Quelle: "Stadtgespräch" - Online-Zeitung für Plettenberg und den Märkischen Kreis vom 24.02.2002

Schicksal einer weißrussischen Zwangsarbeiter-Familie geklärt

Aufruf in Zeitung 'Svobodnie Novosti' löste großes Echo unter ehemaligen Zwangsarbeitern aus

Plettenberg/Minsk. (HH) Damit hatte der weißrussische Journalist Oleg Karpowitsch nicht gerechnet: Als er für einen deutschen Kollegen eine Suchmeldung nach ehemaligen weißrussischen Zwangsarbeitern in seiner Zeitung "Svobodnie Novosti" veröffentlichte, meldeten sich viele ehemalige Zwangsarbeiter, um ihr Schicksal zu erzählen. Das hatte Folgen: erst jetzt, 57 Jahre nach Kriegsende, hat in Minsk eine breite Diskussion über die Rolle der Zwangsarbeiter begonnen.

Fast täglich treffen bei "Svobodnie Novosti" an Oleg Karpowitsch adressierte Briefe ein, in denen ehemalige weißrussische Zwangsarbeiter über ihre Erlebnisse berichten. Es scheint so, als hätten die Menschen nur darauf gewartet, endlich einmal über ihr Schicksal reden zu können. Ausgelöst wurde dies durch die Veröffentlichung einer Namensliste: Gesucht wurde nach Lebenszeichen von 21 Frauen und 50 Männern aus Weißrussland , die zwischen 1942 und 1945 im sauerländischen Plettenberg als Zwangsarbeiter bschäftigt waren.

Eine offizielle Anfrage bei der "Stiftung Versöhnung und Verständigung" in Minsk war ohne Antwort geblieben, so dass der Weg über die weißrussische Zeitung gesucht wurde. Eine der ersten Reaktionen betraf das Schicksal von vier Mitgliedern der Familie Tokaltschik: Die Namen Anna, Maria, Leonid und Wassili Tokaltschik fanden sich in der Ostarbeiter-Kartei der Stadt Plettenberg. Von der Familie lebt heute niemand mehr, doch ein ehemaliger Nachbar erinnerte sich in folgendem Brief an die Tokaltschiks:

"Guten Tag Oleg! In der Zeitung Nummer 43 habe ich gelesen, dass man Ostarbeiter sucht. Ich habe Informationen über die Familie Tokaltschik, die bei euch in der Liste unter Nr. 19, 20 - Frauen und 47, 48 - Männer stehen. Ich bin geboren in Verhnedvinskij Raion. Im Dorf Dernowitschi lebt mein Vater Mjadel Pawel Petrowitsch, geboren 1930 im Dorf Bekatschi. Dort lebte auch die Familie Wassili und Anna Tokaltschik (geboren im Dorf Fisüki) mit den Kindern Claudie, Maria und Leonid.

Im Frühling 1942 fing die Partisanenbewegung an. Alle Männer gingen im Sommer zu den Partisanen - außer Wassili und sein Sohn. Im Juni 1942 verschwand Wassili aus dem Dorf. Eine Woche später kam er mit deutschen Soldaten wieder. Wassili befahl seinem Nachbar Alexander Sodloiz, das Pferd an den Wagen zu spannen. Er nahm seine Sachen, seine Frau Anna, seine Tochter Maria und seinen Sohn Leonid und ging mit den deutschen Soldaten wieder weg. Die ältere Tochter Claudia war geistig behindert und sie wurde von den Verwandten aufgenommen.

Ein bißchen später kam eine spezielle Einheit (Karateli). Die gingen sofort zum Haus von Irina Beljaewa und ihre kleine Tochter. Ihr Mann Nikolai war ein Kommunist und war in diesem Moment bei den Partisanen. Die kleine Tochter wurde von den Nachbarn versteckt und Irina Beljaewa wurde im Hof erschossen. Sonst wurde keiner verletzt. Die Leute dachten, dass Wassili Tokaltschik der Verräter sei, weil er bei den Deutschen in der Garnison Barawucha -1 war.

Wassili tauchte im Herbst 1944 im Holzfällerbereich neben dem Dorf Dernowitschi wieder auf. Er wurde verhaftet und kriegte 25 Jahre Zwangsarbeit im Lager. Nach dem Krieg lebte seine Frau Anna im Dorf Berkowitschi. Von seinen Kindern hat man nichts gehört. Es war schwer zu sagen, ob Wassili ein Verräter war oder ob er nur seine Familie retten wollte.

Wenn er wirklich verhaftet wurde und im Lager gesessen hat, dann müssten bestimmt Dokumente darüber existieren. Aber das ist eine andere Geschichte. Eines kann man aber sicher sagen, dass er Deutschland für seine Familie ausgesucht hat. Das ist alles, was ich sagen kann. Und lebende Zeuge gibt es nicht. A. Mjadel."