Berliner Zeitung vom 2. November 2000
Dieses Jahr werden keine Gelder
an NS-Opfer mehr fließen

Rechtssicherheit für Firmen erst 2001 / Kuratoriumsmitglied will Zwangsarbeiterentschädigung von Vermögensfragen trennen

Kerstin Krupp

BERLIN, 1. November. Die Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen vor Entschädigungsklagen ehemaliger NS-Opfer verzögert sich weiter - und damit auch jede Zahlung an frühere Zwangsarbeiter. Bevor die ersten Gelder fließen können, muss der Bundestag feststellen, ob deutsche Unternehmen ausreichend vor weiteren Entschädigungs-Klagen geschützt sind. Das Parlament kann aber erst aktiv werden, wenn US-Gerichte sämtliche in den USA anhängigen, zu Sammelklagen zusammengefassten Forderungen von NS-Opfern abgewiesen haben.

Alte, meist kranke Menschen
Die Klagen, bei denen es um Forderungen ehemaliger Zwangsarbeiter geht, sind bereits zurückgewiesen. Was allerdings die noch offenen Vermögensansprüche betrifft, hat die zuständige US-Richterin Shirley Kram Bedenken geäußert. Ein Gutachter soll nun im Auftrag von Kram bis Januar feststellen, ob die für Vermögensschäden vorgesehene Entschädigungssumme von einer Milliarde Mark genügt. Zum Vergleich: Die Schweizer Banken brachten 2,25 Milliarden Mark auf.

Damit doch noch dieses Jahr die ersten Zahlungen an die meist hoch betagten Frauen und Männer gehen können, fordert Lothar Evers, Mitglied des Kuratoriums der Bundesstiftung, die Rechtssicherheit zu splitten. "Der Bundestag könnte für alle Verfahren, in denen es um Zwangsarbeit geht, die Rechtssicherheit bereits im November für gegeben erklären", sagte Evers. Über den Bereich der Vermögensansprüche könnte dann entschieden werden, sobald US-Richterin Kram die letzten Klagen abgewiesen hat, voraussichtlich im März.

Es sei doch "Irrsinn", findet Evers, nur wegen der offenen Vermögensfragen die gesamte Entschädigung monatelang aufzuhalten. Die Ansprüche der Zwangsarbeiter "machen mit 8,3 Milliarden Mark sowieso den größten Teil der Entschädigung aus". Vermögensschäden sind mit einer Milliarde Mark eingeplant, der so genannte Zukunftsfonds mit 700 Millionen Mark. Insgesamt stehen zehn Milliarden Mark zur Verfügung. "Bei den Zwangsarbeitern handelt es sich um alte Menschen, während hinter den Vermögensforderungen meist die Erben stehen", sagte Evers. Da spiele die Zeit keine so große Rolle.

Der Münchner Opferanwalt Michael Witti ist skeptisch. "Das Trennen der Rechtssicherheit ist theoretisch eine gute Idee, eine solche Entscheidung werden die Banken und Versicherungen aber niemals zulassen", meint der Jurist.

Für die Bundestagsabgeordneten ist die Splitting-Idee völlig neu. "Das muss erst im Kuratorium der Bundesstiftung und mit der Stiftungsinitiative der Wirtschaft besprochen werden", sagte der rechtspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach. Er mahnte jedoch zur Vorsicht. "Wenn man hier Fehler macht, wird man enorme Schwierigkeiten haben, von der Wirtschaft noch das Geld zu bekommen", sagte der CDU-Politiker. Er persönlich halte das Prinzip "Auszahlung gegen Rechtssicherheit" für richtig.

"Gegen alle Verabredungen"
Auch Dieter Wiefelspütz, Rechtsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, kann sich nur schwer vorstellen, dass der Bundestag einem Splitting zustimmt. "Wir sind bemüht, den Zwangsarbeitern so rasch wie möglich ihr Geld zukommen zu lassen", sagte Wiefelspütz, "aber das ist abhängig von der Rechtssicherheit in bestimmten Bereichen." Dass die Expertise der US-Richterin Kram die Auszahlung um weitere Monate verzögert, erfüllt den SPD-Politiker allerdings "mit großer Sorge".

Die Stiftungsinitiative der Wirtschaft lehnt die Idee eines solchen Splittings klar ab. "Das wäre gegen den Geist aller Verabredungen", sagte Wolfgang Gibowski, "da werden wir nicht mitmachen."