Quelle: Süderländer Tageblatt vom 09.04.2012

SS-Anwalt Helmut Pfeiffer: In der
Schaltzentrale des NS-Terrors

Ein Buch über eine Plettenberger SS-Größe: Ein selbstloser Helfer verfolgter Juden im Dritten Reich?


Das Buch von Susanne Krejsa begibt sich buchstäblich auf Spurensuche nach dem "wahren" Helmut Pfeiffer. Helmut Pfeiffer (1907-1945) aus Eiringhausen machte eine steile Karriere in der NSDAP, fiel aber gegen Ende des Zweiten Weltkrieges bei den NS-Spitzen in Ungnade. Er soll mehreren verfolgten Juden das Leben gerettet haben. Quelle: Deutsches Bundesarchiv

Von Jonas Mueller-Töwe

PLETTENBERG. Das Buch über den Eiringhauser SS-Mann Helmut Pfeiffer ist erschienen: "Spurensuche - Der SS-Anwalt und Judenretter Helmut Pfeiffer" heißt es. Seit etwa sechs Wochen liegt eines der ersten Exemplare auf meinem Schreibtisch, es ist gelesen, zahlreiche bunte Klebezettelchen ragen zwischen den Seiten hervor. Auf manche habe ich Notizen gekritzelt. Eigentlich ist alles bereit für die Rezension. Trotzdem fällt sie mir nicht ganz leicht.

Erste Recherche über die Heimatzeitung
Als die österreichische Autorin Susanne Krejsa vor beinahe vier Jahren den Kontakt zum Süderländer Tageblatt suchte, war Helmut Pfeiffer ein Name, der aus dem dunklen Grau der Geschichte auftauchte. Nie gehört. Auch unter der Leserschaft konnten sich nur wenige an die Industriellenfamilie erinnern, die an der Provinzialstraße 144 (heute Reichsstraße) wohnte. Der Sohn, Helmut Pfeiffer, war noch weniger ein Begriff. Umso spannender las sich Krejsas Anfrage und ihre These: Der Plettenberger SS-Mann soll Juden vor der Verfolgung gerettet haben.

Über einige Monate beschäftigten uns die Recherchen der Autorin. Mehrere Artikel erschienen. Gelegentlich ließ sich etwas für das Buch verwerten - auch Dank zahlreicher Hinweise von Lesern. Nun, da das Ergebnis der Recherchen in Buchform vorliegt, fällt es schwer ein distanziertes Urteil darüber zu fällen. Vor allem, da Krejsa schon im Anfangskapitel ein sehr großes Fass aufmacht: "Nicht einmal zu Hause [in] Eiringhausen weiß man von seinen Heldentaten." Konkret: von seinen Bemühungen um mehrere jüdische Familien, seinen Bemühungen um internierte dänische Polizisten, seiner gescheiterten Flucht gemeinsam mit polnischen Juden. Doch war Helmut Pfeiffer, der SS-Mann, wirklich ein Held? Und was ist das überhaupt?


Helmut Pfeiffer

Krejsa beschreibt den Aufstieg des Mannes sehr detailliert: Nach seinem Jurastudium in Köln geht er nach Berlin, pflegt Kontakt zum umstrittenen Plettenberger Staatsrechtler Carl Schmitt. Schon in Köln im Jahr 1927 hat er in NSDAP-Kreisen verkehrt und sich für die Partei engagiert, unter anderem als Rechtsberater. 1931 tritt er schließlich bei und wird 1932 Gauabteilungsleiter des Bundes Deutscher Juristen. Gründer und Präsident ist Hans Frank, der spätere "Schlächter von Polen". In seinem Fahrwasser wird Helmut Pfeiffer der Aufstieg ins Reichsicherheitshauptamt in Berlin gelingen. Dort wird der industrielle Massenmord geplant, vorbereitet und umgesetzt. Doch zuvor widmet sich Pfeiffer gemeinsam mit Frank im Bund Deutscher Juristen und später als Generalsekretär in der Internationalen Rechtskammer der politischen Umsetzung der Schmittschen Theorie.

Im Fahrwasser von Hans Frank
Die Souveränität der Staaten kommt in ihren Vorstellungen nicht mehr vor, ein völkerrechtlicher Universalismus wird als jüdisch abgelehnt. Völkerrecht - das meint in der nationalsozialistischen Deutung lediglich noch das Recht der Völker innerhalb eines Reiches. "Die wichtigste politische Konsequenz ist die Aufgabe des Minderheitenschutzes zugunsten des sogenannten Volksgruppenrechts", schreibt Franz Neumann noch während des Krieges im Behemoth in einer der ersten Strukturanalysen des Nationalsozialismus. Auf diese rechtliche Grundlage, die Hierarchie der Rassen, stellen Frank und Pfeiffer die Ausbeutung und Versklavung der europäischen Gesellschaften. Eine Gleichheit vor dem Gesetz existiert in ihrem pervertierten Rechtsentwurf nicht mehr.

Schließlich wird Pfeiffer 1938 SS-Mitglied. Ein Empfehlungsschreiben erhält er von Hans Krüger, dem späteren SS- und Polizeiführer im Generalgouvernement, dem besetzten Polen. Ein Jahr später, nach dem Überfall auf Polen, folgt Pfeiffer seinem Vorgesetzten dorthin. Frank wird Generalgouverneur, Pfeiffer wird Leiter der Wirtschaftsabteilung mit Sitz in Berlin. Das bedeutet: Er ist maßgeblich an der Ausplünderung Polens und der Arisierung der dortigen jüdischen Betriebe beteiligt. Als enger Vertrauter Franks muss er von Beginn an über den Massenmord informiert gewesen sein. Auf Distanz lässt ihn das nicht rücken.

Im Gegenteil: Seine Karriere schreitet voran. 1941 wird er Mitarbeiter im Reichssicherheitshautpamt, der zentralen Stelle des nationalsozialistischen Terrors. Von dort aus werden europaweit Juden gejagt. Täglich gehen Abschlussberichte ein. Als sein Ziehvater Frank 1942 ins Abseits gerät und vor der Ablösung steht, dient sich Pfeiffer Justizminister Thierack an. Er ist Urheber der Aktion "Vernichtung durch Arbeit" und liefert sich ebenso wie Himmler ein zähes Kompetenzgerangel mit Frank. Doch Frank bleibt im Amt und Pfeiffer unterstützt ihn wieder.

Allerdings macht er sich auch Feinde innerhalb der Partei und des NS-Staats. So verklagt er 1942 oder 1943 die Gestapo, weil sie den Besitz eines Nichtariers in Polen konfisziert hat. Das kann im Dienste Franks geschehen sein, der sich vor allem bei der Plünderung der Kunstschätze ein Wettrennen mit Hermann Göring lieferte. Anfang 1944 wird Pfeiffers Wehrdienst-Freistellung gestrichen. Von da an tut er alles, um seine Einziehung zu einer Bewährungseinheit zu verhindern, da dies einem Todesurteil gleichkommt. In der Einheit werden Unerwünschte gebündelt; sie gelten als Kanonenfutter.

1945: Fluchtversuch nach Schweden
Als er im April 1945 von deutschen Soldaten aufgegriffen wird, hat er seinen Einziehungsbefehl ignoriert, eine Blinddarm-Operation in Dänemark vorgetäuscht und sitzt in einem Boot Richtung Schweden gemeinsam mit seiner Verlobten und vier Polen - drei davon sind Juden. Er wird verhaftet und stirbt in Kopenhagen. Ob er ermordet wurde oder Suizid beging, ist nicht geklärt.

Allein diesen Werdegang zu verfolgen, macht das Buch von Susanne Krejsa spannend zu lesen. Schwieriger wird es, wenn die Sprache auf die belegbaren Rettungsaktionen kommt. Da wäre zum einen das Bemühen um die jüdische Familie Silten: Unbestritten ist, dass Pfeiffer trotz Verbots versuchte, seine Beziehungen spielen zu lassen, um die Deportation und Ermordung der Familie Silten zu verhindern. Allerdings erhielt er dafür 75 000 Reichsmark von seinem Auftraggeber, dem Industriellen Heinrich Dräger. Unklar ist, ob für Bestechungsgelder oder als Entlohnung. Tatsächlich aber überlebt der Großteil der Familie aufgrund der juristischen Tricksereien.

Ebenfalls auf Initiative Drägers versucht Pfeiffer selbiges für die Familie Kozower umsonst: die Familie wird in Theresienstadt ermordet. Auf Initiative eines dänischen Juristenkollegen setzt sich Pfeiffer dann auch für den jüdischen Textilhändler Levysohn sowie für internierte dänische Polizisten ein. Im ersten Fall ohne Erfolg, doch die dänischen Polizisten werden tatsächlich nicht in die deutschen Konzentrationslager deportiert.

Eine sehr dünne Quellenlage
Bleibt die Aussage von Pfeiffers Verlobter, die nach dem Krieg zu Protokoll gibt, dass er jahrelang verfolgten Juden und Ausländern half. Auch die Polen, mit denen er aufgegriffen wurde, soll er nach Dänemark geschmuggelt haben. Doch welche Motivation hatte Pfeiffer für sein Engagement? Möglicherweise handelte es sich auch um versteckte Interessenslagen oder Machtkämpfe innerhalb der Partei. Die Quellenlage ist dünn. Das weiß auch Krejsa, die Spekulationen und Vermutungen in ihrem Buch stets kennzeichnet und deswegen sauber arbeitet.

Abschließend ist es jedoch unmöglich zu sagen, ob Pfeiffer schlicht bestechlich war und sich deshalb bei noch fanatischeren Antisemiten unbeliebt machte. Oder hat er tatsächlich eine innere Wandlung durchlaufen? Dass er mit dem gut organisierten dänischen Widerstand paktierte, wie Krejsa an der ein oder anderen Stelle mutmaßt, erscheint unwahrscheinlich. Ein Historiker, den die Autorin ebenfalls zu Wort kommen lässt, gibt zu bedenken, dass in diesem Fall eine Flucht nach Schweden so kurz vor Kriegsende nicht notwendig gewesen wäre. Schon gar nicht für die Juden, die in Dänemark relativ sicher waren. Einen klaren Schluss lässt das tatsächlich Belegbare einfach nicht zu.

Aber gerade das macht auch die Stärke des bewusst sehr subjektiv gehaltenen Buches aus: Krejsa nimmt ihre Leser mit auf eine Spurensuche, recherchiert, spekuliert, wird von Ergebnissen enttäuscht und überrascht, lässt andere Meinungen zu. Das ist spannend und funktioniert über weite Strecken des Buches sehr gut. Wäre das wissenschaftlich schwammige und mit Sicherheit zu diskutierende Kapitel über Heldentum zu Beginn nicht: Es wäre ein noch besseres Buch.

Susanne Krejsa, "Spurensuche - Der SS-Anwalt und Judenretter, Helmut Pfeiffer", Vergangenheitsverlag, Berlin 2011, 18,90 Euro


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