Quelle: "Mehr Stolz, ihr Frauen!", Lebensgeschichten Plettenberger Frauen aus dem 20. Jahrhundert, Plettenberg 2012, S. 33-36, von Renate Martin-Schröder mit Ergänzungen von Christiane Wilk


Elise Lüsebrink
Hebamme und erste Plettenberger Ratsfrau (1865-1939)

Elise Lüsebrink geb. Höfer wurde am 18. März 1865 als Tochter des Landwirts Friedrich Höfer und seiner Frau Anna Höfer geb. Wiesermann in Plettenberg-Marl geboren und starb am 17. Januar 1939 ebenfalls in Plettenberg.
Am 15. Dezember 1882 hat Elise geheiratet. Sie hatte ein sehr schweres Leben, da ihr Ehemann August Lüsebrink, geb. 23. Februar 1860, ein gelernter Bäcker, der als Fabrikarbeiter arbeitete, am 2. Oktober 1901 im Alter von 41 Jahren an der "Zuckerkrankheit" (Diabetes) starb. In der Zeit gab es keine Behandlungsmöglichkeiten für diese Krankheit. Als junge Witwe hatte sie sechs Kinder zu versorgen, fünf Mädchen und einen Jungen. Die Kinder waren im Abstand von ca. zwei Jahren zur Welt gekommen.

Die Vornamen der Mädchen lauten: Minna, Adele, Amanda Luise, Clara (geb. 03.06.1887), Hedwig (geb. 11.10.1893). Der Junge, geb. 27.07.1899, bekam den Vornamen Willi. Er fiel im zweiten Weltkrieg. Außer den eigenen Kindern hat Elise Lüsebrink ein Waisenkind großgezogen, einen Jungen mit Namen Viktor Deville (geb. 03.10.1907).

In der Chronik des Jahres 1932 (Quelle: Süderländer Tageblatt vom 31.12.1932) ist am 11. Februar eingetragen: "Frau Elise Lüsebrink feiert heute ihr 40-jähriges Dienstjubiläum als Hebamme. 2500 Kinder haben während ihrer Dienstzeit das Licht der Welt erblickt. Der Jubilarin werden an diesem Tag viele Ehrungen zuteil."

Dieser Umstand, einen Beruf erlernt zu haben, - die Ausbildung war vor 1892 in Paderborn erfolgt - kam Elise Lüsebrink zugute, da sie als so junge Witwe eine so große Familie zu ernähren hatte. Trotz der großen Last der eigenen Sorgen verlor sie nie den Blick für die Nöte anderer. Mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln und Kräften versuchte sie Kindern zu helfen, die durch Tod der Mutter in Not geraten waren. Zum Teil versorgte sie diese vorübergehend in ihrem eigenen Haushalt, bis eine geeignete Bleibe gefunden war.

Ein Mädchen zum Beispiel, welches nach Werdohl zu einem Bauern vermittelt wurde, hatte jedoch dort so schwer arbeiten müssen und wurde zudem nicht gut behandelt, so dass es zu Fuß nach Plettenberg zu Elise Lüsebrink zurückgekehrt ist.
Der Beruf der Hebamme war in den früheren Jahren ein sehr beschwerlicher Beruf, da lange Wege bis zu weit vertreuten Bauernhöfen in Kauf genommen werden mussten, dazu die große schwere Hebammentasche. In dringenden Fällen wurde sie hin und wieder auch mit einem Fuhrwerk abgeholt. Gelegentlich durfte eine Enkeltochter ihre Oma auf den langen Wegen zu Fuß begleiten, zum Beispiel nach Landemert zu einer Tauffeier. Da Hebamme ein selbständiger Beruf ist, hat Elise Lüsebrink, so lange es ihre Kräfte zuließen, ihren Beruf ausgeübt.

Außer ihrem starken beruflichen Einsatz und vielleicht gerade wegen der dabei vielerorts erlebten sozialen Not betätigte sich Elise Lüsebrink auch politisch und war die erste Plettenberger Stadtverordnete, die für die SPD nach der Wahl am Sonntag, den 2. März 1919, in das Stadtparlament einzog.

Für uns heute völlig normal, für damalige Zeiten etwas ganz Neues! Politisch engagierte Frauen durften sich Anfang des 20sten Jahrhunderts nicht organisieren und betätigen. Folgendes Zitat aus der Chronik "100 Jahre SPD Ortsverein Plettenberg", erschienen in 2003, gibt einen Einblick in diese Zeit:

"Und im August 1905 sprach die aus Dresden kommende Referentin Kähler zum Thema 'Was ist die Bestimmung des weiblichen Geschlechts?'. Die Veranstaltungen stießen auf gute Resonanz. Hundert Zuhörer, meistens noch mehr, waren keine Seltenheit. Darunter auch immer wieder einige Frauen. Ein Beitritt zum sozialdemokratischen Volksverein blieb ihnen jedoch nach dem geltenden Preußischen Vereinsgesetz von 1850 verwehrt. Das Vereinsgesetz verbot Frauen generell die Mitgliedschaft in politischen Parteien, darüber hinaus die Teilnahme an politischen Versammlungen.

Das jedoch ließen sich zumindest einige Plettenberger Frauen nicht verbieten. Erst das Reichsvereinsgesetz von April 1908 ermöglichte es den Frauen, sich politisch zu betätigen und parteipolitisch zu organisieren. Somit näherte man sich langsam der Forderung, die die SPD schon in ihrem Erfurter Programm von 1891 formuliert hatte: die Forderung nach der rechtlichen Gleichstellung der Frau."

Das Frauenwahlrecht wurde in Deutschland ab 1918 eingeführt. Bei der Kommunalwahl im März 1919 zog mit Elise Lüsebrink erstmals eine Frau in das Plettenberger Stadtparlament ein. Die gelernte Hebamme und Sozialdemokratin blieb bis 1924 im Stadtrat. Nach Elise Lüsebrink dauerte es über 20 Jahre, bis 1946 wieder als einzige Frau die Sozialdemokratin Emilie Kurth für zwei Jahre bis 1948 im Stadtrat vertreten war. In den folgenden fünf Legislaturperioden saßen ausschließlich Männer im Stadtrat. Erst ab 1969 sind regelmäßig Frauen im Plettenberger Rat vertreten.

Bis zu ihrem Lebensende lebte Elise Lüsebrink in ihrem Haus Am Kirchplatz 7 in Plettenberg zusammen mit ihren unverheirateten Töchtern Hedwig und Klärchen, ihrem Sohn Willi und dem Pflegesohn Viktor Deville, von denen sie liebevoll umsorgt wurde. Außer von ihren Angehörigen wurde Elise Lüsebrink auf ihrem letzten Weg von Frau Dr. Anna Röll begleitet. Nach Aussage ihrer Enkeltochter sah sie gefasst dem "Sensenmann" entgegen und verstarb mit einem Lied auf den Lippen. Der Wahlspruch von Elise Lüsebrink, den sie ihren Kindern und Enkelkindern mit auf den Weg gab, war: "Zue recht und scheue niemand."

Im Zuge der Straßenneubenennungen für das Neubaugebiet "Eschen-Süd" wurde 1996 von der Plettenberger Stadtverwaltung vorgeschlagen, die Straßen nach Plettenberger Persönlichkeiten aus dem Bereich der Kommunalpolitik zu benennen. Neben Carl Schirmer (Pastor), Rudolph Köhler (langj. Bürgermeister), Heinrich Posthausen (langj. Bürgermeister), Carl Reinländer (Fabrikant), Albrecht von Banchet und Jakob Kurth war auch Elise Lüsebrink unter den vorgeschlagenen Personen. Zur Begründung wurde aufgeführt:

"Elise Lüsebrink war eine der wenigen Plettenberger Frauen, die 1919 erstmals für einen Sitz im Stadtparlament kandidierte und bei den ersten demokratischen Wahlen auch einen Sitz errang. Sie war somit die erste Frau im Plettenberger Stadtparlament. Lüsebrink war in Plettenberg Jahre als Hebamme tätig und engagierte sich vermutlich im Bereich der Sozialpolitik."
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Als Quelle dienten überwiegend Gespräche mit Ursula Ohrtmann aus Berlin, der Enkelin von Elise Lüsebrink.


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