Quelle: WR Plettenberg vom 02.11.2007
Drei Wochen in Ulan Bator - Reise in die Steppe ein besonderes Erlebnis
Von Horst Hassel
Vermittelt hat den Ausflug nach Asien der SES. Der sucht für Projekte weltweit Senior-Experten, die ihr aktives Berufsleben abgeschlossen haben und ihre Kenntnisse ehrenamtlich zur Verfügung stellen. Sie müssen über langjährige berufliche Erfahrungen, Sprachkenntnisse und Auslandserfahrung sowie die Fähigkeit verfügen, sich den am Einsatzort gegebenen Bedingungen anzupassen.
Dr. Harald Prehl wurden verschiedene Projekte in Ägypten, China und in der Mongolei angeboten. Er
entschied sich für Ulan Bator. Dort sollte er sein Wissen über Diabetes vermitteln und mongolische
Ärzte in der Behandlung von Diabetes schulen. Bevor es mit einer Tupolew-Maschine über Moskau
nach Ulan Bator ging, hatte Dr.Prehl sich über das Land informiert und mit einem mongolischen
Arzt (50) per Email Kontakt aufgenommen. Der hatte in den 1980er Jahren in der DDR studiert
(daher dessen Deutsch-Kenntnisse), war als Gynäkologe zurück in die Mongolei gegangen, hatte
2004 in Düsseldorf weiter studiert, um besser zum Aufbau des Gesundheitswesens in der Mongolei
beitragen zu können. 2006 eröffnete der Mongole eine Praxis in Ulan Bator. Durch die
Diabetes-Krankheit seines Bruders hatte sich der Arzt verstärkt um dieses Fachthema bemüht.
Am 1992 erbauten Flughafen „Dschingis Khan” wurde Dr. Prehl pünktlich von seinem Arztkollegen abgeholt, durfte sich aus acht übrig gebliebenen Gepäckstücken seine Koffer heraussuchen, lehnte den angebotenen Begrüßungsschluck (Wodka, morgens um 7 Uhr) dankend ab. Abenteuerlich die Fahrt in die Stadt. 1400 Kilometer Straßennetz gibt es in der Mongolei, niemand hält sich an Verkehrsregeln, jedes zweite Auto hat Rechtssteuerung. Untergebracht wurde Dr. Prehl in einem Plattenbau, 3 Zimmer in der 4. Etage - es war die Wohnung des mongolischen Arztes, der zwischenzeitlich bei seinem Sohn unterkam. Wasser gibt es dort nicht immer, warmes Wasser ganz selten. Kalt rasieren bei 30 bis 34 Grad Außentemperatur war oft angesagt. Die Neonröhren im Hausflur werden aus Angst vor Diebstahl immer erst bei einbrechender Dunkelheit montiert.
Ein reines Infektionskrankenhaus wird besichtigt: 880 Betten (!), davon werden 55 Betten von
der Ehefrau des Gastgebers, die ebenfalls Ärztin ist, betreut. Infektionskrankheiten sind
Tuberkulose, Hepatitis, Brucellose. Ein solch riesiges Krankenhaus zur Behandlung von Infektionen
kennen wir in Deutschland nicht. Ein Arzt verdient dort rund 240.000 Tukrig/Monat (ca. 400 US-Dollar).
Dann geht es in die Praxis des Arztes. Die Ausstattung: ein Bestrahlungsgerät, ein paar Spritzen,
im Chefzimmer ein Computer, im Sozialraum ein Eisschrank und eine Mikrowelle, die Ausgabe von
Medikamenten erfolgt im Wartezimmer. Von dort hat man durch eine große Glasscheibe einen sehr
guten Blick ins Behandlungszimmer. Interessiert schauen die wartenden Patienten, welche
Behandlung der Arzt seinem Patienten angedeihen lässt - „Schwarzwald-Klinik” auf Mongolisch.
Pünktlichkeit oder Terminabsprachen gibt es nicht.
Etwa 34.000 Diabetiker gibt es in Ulan Bator (1,2 Mio. Einwohner), etwa so viele wie in Hamburg. Insulin ist kaum zu bekommen, lediglich Blutzucker-Tabletten, wie sie in Europa in den 80er und 90er Jahren verwendet wurden, werden von einer deutschen Firma vertrieben. Blutzuckerbestimmungsgeräte: Fehlanzeige. Meist haben sich Patienten diese selbst besorgt, allerdings fehlen Teststreifen oder die Geräte sind falsch eingestellt. Es gibt Präparate aus China und Korea und solche pflanzlicher Art, wobei es bei letzteren prahlerisch heißt: „1 Woche einnehmen und der Zucker ist weg”.
Dr. Prehl arbeitet in der Praxis des mongolischen Kollegen mit. Das Programm „Schwarzwald-Klinik” wird gestrichen - ein Vorhang kommt vor das Sichtfenster in den Behandlungsraum. Aufzeichnungen über fehlende Ressourcen werden gemacht. Erstaunt sieht er, wie man ohne ein Labor die Diabetes-Patienten diagnostiziert. Nach einer Woche nimmt Dr. Prehl Kontakt zur Deutschen Botschaft auf und bittet um Vermittlung von Ansprechpartnern im mongolischen Gesundheitsministerium. Ein Gespräch mit dem Vizegesundheitsminister folgt. Der hat zur Wende und bis 1994 in Rostock gelebt und unterstützt Dr. Prehls Aufruf in der Presse nach Insulin. Bei den Mongolen hat Dr.Prehl einen anderen Diabetes-Typ ausgemacht, einen, den er in Deutschland nur ein- bis zweimal erlebt hat: Kein Infarkte, alle Erkrankten sind rund 20 Jahre jünger als in Deutschland, ihre Insulin produzierenden Zellen sind durch Hepatitis geschädigt, das fette Essen und viel Alkohol sind die Ursachen.
Hohen Bekanntheitsgrad bekommt Dr. Prehls Einsatz durch das Fernsehen. Das ist durch seinen
Aufruf in der Presse aufmerksam geworden, lädt ihn gleich dreimal zum Gesundheitsmagazin ins
Studio ein, was Dr. Prehl zu einem außergewöhnlichem Souvenir verhilft: Sein Interview, bei
dem er (durch Synchronsprecher) „in mongolischer Sprache” über Diabetis referiert, auf
VHS-Kassette. Erste Folge der Popularität: Wildfremde Menschen grüßen ihn in der Stadt.
Zweite Folge: Patienten reisen aus bis zu 1500 Kilometer Entfernung an, um sich von dem
Diabetologen untersuchen zu lassen.
„Die Mongolei ist das Dubai der nächsten Jahre”, erfährt Dr. Prehl von wirtschaftlichem Aufschwung. Es gibt nur arm oder reich, die Arbeitslosenquote liegt bei offiziell 25 Prozent, tatsächlich eher bei 40 Prozent. Derzeit findet ein Goldrausch statt, weil Goldsucher mit Detektoren in kurzer Zeit 8 bis 9 Kilogramm Gold gefunden haben. Außerdem soll Erdöl gefunden worden sein, Kohle in Massen unter der Erde liegen, die Korruption soll blühen.
Abenteuerlich war für Dr. Prehl ein Ausflug am Wochenende in die Steppe. In einer Jurte (typisches Mongolen-Zelt) gab es Tee mit Milch und Salz, vergorene Stutenmilch (5-6 % Alkoholgehalt), dazu harter Käse („Hart wie 30 Tage altes Brot”), Bier „Dschingis Khan” von einem deutschen Brauer. Hauptgetränk aber ist Wodka. Der Familiensinn ist praxisbezogen: Zu Ehren des deutschen Arztes wird ein Hammel geschlachtet. Das Fleisch wird in einen Ziegensack eingenäht und mit heißen Steinen gekocht. Dazu wird eine Zinkschüssel herumgereicht, in dem ein Taschenmesser und das Fleisch liegt, von dem sich jeder etwas abschneidet. Die silberne Wodkaschale kreist, und jeder nimmt einen Schluck. Noch praktischer: Stutenmilch wird direkt in einen Plastikbecher gemolken, nach dem Trinken der Becher mit einer Plastiktüte ausgewischt, und der nächste ist dran. Ein Waschbecken reicht für 50 Leute. Nachts in der Steppe erlebt Dr. Prehl einen Sternenhimmel, wie der ihn noch nie gesehen hat: „Die Milchstraße war zum Anfassen nah!”
Inzwischen ist Dr. Prehl zurück, der mongolische Arzt war schon zum Gegenbesuch in Deutschland und einige Tage bei Prehls in Plettenberg zu Gast. Gespräche mit Pharma-Firmen über den Aufbau einer Großhandlung für Insuline und vieles mehr standen an. Der SES hat für den Senior-Experten Dr. Prehl schon ein neues Angebot: In China an einem Krankenhaus mit 800 Betten mit einer Abteilung: Endokrinologie mit 8 Ärzten. In dieser Abteilung soll eine Fußambulanz aufgebaut werden.
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