Quelle: Süderländer Tageblatt vom 13. Januar 1934
Trauer über Plettenberg

Zu dem furchtbaren Explosionsunglück an der Königstraße
Vier Tote - Weitere Explosionen - Ein rauchender Trümmerhaufen

Plettenberg. 13. Januar. Gestern um die Mittagsstunde ist die bei dem Explosionsunglück an der Königstraße in schwerverletztem Zustand geborgene und in das ev. Krankenhaus eingelieferte Frau Hoyer gestorben. - Im Laufe des Nachmittags hat man auch die Leiche der Frl. Meta Selle unter den Trümmern gefunden. Sie war bis zur Unkenntlichkeit verkohlt und verstümmelt und nur an der Fußbekleidung konnte die Identität festgestellt werden.


Sofort nach Bekanntwerden des schweren Unglücks am gestrigen Vormittag war neben dem Bürgermeister der Stadt, Herrn Dr. Eckler, und verschiedenen anderen Herren des Magistrats und der Stadtverordneten-Versammlung auch der Kreisleiter der NSDAP, Herr Reichstagsabgeordneter F. Bracht, an der Unfallstelle. Wenig später traf auch der Leiter des Kreises Altena, Herr k. Landrat Dr. Bubner, Altena, ein. Herr Regierungspräsident Dr. von Stockhausen, Arnsberg, ließ sich fernmündlich über den Hergang der Katastrophe unterrichten.

Die Liste der Toten
Die bei dem grausigen Explosionsunglück ums Leben kamen, sind:
der 69 Jahre alte August Heese, dessen Tochter, die Ehefrau Alma Hoyer, 47 Jahre alt, die 55jährige Ehefrau Emma Selle und deren Tochter Meta Selle, 20 Jahre alt.

Die Leichen sind von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt und bisher noch nicht freigegeben worden. Die Beerdigung dürfte wahrscheinlich am Dienstag nächster Woche stattfinden.


Geistesgegenwart bewies der ebenfalls in dem Unglückshaus befindliche 14jährige Werner Selle, dem es gelang, sich aus dem brennenden Haus einen Weg ins Freie zu bahnen und so fast unverletzt dem Tode zu entrinnen. Er befand sich zur Zeit der Explosion im Bett, und nur dadurch, daß die Wand, an der sein Bett stand, nicht auf ihn fiel, blieb er unverletzt.

Weitere Explosionen
In den frühen Nachmittagsstunden hatten Bewohner der Nachbarhäuser ihre Wohnungen bereits wieder bezogen, als plötzlich gegen 3 Uhr unter den Trümmern des Unglückshauses eine weitere Explosion erfolgte, wodurch das Feuer von neuem aufloderte. Kurz darauf stürzte mit einer heftigen Detonation die steinerne Eingangstreppe des Ernst Kochschen Hauses Ecke König- und Kronprinzenstraße in sich zusammen. Herr Hildebrandt, der Schwiegersohn des Herrn E. Koch, der gerade auf der Treppe stand, kam dadurch zu Fall, wobei er sich einen doppelten Beinbruch zuzog. Er wurde mit dem Sanitätsauto dem Krankenhaus zugeführt.

Diese letzte Explosion war wohl darauf zurückzuführen, daß sich in der Nähe der Eingangstreppe die Zentralheizung befand, die noch gebrannt haben soll. Es muß sich dann in dem Keller Gas angesammelt haben, das sich vermutlich an der Heizung entzündet hat. Eine Flamme war bei dieser letzten Explosion nicht zu sehen.


Eine weitere Explosion ereignete sich an dem etwa 15 Meter von der Unglücksstelle entfernt liegenden Haus Lahme, wodurch zwei schwere Steintreppenstufen des Eingangs weggeschoben wurden. Die Ursache dieser Explosion ist noch nicht geklärt.

Die Polizei hatte inzwischen die Räumung sämtlicher gefährdeten Häuser der Umgebung in einem Umkreis von 150 Meter angeordnet. Auch während der Nacht durften die Wohnungen nicht wieder bezogen werden.

Hilfe aus Hagen brauchte nicht mehr einzugreifen
Gegen 1/2 2 Uhr traf gestern auf Ersuchen des Landratsamtes in Altena ein Löschzug der Hagener Berufsfeuerwehr ein, der jedoch nicht mehr einzugreifen brauchte. Nach einer halbe Stunde rückten die Hagener Feuerwehrleute wieder ab.

Auf Anordnung des Herrn Bürgermeisters Dr. Eckler haben sämtliche öffentlichen Gebäude der Stadt anläßlich der Explosionskatastrophe halbmast geflaggt. Die Untersuchung, die im Auftrag der Staatsanwaltschaft von dem Gewerberat geleitet wird, dauert noch an. Ein amtlicher Bericht über den Hergang der Katastrophe ist noch nicht herausgegeben worden.

Vergangene Nacht ist nach ununterbrochener Ausschachtungsarbeit die schadhafte Rohrstelle freigelegt worden. Sie befand sich ungefährt dort, wo am Unglücksmorgen die Feuergarben aus der Erde aufstiegen. Es handelt sich, wie wir weiter erfahren, um einen etwa 40 cm langen kreisförmigen Bruch am Ende eines Rohrstücks, in der sogenannten Sicke. Die Bruchstelle ist sofort mit einer Gummidichtung gut verschlossen worden. Das schadhafte Rohrstück ist von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden, während das Ersatzstück sofort in Bestellung gegeben wurde. Von 6 Uhr heute früh ab konnten die industriellen Werke bereits wieder mit Gas beliefert werden.

Allen Helfern, wie der Freiw. Feuerwehr, der Sanitätskolonne, der SA, SS, St usw. sei auch an dieser Stelle herzlichen Dank ausgesprochen.

Bemerkt sei noch, daß es sich bei dieser Rohrleitung um die Hauptleitung Plettenberg-Olpe-Siegen der Ruhrgas-Gesellschaft und nicht der Ferngas-Gesellschaft handelt.

Trauer über Plettenberg
Es ist eine tragische Ironie des Schicksals, daß in der Zeit, als die Stadt Plettenberg den Gasanschluß unter ihren Bürgern propagiert, um für viele Erwerbslose Arbeit und Brot zu schaffen, ein solch furchtbares Unglück alle diesbezüglichen Pläne zunichte macht. Wenn man auch feststellen muß, daß eine solche Gasexplosion glücklicherweise nicht zu den Alltäglichkeiten gehört, so ist doch aus psychologischen Gründen ein Pessimismus der Bürgerschaft gegenüber dem Gas vorerst verständlich. Jedenfalls wird man aus den Erfahrungen lernen und Maßnahmen treffen müssen, daß sich solch furchtbare Unglücksfälle nicht mehr ereignen können. Auch wird man zukünftig eine ortsanwesende Person beauftragen müssen, die im Falle von Gasgefahr den Absperrschieber bei der Firma Peter Kaiser sofort zu verschließen hat und im Besitze eines Absperrschlüssels sein muß. Wie uns mitgeteilt wird, hat sich auch die hiesige Stadtverwaltung entschlossen, unter diesen Umständen ihren Gas-Werbefeldzug abzubrechen. . .