Lauf: Im Jahr 1942 bauten acht Firmen das „Ostarbeiter-Lager Waldlust“

Verdrängte Vergangenheit
Treten Betriebe dem Entschädigungsfonds bei? – Debatte zur Erblast heute im Rathaus

VON GABI PFEIFFER UND WILFRIED CONRAD

Angefeindet? Wilfried Conrad wüsste nicht warum: „Ja, wenn ich das erfunden hätte... Aber das ist Geschichte.“ Seit 20 Jahren gräbt der 63-jährige im Laufer Stadtarchiv, hat beispielsweise die Krankenhaus-Geschichte oder den Bau der Österreicher-Siedlung aufgearbeitet und für die Lokalzeitung beschrieben. Weil sich 1999 die Auflösung des Arbeiterlagers zum 50. Mal jährte, nahm sich Conrad des Themas an. Wochenlang blätterte der frühere städtische Angestellte in alten Polizeiberichten und zog gelbstichige Papiere aus dem kühlen Bauch des Archivs.

Dabei stieß er auf brisante Informationen: Acht Firmen hatten sich 1942 zur „Interessengemeinschaft der Laufer Industriebetriebe“ zusammengeschlossen, um ein Barackenlager für Ostarbeiter zu errichten. Dazu pachteten sie einen Teil der Gemarkung Waldlust von der Stadt. Das Gelände an der heutigen Martin-Luther-Straße wurde von der Bahnlinie Lauf links der Pegnitz entlang der Bertleinstraße bis zur Christian-Schwab-Straße mit Stacheldraht eingezäunt.

Stadtbild „nicht verunzieren“

Nach Plänen des Kreisbaumeisters entstanden rund um das Bertlein-Schulhaus, das als Verwaltungsgebäude diente, 18 Baracken. „Die bauliche Anlage soll so gestaltet werden, dass sie das Städtebild nicht verunziert“ verfügte Laufs Bürgermeister. Die einstöckigen Holzbauten waren acht Meter breit und 20 bis 40 Meter lang. 1400 Männer und Frauen – überwiegend aus Polen und der Ukraine – waren dort untergebracht. Jeden Morgen mussten sie antreten, wurden, geschlossen bewacht, vom Lager zu den Fabriken geführt und abends zurück. Aufsicht und Zuteilung unterlagen dem Kriegsgefangenen -stammlager (Stalag) in Hohenfels/Neumarkt.

Nach der Kapitulation im Mai 1945 funktionierten die Alliierten das „Ostarbeiter-Lager“ zum Durchgangslager für die Ausgebeuteten um. Vier Jahre später gaben sie das Gelände an die Stadt zurück, die „Interessengemeinschaft“ musste die Baracken entfernen und den ursprünglichen Zustand wieder herstellen.

Gras drüber? Das Vergangene ist fast vergessen. Die alten Laufer wüssten , sagt Hobby-Historiker Wilfried Conrad, „dass da mal ein Lager war“. Sie sprechen anscheinend selten darüber. Wie anders ist zu erklären, dass Bürgermeister Rüdiger Pompl – Jahrgang 1944 und seit 20 Jahren im Amt – über die Größe des Lagers erschrickt: „Ich dachte, es waren vielleicht 200.“

Vor einem Jahr hatte Städtetags-Präsident Hajo Hofmann den Kommunen empfohlen, das „düstere Kapitel“ aufzuarbeiten. Inzwischen wurden die 6000 Mitgliedsstädte aufgefordert, sich am Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft zu beteiligen. München und Nürnberg, das etwa 3000 Zwangsarbeiter beschäftigte, wollen eigene Stiftungen einrichten.

Und Lauf? Heute will sich der Bürgermeister im Verwaltungsausschuss in öffentlicher Sitzung (Rathaus, 19.30 Uhr) besprechen, „wie wir da weiter verfahren“. Erleichterung schwingt mit, seit sich Pompl beim Stadtarchivar erkundigt hat: Lauf habe nur das Grundstück verpachtet. Zwei Kriegsgefangene hätten für die Stadt gearbeitet, jedoch keine Zwangsarbeiter.

Das können die Firmen – sechs der acht Betriebe der Interessengemeinschaft bestehen zum Teil unter neuer Leitung weiter – nicht behaupten. Die Baupläne im Stadtarchiv weisen namentlich aus, welche Baracken den Firmen zugeordnet sind. Auch Personallisten existieren noch. Doch der Umgang mit der Vergangenheit fällt schwer – in doppeltem Sinne. „Da gibt's bei uns keinen Menschen mehr, der sich erinnert“, sagt Wolfgang Lutz, Geschäftsführer von Döbrich & Heckel. Punktum. Thema erledigt. Aus dieser Zeit seien nur noch „einige wenige Raritäten, meist Kassenbücher“ erhalten, sagt Reinhold Hammerer von Sembach und Co. Die 1904 gegründete Firma, die Isolierartikel für Herde und Haushaltsgeräte sowie Teile der Lambda-Sonde herstellt, will die Entscheidung des Verbandes der keramischen Industrie abwarten.

Moralische Frage

Auch Gerhard Knienieder vom Emuge-Werk (vormals Moschkau und Glimpel), das Präzisionswerkzeuge wie Gewindebohrer und Spannzeuge in die ganze Welt liefert, ist zögerlich. „Wenn sich alle Firmen beteiligen, würden wir sicherlich beitreten“. Andernfalls, sagt der Mann aus der Geschäftsleitung, müsse man recherchieren. „Der Beitritt sei eine moralische Frage“, meint Stefan Schlutius, die man bei der ABL Sursum Bayerische Elektrozubehör „wohlwollend“ prüfen werde. Der 37-jährige, dessen Vater das Unternehmen 1948 übernahm, hat im eigenen Betrieb schon geforscht. Vergebens. Nun will er im Stadtarchiv nachfragen.

Die 1922 gegründete Firma Stettner & Co ist durch viele Hände gegangen. 1988 hat sie der französische Konzern Saint-Gobain (weltweit 108 000 Beschäftigte in 580 Firmen) gekauft, seit 1995 firmiert die technische Keramik unter Norton Industriekeramik, einer Saint-Gobin-Tochter. Unterlagen über die Zeit des zweiten Weltkriegs sind nicht vorhanden, sagt Sprecherin Regina Decker. Aber vielleicht hätten die früheren Besitzer...? Mit Zwangsarbeitern habe Saint-Gobain „recht wenig zu tun“. Auch die Frage Entschädigungsfonds sei intern noch nicht gestellt worden – und schließlich habe Saint-Gobain selbst unter Zwangsverwaltung gestanden.

Eindeutig geklärt ist die Situation nur für Ceram Tec, deren Vorgänger Steatit Magnesia (Stemag) eine Vorreiterrolle bei der Errichtung des Lagers einnahm. Der Mutterkonzern Dynamit Nobel AG hat den Beitritt zur Stiftungsinitiative „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ erklärt.

Steingewordene Erinnerung findet sich am Laufer Friedhof. Das Polengrab liegt nur ein paar Schritte entfernt von der Stehle zum Gedenken an die „im ruhmvollen Kriege 1870/71 gefallenen und verwundeten Söhne“ der Stadt und dem Ehrenhain für die Toten des zweiten Weltkrieges. Die Inschrift der verwitterten Grabplatte lautet: „Hier ruhen vier russische Kriegsgefangene und 37 polnische und russische Ostarbeiter, gestorben 1942 bis 1946.“ Auf einer Totenliste hat Wilfried Conrad 64 Tote gefunden. 33 Kinder habe man wohl nicht mitgezählt. Die meisten wurden nur wenige Wochen alt.

(Nürnberger Nachrichten 09.03.2000)