DIE WELT Mittwoch, 05. Juli 2000 - Berlin, 12:24 Uhr
'Geplante Zwangsarbeiter-Entschädigung ist ungerecht'

Der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann über seine Gründe, morgen im Bundestag gegen das Stiftungsgesetz zu stimmen

Berlin - Der Bundestag wird am Donnerstag die Stiftungsinitiative zur Entschädigung von Zwangsarbeitern beschließen. Im Innenausschuss stimmte nur der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann gegen den Gesetzentwurf. Er erläutert im Gespräch mit Hans-Jürgen Leersch, warum er die Regelung als unausgegoren und ungerecht ansieht. DIE WELT: Sie sind gegen die Stiftungsinitiative. Gönnen Sie den Menschen die Entschädigung nicht?

Martin Hohmann: Jedem Menschen, der unter KZ- oder ähnlich schweren Bedingungen Zwangsarbeit leisten musste, dem sei eine Geste der Entschuldigung und des finanziellen Ausgleichs von Herzen gegönnt. Ich störe mich an Ungerechtigkeiten und Schieflagen im Gesetzentwurf.

DIE WELT: Wo sind die?

Hohmann: Der ehemalige Justizminister Vogel hat vor dem Innenausschuss gesagt, dass gleiches Leiden und gleiche Sachverhalte die gleiche Konsequenz haben müssen. Dem ist zuzustimmen. Nur muss man das auch umsetzen und die Opfergruppen gleich behandeln.

DIE WELT: Ist das nicht geschehen?

Hohmann: Wer mit am Tisch saß bei den Verteilungsverhandlungen über die zehn Milliarden, der konnte tatkräftig für seine Gruppe sorgen. Das waren die Jewish Claims Conference, Polen, Russland, Ukraine, Weißrussland und die Tschechische Republik. Es fehlte jedoch ein Vertreter für die Zwangsarbeiter aus den übrigen Ländern. Die Folge: Für diese Gruppe fehlt zirka eine halbe Milliarde Mark.

DIE WELT: Kann nicht im Rahmen der zehn Milliarden ausgeglichen werden?

Hohmann: Das wäre ein Verstoß gegen den die "Essentials" enthaltenden Annex A des geplanten deutsch-amerikanischen Regierungsabkommens, in dem die wesentlichen Inhalte des Stiftungsgesetzes vorab bereits festgelegt waren. Uns Abgeordneten wurde klar bedeutet: Hier ist eure Kompetenz zu Ende.

DIE WELT: Haben Sie weitere Kritikpunkte?

Hohmann: Jedes jüdische Opfer wird die höchstmögliche Summe von 15 000 Mark erhalten. Bei gleichem Leidensweg wird das für nichtjüdische Opfer nicht möglich sein. Zweifellos waren jüdische Opfer in einer besonderen Verfolgungslage, ihnen galt der ganze tödliche Hass der NS-Verfolger. Andererseits waren jüdische Opfer zum Teil seit Jahrzehnten Empfänger von Entschädigungsleistungen. Bei Rentenzahlungen sind im Einzelfall in der Addition sechsstellige DM-Beträge keine Ausnahme. Die Bundesregierung hat in solchen Fällen richtigerweise eine Anrechnung der Zwangsarbeiterentschädigung gewünscht. Das haben die entsprechenden Interessenvertreter erfolgreich wegverhandelt. Der sprichwörtliche arme Schlucker aus Osteuropa, der bisher nichts oder so gut wie nichts erhalten hat, wird sich vergleichsweise schlecht behandelt fühlen.

DIE WELT: Was ist mit den deutschen Zwangsarbeitern?

Hohmann: Eine fundamentale Schieflage besteht zwischen nichtdeutschen und deutschen nichtjüdischen Zwangsarbeitern. Aus eingegangenen Briefen und aus dem sehr beeindruckenden Buch von Freya Klier über verschleppte deutsche Frauen aus den ehemaligen Ostprovinzen und anderen von der Sowjetarmee eroberten Gebieten wird deren fürchterliches Schicksal klar. Für die wenigen überlebenden Frauen kommt ebenfalls jedes Wort der Entschuldigung und jede finanzielle Geste bald zu spät. Sie drohen der totalen Vergessenheit anheim zu fallen. Was soll ich den Überlebenden sagen? Dass es zweierlei Moral, zweierlei Gerechtigkeit und zweierlei Menschenrechte gibt?

DIE WELT: Aber ein Scheitern des Gesetzes wäre außenpolitisch ein großer Schaden.

Hohmann: Das Gesetz wird nicht scheitern. Dieser Augenblick ist jedoch die letzte Möglichkeit, die Regierungskoalition auf die Gerechtigkeitslücke zu Lasten der deutschen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hinzuweisen. Meine Neinstimme ist als Appell an die Bundesregierung zu verstehen, dass auch deutsche Zwangsarbeiter ihrer Fürsorge bedürftig und würdig sind.