Artikel aus den Stuttgarter Nachrichten vom 24.07.2000
Städte gehen nun selbst auf Opfer zu

Stuttgart - Weil der Bund darauf verzichtet, die Länder am Zwangsarbeiterfonds zu beteiligen, sind nun auch die Gemeinden außen vor. Der Umgang mit der geschichtlichen Hypothek bleibt ihnen selbst überlassen.

VON ARNOLD RIEGER

Bis vor wenigen Tagen hatten die Kommunen noch damit gerechnet, zusammen mit den Ländern bis zu zwei Milliarden Mark in den großen Topf zu zahlen. Fast jede größere Stadt hatte während der NS-Zeit Zwangsarbeiter beschäftigt - und so wollten sich die Kommunen nicht entziehen. Um Wiedergutmachung zu leisten, suchten viele nicht nur den direkten Kontakt mit den ehemaligen Opfern, vielerorts erwog man auch sofortige Zahlungen.

Der Städtetag hat diesen Elan gebremst, weil er die offiziellen Bund-Länder-Verhandlungen abwarten wollte. Doch zu diesen kommt es jetzt gar nicht. Denn die Bundesregierung will überraschend für die fünf Milliarden Mark Fondsanteil der öffentlichen Hand allein aufkommen. Dies bestätigte eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums. Damit sind aber auch die Gemeinden außen vor.

Dieses Kapitel will man beim Deutschen Städtetag jedoch keineswegs beschließen: "Die Kommunen stellen sich weiter ihrer Verantwortung und arbeiten die Geschichte auf'', bekundet Hauptreferent Ursus Fuhrmann. Eine finanzielle Beteiligung liegt nun im Ermessen jeder Gemeinde. München etwa hat bereits einen eigenen Haushaltstitel eingerichtet. Auch Stuttgart wollte ursprünglich bis zu zehn Millionen Mark aufwenden. In Karlsruhe will man die Frage jetzt erneut diskutieren.

Dass viele Kommunen von sich aus in den Fonds einzahlen, erwartet man beim baden-württembergischen Städtetag allerdings nicht. "Wenn es Einzelfälle geben sollte'', so Verbandssprecher Manfred Stehle, "muss man den Betrag auf den Fondsanteil der öffentlichen Hand anrechnen, nicht auf den Anteil der Wirtschaft.'' Diese hat Probleme, ihren Fünf-Milliarden-Obolus zusammenzubringen. Die Kommunalaufsicht legt dem finanziellen Engagement jedenfalls keine Steine in den Weg. Das ist nicht selbstverständlich, denn eigentlich dürfen die Kommunen ihr Geld nur für Aufgaben ausgeben, für die sie auch zuständig sind. "Wenn sie trotzdem einen Beitrag leisten, sehen wir keinen Anlass, tätig zu werden'', so eine Sprecherin des Innenministeriums.

Über die Gründe für die generöse Geste des Bundes wird noch spekuliert - möglicherweise hat er damit den Boden für das Ja der Länder zur Steuerreform bereitet. Dennoch ist man beim Städtetag skeptisch: auf Grund der Erfahrung, dass sich der Bund letztlich an anderer Stelle schadlos hält.