Neue Westfälische Zeitung - Donnerstag, 2. März 2000 "Firmen mit Zwangsarbeitern konfrontieren" Mangelnde Beteiligung heimischer Unternehmen am Stiftungsfonds kritisiert VON ANDREAS SCHRADER
Paderborn. "Die Unternehmen müssen sich bei der Entschädigung der Zwangsarbeiter ihrer Verantwortung stellen" - diesen Appell nicht nur an die heimische Industrie richtete am Dienstagabend die vom Linken Forum Paderborn in Kooperation mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Kreisverband Paderborn-Lippe-Höxter, veranstaltete Podiumsdiskussion "Zwangsarbeiter - Die Arbeitssklaven Paderborns" in der Kulturwerkstatt.
"Doch dabei drängt die Zeit", erinnerte Rechtsanwalt Klaus Pahde aus Herford daran, dass erst rund zwei Milliarden Mark von den versprochenen fünf Milliarden Mark seitens der Wirtschaft in den Stiftungsfonds eingezahlt worden seien. Schließlich trete das geplante Gesetz erst bei der vollen Summe von zehn Milliarden Mark in Kraft. "Dann könnte es jedoch für viele ehemalige Zwangsarbeiter angesichts ihres hohen Alters zu spät sein", kritisierte Pahde, der in Ostwestfalen-Lippe rund 80 ehemalige Zwangsarbeiter juristisch vertritt. Seine weitere Kritik: Die Ausnahme von Kriegsgefangenen und von den in der Landwirtschaft eingesetzten Zwangsarbeitern von dem Gesetz sowie die nur achtmonatige Frist, in der Ansprüche geltend gemacht werden können.
IG-Metall-Gewerkschaftssekretär Lutz Schäffer, der den verhinderten DGB-Kreisvorsitzenden Manfred Kunkel vertrat, kritisierte bereits bei der Einleitung das Verhalten der Unternehmer als "beschämend". Viele Unternehmen reagierten erst dann, "wenn das Licht der Öffentlichkeit auf sie fällt". Schäffer und Pahde appellierten an die Industrie, sich an dem Entschädigungsfonds der Bundesregierung zu beteiligen. Egal, ob ein Unternehmen während der Nazi-Diktatur Zwangsarbeiter beschäftigt habe oder nicht, so der Rechtsanwalt Pahde, "profitiert hat die gesamte Wirtschaft davon".
Auch im Paderborner Raum, wie Sonja Lübbers bereits 1996 mit ihrer Examensarbeit nachwies. Für das Gebiet Amt Neuhaus hat die Paderborner Realschullehrerin das Thema "Zwangsarbeit" mit ihrer Arbeit speziell über "Fremdarbeit von Polen, Franzosen und Ostarbeitern" aufgegriffen. "Gegen Ende des Krieges waren allein aus diesem Bereich rund 850 Fremdarbeiter im Raum Paderborn/Neuhaus beschäftigt", berichtete Lübbers am Dienstag vor den rund 30 Besuchern. Sie wurden unter anderem in öffentliche Betriebe wie bei der Reichsbahn, in der Landwirtschaft, in Kleinbetrieben oder bei Unternehmen wie Benteler eingesetzt. Ihre Entlohnung war gering. Untergebracht waren sie unter anderem in Lagern wie auf dem Gelände des heutigen Hotels "Nachtigall".
"Ratsbeschluss muss mit Leben erfüllt werden"
Moderator Reinhard Borgmeier beklagte, dass angesichts dieser Sachlage "die vielen klein- und
mittelständischen Betriebe im Raum Paderborn sich noch nicht an dem Stiftungsfonds beteiligt"
hätten. Bisher haben aus dem hiesigen Raum nur Unternehmen wie Benteler und Welle finanzielle
Leistungen angekündigt. Borgmeier erinnerte an den kürzlich gefassten Ratsbeschluss, "heimische
Betriebe zu Entschädigungszahlungen" aufzufordern: "Dieser muss nun mit Leben erfüllt werden."
Es gelte, "politischen Druck auf die heimischen Unternehmen auszuüben". Ein Vorschlag: Die
Betriebe sollten mit ihren ehemaligen Zwangsarbeiterin direkt konfrontiert werden.
Dazu könne die Stadt Paderborn "ehemalige Zwangsarbeiter einladen", beschrieb Klaus Pahde eine
Möglichkeit. Die Namen der Betroffenen könne man trotz der fehlenden Archive in Paderborn
vielleicht "in den Akten der Krankenkassen erfahren, da Zwangsarbeiter in der Regel
krankenversichert waren".
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