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Erste Online-Zeitung für Plettenberg und den Märkischen Kreis 20.02.2013 |
Plettenberger Arzt Dr. Fernholz wird aktive
Von Horst Hassel
Plettenberg/Dresden. "Ein Schreibtischtäter im Dienste der Volksgesundheit" schreibt
Autor Boris Böhm über Dr. Alfred Fernholz, der sich nach dem II. Weltkrieg
in Plettenberg als praktischer Arzt niedergelassen hat, bis 1981 in Herscheid-Elsen wohnte. Danach soll Fernholz eine führende Rolle bei der Euthanasie von "lebensunwerten Leben" gehabt haben. "Braune Karrieren. Dresdner Täter und Akteure im Nationalsozialismus" heißt das kürzlich erschienene Buch, in dem der Böhm-Aufsatz enthalten ist.
Dass der 1951 auf dem Plettenberger Schützenthron fröhlich feiernde Dr. med. Alfred Fernholz zuvor eine steile
NS-Arzt-Karriere hinter sich hatte, war in Plettenberg wohl nicht bekannt. Seine Praxis und Wohnung hatte Dr. Fernholz einige Zeit am Maiplatz 2 über Zigarren Muth im Haus Berges. Ende der 1960er Jahre hatte
er seine Praxis ein paar Häuser weiter im Haus Kaiserstraße 2. In dem 2003 erschienenen Buch "Das Personen-Lexikon zum Dritten Reich, Wer war was vor und nach 1945?" von Ernst Klee heißt es zu
dem Arzt unmissverständlich:
Fernholz, Alfred, Psychiater und SS-Obersturmbannführer (1943)
Boris Böhm hat folgendes recherchiert: "Erhaltener Schriftverkehr dokumentiert die Einbindung von Fernholz in zentrale Entscheidungsprozesse der Kinder-„Euthanasie“ in Sachsen. So veranlasste Fernholz mehrfach die Verlegung von Kindern in die beiden sächsischen 'Kinderfachabteilungen' in Dösen und an der Leipziger Universitätskinderklinik unter Werner Catel, wo die Kinder in der Regel ermordet wurden."
An anderer Stelle heißt es: "In einer weiteren Phase der nationalsozialistischen Krankenmorde, häufig als Aktion Brandt bezeichnet, forderte Fernholz Ärzte in sächsischen Landesanstalten zur Tötung von Patienten mit Hilfe von Medikamenten auf. Nach Zeugenaussagen billigte Fernholz die Tötungen bereits vor einer entsprechenden Ermächtigung durch die Berliner Zentraldienststelle-T4 im August 1943."
In den Jahren 1942/43 wohnte Dr. Alfred Fernholz in Dresden. Was mit ihm nach Kriegsende geschah,
darüber schreibt Böhm: "Bei Kriegsende tauchte Fernholz in Leipzig unter. Im Juni 1945 soll er von einer amerikanischen Militärstreife festgenommen worden sein, ohne dass dabei seine Funktionen in der Zeit des NS-Regimes bekannt wurden. Im Vorfeld des Dresdner 'Euthanasie'-Prozesses, in dessen Verlauf Paul Nitsche zum Tode verurteilt wurde, wurde 1946 gegen Fernholz ein Haftbefehl erlassen. Der Haftbefehl konnte nicht vollstreckt werden, da Fernholz in die westlichen Besatzungszonen gewechselt war. Anfang der 1950er Jahre betrieb er eine allgemeinärztliche Praxis im westfälischen Plettenberg; zugleich engagierte er sich im örtlichen Schützenverein. Fernholz starb 1993, ohne strafrechtlich belangt worden zu sein."
Geboren wurde Alfred Fernholz in Herscheid-Grünenthal,
kam wegen Umzugs der Eltern im Alter von 3 Jahren nach Leipzig. Hier legte er 1924 sein Abitur
ab. Anschließend studierte er an der Universität Leipzig Medizin. 1929 beendete er sein Studium
mit der Staatsprüfung (Promotion über ein chirurgisches Thema).
Bei seiner Ankunft in Plettenberg, vermutlich nach 1946, hatte sich Dr. Fernholz zunächst ein Zimmer im Hotel-Restaurant
Cafe P. H. Schulte genommen, fand dann eine Wohnung im Haus Berges am Maiplatz. Mit einer NSU Quickly,
so Zeitzeugen, fuhr Fernholz anfangs zu den Patienten. Den Umzug nach Plettenberg hatte er damit
erklärt, dass er "in Dresden ausgebombt" worden sei. 1964 baute er sich
in Herscheid-Elsen ein Haus, verzog 1981 nach Süddeutschland, wo er 1993 starb. Beigesetzt wurde
er auf dem evangelischen Friedhof in Plettenberg am Hirtenböhl. Verwandte gibt es in Plettenberg nicht.
Literaturhinweis: Boris Böhm: Alfred Fernholz. Ein Schreibtischtäter im Dienste der »Volksgesundheit«. In: Christiane Pieper, Mike Schmeitzner, Gerhard Naser (Hrsg.): Braune Karrieren. Dresdner Täter und Akteure im Nationalsozialismus. Sandstein, Dresden 2012, ISBN 978-3-942422-85-7, S. 154–161.
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