Lauf: Im Jahr 1942 bauten acht Firmen das Ostarbeiter-Lager Waldlust
Verdrängte Vergangenheit VON GABI PFEIFFER UND WILFRIED CONRAD
Dabei stieß er auf brisante Informationen:
Acht Firmen hatten sich 1942
zur Interessengemeinschaft der Laufer
Industriebetriebe zusammengeschlossen,
um ein Barackenlager für
Ostarbeiter zu errichten. Dazu pachteten
sie einen Teil der Gemarkung
Waldlust von der Stadt. Das Gelände
an der heutigen Martin-Luther-Straße
wurde von der Bahnlinie Lauf links der
Pegnitz entlang der Bertleinstraße bis
zur Christian-Schwab-Straße mit Stacheldraht
eingezäunt.
Stadtbild nicht verunzieren
Nach Plänen des Kreisbaumeisters
entstanden rund um das Bertlein-Schulhaus,
das als Verwaltungsgebäude
diente, 18 Baracken. Die bauliche
Anlage soll so gestaltet werden, dass
sie das Städtebild nicht verunziert
verfügte Laufs Bürgermeister. Die einstöckigen
Holzbauten waren acht
Meter breit und 20 bis 40 Meter lang.
1400 Männer und Frauen überwiegend
aus Polen und der Ukraine
waren dort untergebracht. Jeden Morgen
mussten sie antreten, wurden,
geschlossen bewacht, vom Lager zu
den Fabriken geführt und abends
zurück. Aufsicht und Zuteilung unterlagen
dem Kriegsgefangenen -stammlager
(Stalag) in Hohenfels/Neumarkt.
Nach der Kapitulation im Mai 1945
funktionierten die Alliierten das
Ostarbeiter-Lager zum Durchgangslager
für die Ausgebeuteten um.
Vier Jahre später gaben sie das Gelände
an die Stadt zurück, die Interessengemeinschaft
musste die Baracken
entfernen und den ursprünglichen
Zustand wieder herstellen.
Gras drüber? Das Vergangene ist fast
vergessen. Die alten Laufer wüssten ,
sagt Hobby-Historiker Wilfried Conrad,
dass da mal ein Lager war. Sie
sprechen anscheinend selten darüber.
Wie anders ist zu erklären, dass Bürgermeister
Rüdiger Pompl Jahrgang
1944 und seit 20 Jahren im Amt über
die Größe des Lagers erschrickt: Ich
dachte, es waren vielleicht 200.
Vor einem Jahr hatte Städtetags-Präsident
Hajo Hofmann den Kommunen
empfohlen, das düstere Kapitel
aufzuarbeiten. Inzwischen wurden die
6000 Mitgliedsstädte aufgefordert, sich
am Entschädigungsfonds der deutschen
Wirtschaft zu beteiligen. München
und Nürnberg, das etwa 3000
Zwangsarbeiter beschäftigte, wollen
eigene Stiftungen einrichten.
Und Lauf? Heute will sich der Bürgermeister
im Verwaltungsausschuss
in öffentlicher Sitzung (Rathaus, 19.30
Uhr) besprechen, wie wir da weiter
verfahren. Erleichterung schwingt
mit, seit sich Pompl beim Stadtarchivar
erkundigt hat: Lauf habe nur das
Grundstück verpachtet. Zwei Kriegsgefangene
hätten für die Stadt gearbeitet,
jedoch keine Zwangsarbeiter.
Das können die Firmen sechs der
acht Betriebe der Interessengemeinschaft
bestehen zum Teil unter neuer
Leitung weiter nicht behaupten. Die
Baupläne im Stadtarchiv weisen
namentlich aus, welche Baracken den
Firmen zugeordnet sind. Auch Personallisten
existieren noch. Doch der
Umgang mit der Vergangenheit fällt
schwer in doppeltem Sinne. Da
gibt's bei uns keinen Menschen mehr,
der sich erinnert, sagt Wolfgang Lutz,
Geschäftsführer von Döbrich &
Heckel. Punktum. Thema erledigt. Aus
dieser Zeit seien nur noch einige
wenige Raritäten, meist Kassenbücher
erhalten, sagt Reinhold Hammerer
von Sembach und Co. Die 1904
gegründete Firma, die Isolierartikel
für Herde und Haushaltsgeräte sowie
Teile der Lambda-Sonde herstellt, will
die Entscheidung des Verbandes der
keramischen Industrie abwarten.
Moralische Frage
Auch Gerhard Knienieder vom
Emuge-Werk (vormals Moschkau und
Glimpel), das Präzisionswerkzeuge
wie Gewindebohrer und Spannzeuge
in die ganze Welt liefert, ist zögerlich.
Wenn sich alle Firmen beteiligen,
würden wir sicherlich beitreten.
Andernfalls, sagt der Mann aus der
Geschäftsleitung, müsse man recherchieren.
Der Beitritt sei eine moralische
Frage, meint Stefan Schlutius,
die man bei der ABL Sursum Bayerische
Elektrozubehör wohlwollend
prüfen werde. Der 37-jährige, dessen
Vater das Unternehmen 1948 übernahm,
hat im eigenen Betrieb schon
geforscht. Vergebens. Nun will er im
Stadtarchiv nachfragen.
Die 1922 gegründete Firma Stettner
& Co ist durch viele Hände gegangen.
1988 hat sie der französische Konzern
Saint-Gobain (weltweit 108
Eindeutig geklärt ist die Situation
nur für Ceram Tec, deren Vorgänger
Steatit Magnesia (Stemag) eine Vorreiterrolle
bei der Errichtung des Lagers
einnahm. Der Mutterkonzern Dynamit
Nobel AG hat den Beitritt zur Stiftungsinitiative
Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft erklärt.
Steingewordene Erinnerung findet
sich am Laufer Friedhof. Das Polengrab
liegt nur ein paar Schritte entfernt
von der Stehle zum Gedenken an
die im ruhmvollen Kriege 1870/71
gefallenen und verwundeten Söhne
der Stadt und dem Ehrenhain für die
Toten des zweiten Weltkrieges. Die
Inschrift der verwitterten Grabplatte
lautet: Hier ruhen vier russische
Kriegsgefangene und 37 polnische und
russische Ostarbeiter, gestorben 1942
bis 1946. Auf einer Totenliste hat Wilfried
Conrad 64 Tote gefunden. 33 Kinder
habe man wohl nicht mitgezählt.
Die meisten wurden nur wenige
Wochen alt.
(Nürnberger Nachrichten 09.03.2000) |