Von Ralf Eibl
Plettenberg - Im Oktober 1981 steigt der Stadtarchivar Martin Zimmer
auf den Boden des Plettenberger Amtshauses, um "ein wenig aufzuräumen". Als
er wieder auftaucht, muss die Geschichte der 30 000 Einwohner zählenden
Gemeinde im Sauerland neu geschrieben werden. Zimmer hatte gefunden, woran
sich viele ältere Plettenberger nicht mehr erinnern wollten. Von 1941 bis
1945 mussten rund 1500 Zwangsarbeiter in den Betrieben der Stadt schuften.
Ihre Lagerbaracken wurden nach dem Krieg abgerissen. Damit verschwanden die
Zwangsarbeiter aus dem kollektiven Gedächtnis der Stadt. Zimmer fand die
vollständige Kartei der "Arbeitseinsatz-Behörde". Jede der 1500 Karten
dokumentiert ein menschliches Schicksal: woher ein Zwangsarbeiter kam, wie
lange er wo in Plettenberg arbeitete, wann er flüchtete, wann er wieder
gefangen wurde, wann er gehenkt, wann er entlassen wurde.
Mehr als 50 Plettenberger Firmen beschäftigten damals Zwangsarbeiter. In den
großen Betrieben, wie im Ohler-Eisenwerk, arbeiten bis zu 250 Menschen. Die
Zwangsarbeiter stellen beispielsweise Panzerketten her. Oder beheben
Hochwässerschäden. Am 4. Juli 1941 fordert der Beigeordnete der Stadt auf
einem Vordruck beim Arbeitsamt Lüdenscheid 120 russische Kriegsgefangene als
Bauarbeiter an. Sie sollen "Kiesmassen aus Wiesen beseitigen".
Die Zwangsarbeiter-Kartei: Für die einen Plettenberger ist sie ein lästiger
Fund, für andere, ist sie eine Chance, die Stadtgeschichte neu aufzuarbeiten.
Eckhardt Brockhaus gehört zur zweiten Kategorie. Der Psychologe ist auf
Spurensuche, seitdem sich 1995 Nikolai Brobow aus der Ukraine meldete. Der
ehemalige Zwangsarbeiter schrieb an die Firma Brockhaus Söhne Gmbh & Co. KG,
seinen Arbeitgeber von 1942 bis 1945, weil er eine Bescheinigung für die
ukrainische Rentenbehörde brauchte. Eckhardt Brockhaus, der vier Prozent der
Anteile an dem Schmiedeunternehmen in sechster Familiengeneration hält,
begann danach zu forschen, wovon ihm sein Vater nie erzählte. "Fast drei
Jahre lang profitierte die Firma meiner Familie massiv von rund
100 Zwangsarbeitern aus Russland und der Ukraine."
Brockhaus will die Zwangsarbeiter schnell und unbürokratisch entschädigen.
Doch die Gesellschafterversammlung des Unternehmens, das heute mit
1200 Mitarbeitern fast 330 Millionen Mark erwirtschaftet, weist jegliche
Forderungen entschieden zurück. Die leidige Sache mit der eigenen
Firmenvergangenheit wird an den Arbeitgeberverband Ruhr/Lenne übergeben. Er
soll die Interessen, der Firmen in der Region vertreten, die Zwangsarbeiter
beschäftigten. Man fürchtet in das Visier amerikanischer Anwälte zu geraten.
Mit vier seiner Geschwister hat Brockhaus wegen seiner Entschädigungsinitiative
seit Monaten kaum geredet.
Im August 1999 fährt Brockhaus in die Ukraine und erstellt mit der Hilfe der
Moskauer Hilfsorganisation "Memorial" eine Liste mit 315 Namen und Adressen
noch lebender Plettenberger Zwangsarbeiter. Brockhaus regt einen Hilfsfonds
an, in den alle Bürger und Betriebe der Stadt einzahlen könnten, um den noch
Lebenden einen sorgenfreien Lebensabend zu garantieren. Für fünf Familien
von Zwangsarbeiter, die bei Brockhaus Söhne arbeitete, sorgt er selber.
Bisher hat sich noch kein Plettenberger gemeldet, der in den Fond einzahlen
will.
Auf dem alten Ohler Friedhof, einem Stadteil Plettenbergs, erinnern zwanzig
Tafeln und ein Obelisk, der sogenannte "Russenstein", an die verstorbenen
Plettenberger Zwangsarbeiter. 20 sind hier begraben. Als Plettenberger
Grundschüler kürzlich eine der Grabplatten reinigten, kommentierte einer:
"Mit 18 stirbt man doch nicht"
Die Plettenberger Zwangsarbeiter:
http://www.plettenberg-lexikon.de/ostarbeiter
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