen Orten
wurden Gemeinschaftspraxen gegründet, Ärzte schlossen sich zu Teams
zusammen, bildeten Kooperationen. Es wurde immer schwieriger, alleine
zu bestehen, die Praxis als Einzelperson zu halten."
Ab 1997 dann Gemeinschafts-Praxis
Nicht nur im privaten sind die beiden Ärzte zusammen, sondern auch als
Team in der Praxis gehts Hand in Hand. Beide sind seit 1972 Ärzte, seit
Ende der 70er Jahre sind beide in Plettenberg niedergelassene Mediziner.
"Fast vier Jahrzehnte, die eigentlich richtig viel Spaß gemacht haben",
sagen die beiden 65-Jährigen im Gespräch mit der Heimatzeitung.
"Eigentlich" deshalb, weil vor allem in den Anfangsjahren ihrer
Tätigkeit der Beruf tatsächlich noch Freude brachte, sagen beide
heute in der Rückschau. "War es damals noch möglich, eine Praxis
ohne echte Sorgen zu führen, ist es heute eher ein Kampf mit der
Bürokratie - aber vor allem um das blanke Überleben."
Schmerzen auch seelisch bedingt
Und seine Frau ergänzt: "Beobachten gehörte zu unseren Hauptaufgaben. Wie kommt der Patient in den Behandlungsraum? Wie ist seine Mimik, Gestik? Wie ist seine Haltung? Das sind alles Faktoren, die uns beim Analysieren halfen." Denn oft brauche man keine Hoch-Technologie, um Patienten zu untersuchen. Dr. Sichert: "Wenn ein Patient mit Rückenschmerzen zu mir kommt, frage ich dann auch schonmal, ob er denn tags zuvor im Garten gearbeitet hat."
Gegen medizinischen Fortschritt spricht nichts, da ist sich das Ehepaar einig. "Das ist in jedem Fall gut. Aber nicht gut ist, wenn Maschinen die persönliche Behandlung ersetzen - und das ist stellenweise der Fall. Das geht nicht. Der klassische Arzt hat doch eigentlich einen hohen Wert!"
Dafür haben sich die Mediziner immer eingesetzt. Und jetzt ist Schluss. Was kommt danach? Was kommt jetzt nach dem gestrigen Tag, nach dem "Schlüssel umdrehen"? - "Auf jeden Fall der Unruhestand", sagt Dr. Erika Sichert-Hermanni und lächelt. Ihre Praxis wird ab dem heutigen Donnerstag von Dr. Lutz Hellweg weitergeführt. Dr. Arno Sichert gibt seine Praxis komplett auf, ist aber künftig weiterhin als Betriebsarzt tätig.
Nachfolger bleibt zunächst in der Praxis
Das Ärzte-Ehepaar Sichert jedenfalls ist zwar wehmütig, dass es
jetzt vorbei ist, aber auch erleichtert. "Irgendwann muss gut
sein", sagt Dr. Erika Sichert-Hermanni. Dieser Zeitpunkt ist
für beide jetzt gekommen. Ihre Patienten haben sich mit Blumen
und kleinen Präsenten von den Ärzten verabschiedet.
Jetzt werden sich die beiden vor allem darum kümmern, dass
die Ältere ihrer beiden Töchter künftig als Chirurgin arbeiten
kann. "Wir wollen sie unterstützen - und bleiben so zumindest
passiv in der Medizin zu Hause."
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