Nur eine warme Mahlzeit und Brot mit Sägemehl Von Horst Hassel
Plettenberg. "Warmes Essen bekamen wir nur einmal am Tag, das Brot war mit
Sägemehl gestreckt. Um das Lager war ein Stacheldraht, der unter Strom stand."
An solche negativen, aber auch an viele positive Details erinnerte sich jetzt
ein Zwangsarbeiter, der von 1942 bis 1945 in einem Plettenberger Betrieb
arbeitete.
Vor wenigen Tagen hat das Fernsehbüro Berlin in Kiew/Ukraine ehemalige
Zwangsarbeiter aus Plettenberg vor laufender Kamera von ihren Erlebnissen
in den Jahren 1942-1945 erzählen lassen. Fernsehaufnahmen in Plettenberg
sind ebenfalls noch geplant. Deutlich wird dadurch das Interesse am
aktuellen Thema Zwangsarbeiter. Während Bürger in Städten wie Goslar sich
mit diesem Teil ihrer Geschichte längst auseinander gesetzt haben, tut man
sich in Plettenberg damit noch schwer.
Der WR liegen inzwischen Aufzeichnungen mehrerer Interviews mit ehemaligen
Zwangsarbeitern vor, die heute in Kiew oder Jenakievo, Bezirk Dnjepopetrowsk,
leben. Aus dem Raum Jenakievo kamen 1942 Hunderte von Ostarbeitern direkt
nach Plettenberg. Einer von ihnen, Pjotr (Peter) Altinow, schilderte sehr
ausführlich, was er hier erlebt hat:
Auf dem Heimweg von italienischen Soldaten verschleppt
"Ich war damals Lokführer und nach der Arbeit auf dem Heimweg, als ich
plötzlich von italienischen Soldaten umringt war. Sie nahmen mir meine
Papiere ab und übergaben mich wenig später deutschen Soldaten, die eine
Kolonne ukrainischer Männer, Frauen und Jugendliche zur Bahnstation
Uglegorsk führten. 80 bis 100 Leute kamen dort in jeden Güterwaggon.
Russische Hilfspolizisten im Dienste der Deutschen, Verräter, erklärten uns,
dass es nach Deutschland geht.
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Drei Tage dauerte die Fahrt. Zu Essen oder zu Trinken gab es nichts. Der
Zug hielt einige Male, dann wurden immer die Leichen rausgeworfen. Eine alte
Frau, ein Kind und einige ältere Männer starben. Wir hatten alle Angst,
erschossen zu werden. Der Zug war von vielen Soldaten mit Gewehren bewacht. |
Abends kamen die Fabrikanten, um kräftige, junge und gesunde Arbeiter
auszusuchen. Wir wurden zu mehreren Ukrainern mit einem Lkw zu Firmen in
Plettenberg gebracht. Dort kamen wir in ein Barackenlager mit dreistöckigen
Bettgestellen. Das Lager war mit Stacheldraht umgeben, der unter Strom stand.
Warmes Essen gab es dann einmal am Tag, abends nach der Arbeit: Gemüsesuppe
mit Steckrüben. Das Brot, das wir bekamen, war mit Sägemehl gestreckt.
Es wurden Listen angefertigt. Jeder Zwangsarbeiter bekam einen Schlafplatz
zugewiesen und eine Nummer. Es wurde nach der Qualifikation gefragt. Am
nächsten Tag wurden Fotos gemacht und Fingerabdrücke genommen (Anm. d. Red.:
für die Ostarbeiter-Kartei der Stadt Plettenberg). Im Lager bekamen wir
Kleidung und Holzschuhe. Sie waren sehr schwer und beim Laufen sehr laut -
man hörte schon von weitem, wenn die Kolonne marschierte.
Unser Tagesablauf sah so aus: Morgens nach dem Wecken haben wir uns
gewaschen, dann gab es Tee oder Kaffee und wir wurden vom Wachpersonal des
Lagers zur Fabrik geleitet. Die Arbeit fing um 7 Uhr an, um 12 Uhr gab es
eine Mittagspause. Dann aßen die Deutschen an ihrem Arbeitsplatz. Wir
hatten nichts zu Essen, wir bekamen ja erst abends etwas, und warteten, bis
es wieder losging. Ab und zu bekamen wir mittags vom Essen der Deutschen
etwas ab. Um 16 Uhr ging die Sirene.
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Die deutschen Arbeiter stempelten ihre Karte, wir Zwangsarbeiter sammelten
uns, mussten uns zur Kolonne aufstellen, dann ging es zurück ins Lager.
Im Lager gab es eine Dusche, aber da kam nur kaltes Wasser raus. Manchmal
wurde zur Bestrafung einer daruntergestellt." |
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Es gab das Gerücht, dass die Kranken verbrannt würden. Das erzählten die
Neuen, die ins Lager kamen. Deshalb hat man nichts gesagt, wenn man krank
war."
Manchmal durften wir das Frauenlager und das Dampfbad besuchen
"In Plettenberg gab es ein Frauenlager (Anm. d. Red.: bei der Firma Schade),
dass durften wir manchmal besuchen. Das Lager war nur durch ein Gitter vom
Franzosenlager getrennt. Ein Zwangsarbeiter aus Jenakievo, Victor Nikolajew,
hat sogar im Lager geheiratet - der Kommandant hat das erlaubt. Es gab auch
in der Stadt eine Art Dampfbad, das wir manchmal aufsuchen durften."
Zur Frage, ob die Zwangsarbeiter für ihre Arbeit entlohnt worden sind,
stellt Pjotr Altinow fest: "Die Deutschen haben Lohn bekommen. Uns ist
gesagt worden, das Geld werde später an uns ausgezahlt, was aber nicht
geschehen ist. Wir haben auch keine Wertmarken bekommen. Wenn wir etwas
brauchten, haben wir darum gebettelt. Die deutschen Arbeiter haben uns
Rasierklingen mitgebracht. Eine Krankenschwester hat Seife und Zahnpasta
ausgeteilt. Kleidung haben wir auch bekommen - gestreifte Arbeitskleidung
und Schuhe aus Holz, später auch Schuhe, bei denen nur die Sohle aus Holz
war. Unterwäsche gab es nicht.
Wenn die deutschen Arbeiter einen Hilfsarbeiter privat haben wollten, konnten
sie sich an den Lagerkommandanten wenden, der lieh ihnen Zwangsarbeiter aus.
Die haben am Wochenende für die Deutschen gearbeitet und bekamen etwas zu
Essen dafür."
Als die Amerikaner am 11. April 1945 in Windhausen standen, wurden alle
Zwangsarbeiter (Russen, Franzosen, Italiener, Polen und Rumänen) im
Stadtgebiet zusammengerufen und als Kolonne in Richtung Amerikaner geschickt.
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Altinow: "Die Deutschen, die sich hinter der Kolonne aufhielten, schossen
mit einer kleinen Kanone in Richtung Amerikaner. Sie rechneten wohl damit,
dass die Amerikaner zurückfeuern und dabei die Zwangsarbeiter umbringen
würden. Aber ganz vorne in der Kolonne hatten Franzosen ein weißes Bettlaken
dabei und schwenkten es. Die Amerikaner haben das gesehen und nicht
geschossen." |
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