Quelle: WR Lokalausgabe Plettenberg vom 27.09.2002
Lehrwerkstatt seit 25 Jahren in Böddinghausen
Plettenberg. Gleich zwei Jubiläen werden am kommenden Samstag in
Plettenberg gewürdigt: Seit 25 Jahren besteht die Lehrwerkstatt in
Böddinghausen, und seit 75 Jahren gibt es den Träger, die
Ausbildungsgesellschaft Mittel-Lenne, die die älteste überbetriebliche
Ausbildungsstätte Deutschlands in Altena betreibt.
Nicht umsonst findet die Feier in der Böddinghauser Dependence statt.
Die Lehrwerkstatt hat, aufgesetzt auf den Bürotrakt, in den vergangene
Monaten ein neues Stockwerk bekommen, auch die Schlosserei wurde um rund 100
Quadratmeter vergrößert. Die Investitionen waren laut Geschäftsführer
Horst Meier notwendig, um die traditionsreiche Einrichtung technisch auf
den letzten Stand zu bringen und damit fit für die Zukunft zu machen.
So hat die Schlosserei, die eine Kapazität von 156 Ausbildungsplätzen
hat, neue Schweißplätze und neue Geräte erhalten. Darunter zum Beispiel eine
CNC-Bearbeitungsmaschine, mit der computergesteuerte Fräsarbeiten
durchgeführt werden können. Auch gibt es eine neue Absauganlage, mit der
Schweißrauch aus der Luft gezogen wird.
Nach einer Feierstunde, zu der rund 130 geladene Gäste aus Politik und
Gesellschaft erwartet werden, können sich bei einem Tag der offenen Tür
interessierte Besucher selbst ein Bild von den Verbesserungen und der
Zukunft der Ausbildung auf dem Elektronik-Sektor machen (Samstag, 28.
September, 13 bis 18 Uhr und Sonntag, 29. November, 10 bis 16 Uhr).
Grundsätzlich unterstützt die Ausbildungsgesellschaft an ihren beiden
Standorten in Plettenberg und Altena die Ausbildung der Metall- und
Elektroindustrie auf der Lenneschiene.
Zum Leistungsangebot gehören: die Grundausbildung in Berufen wie
Werkzeugmechaniker, Industriemechaniker, Verfahrensmechaniker, Drahtzieher
und Mechatroniker. Ferner Umschulmaßnahmen und Kurse in CNC-gesteuertem
Drehen und Fräsen sowie Qualifizierungsmaßnahmen in neuen Technologien.
Schon bevor vor 25 Jahren die Ausbildungsstätte in Böddinghausen unter
den Fittichen der Ausbildungsgesellschaft Mittel-Lenne in Betrieb ging, gab
es an der Bahnhofstraße eine Lehrwerkstatt in Plettenberg. Diese wurde
am 1. November 1937 als GmbH in Betrieb genommen, 20 heimische Firmen waren
als Gesellschafter daran beteiligt. Geleitet wurde die Einrichtung lange
Jahre von Albrecht von Schwartzen, dem langjährigen Stadtarchivar.
Lehrwerkstatt Plettenberg
(Quelle: Plettenberg - Industriestadt im märkischen Sauerland, 1962, S. 169-171)
Bereits 1934, als die Arbeitslosigkeit der Vorjahre
in Plettenberg noch kaum merklich abgeklungen
war, war der Wunsch laut geworden, durch geeignete
Maßnahmen den beruflichen Nachwuchs zu
erfassen und zu fördern. Vorausschauende hatten
klar erkannt, daß in Zeiten besserer Beschäftigung,
auf die damals ja alle Kreise der Bevölkerung, der
Industrie, des Handels und Handwerks sehnsüchtig
hofften, der Nachwuchs an Fachleuten in allen Berufen
unbedingt vorhanden sein mußte. Die Moral,
die ohnehin in den Zeiten des fast absoluten
wirtschaftlichen Verfalls ebenfalls stark in Mitleidenschaft
gezogen war, mußte wieder gehoben werden.
Ordnung mußte sein, wenn eine Pflege und Förderung
des Nachwuchses überhaupt erfolgreich sein
sollte. Und dieses Vorhaben kostete viel Geld, ddS
kaum vorhanden war.
Angesprochen wurden zunächst alle Kreise der
Wirtschaft. Aber es stellte sich bald heraus, daß
beispielsweise das Handwerk zu solchen Ausgaben
nicht bereit, ja sogar nicht in der Lage war. Ebenso
konnte der Handel nur für einen verhältnismäßig
kleinen Teil der Jugendlichen offene Lehrplätze
bereitstellen. Mit der weitaus größeren Anzahl der
Jugendlichen mußte sich also die Industrie befassen,
die ja ohnehin in der hiesigen Gegend vorherrschend war.
Um die Jugend selbst zu größerer Ordnung und erhöhter
fachlicher Leistung anzuspornen, erließen
die Behörden entsprechende Bestimmungen und
Verordnungen. Die sogenannten "Reichsberufswettkämpfe"
wurden ein- und durchgeführt. Sie fanden
in regelmäßigen Zeitabständen in den Räumen der
jetzigen Lehrwerkstatt statt. Obwohl die Teilnahme
freiwillig war, erfreuten sich diese Wettkämpfe
eines großen und allgemeinen Interesses und wurden
gut besucht. Besondere Arbeits- und Bewertungsbestimmungen,
nach denen die Prüfstücke angefertigt, geprüft und
bewertet wurden, waren ausgearbeitet worden.
Inzwischen wurden die Besprechungen mit der Industrie
immer zahlreicher und auch intensiver. Die
Errichtung einer regelrechten Lehrwerkstatt wurde
zum Hauptberatungspunkt. Während ein Teil der
hiesigen Firmen zunächst verhalten zu diesem Anliegen
stand, wurden andere zu den besten Befürwortern.
Ausschlaggebend waren ja vor allem die
Kosten für die Räumlichkeiten und die Einrichtung.
Als dann aber von den Behörden ein Umschulungslager,
das bei der Firma Gebr. Eickhoff in Bochum
untergebracht war, aufgehoben und die gesamte
Einrichtung zum Zwecke der Einrichtung einer
Lehrwerkstatt in Plettenberg in Aussicht gestellt wurde,
kam es im Juli 1937 unter diesen Umständen zur
Gründung einer GmbH. mit dem Namen: Lehrwerkstatt
Plettenberg GmbH in Plettenberg. An dieser
Gesellschaft waren 20 Gesellschafterfirmen mehr
oder weniger beteiligt. Das Stammkapital betrug
30 000 RM. Auch war es gelungen, die Räume, in
denen vorher die Berufswettkämpfe stattgefunden
hatten, für die Einrichtung einer Lehrwerkstatt
langfristig zu mieten.
Die Inbetriebnahme erfolgte am l. November 1937
unter Leitung des Ing. Fritz Middelhauve und des
Lehrmeisters Friedrich Meyer. Beide kamen von
Bochum. Die Feilbänke mit Schraubstöcken stammten
zum Teil aus Stiftungen, die von der hiesigen
Industrie zwecks Durchführung der Berufswettkämpfe
gespendet worden waren. Die Maschinen
waren durchweg alt, meist aus der Zeit der
Jahrhundertwende stammend. Das an der Vollständigkeit
noch Fehlende wurde von den beteiligten Firmen
gestiftet oder als Leihgabe zur Verfügung
gestellt. Rund 40 Arbeitsplätze waren vorhanden, die
bald nach Inbetriebnahme alle besetzt waren.
Damit waren zwar die ersten Voraussetzungen geschaffen,
jedoch wären die Unkosten, die ein solcher
Betrieb verursacht, enorm hoch gewesen. Es
wurden daher von Anfang an gemäß vorhergehender
vertraglicher Vereinbarung Arbeiten im Auftrage
Dritter durchgeführt. Neben der programmmäßigen
systematischen Ausbildung der Lehrlinge
wurde also produziert. Aber nicht etwa Großserien
von Kleinteilen, sondern einzelne Vorrichtungen,
Lehren, Werkzeuge, Kleinmaschinen und Kleinserien
von Stücken, die z. B. bei größerer Stückzahl
normalerweise im Gesenk oder Schnittwerkzeug
gefertigt worden wären.
So kam es und blieb bis zum heutigen Tage, daß
die Lehrlinge von Anfang an nicht rein schulmäßig
nur Prüfstücke anfertigen mußten, sondern mit allen
in der hiesigen Industrie vorkommenden Arbeiten
sehr betriebsnah ausgebildet wurden und nach ein-
oder zweijähriger Tätigkeit in der Lehrwerkstatt
ohne Schwierigkeiten bei den eigentlichen Lehrfirmen
in den Arbeitsprozeß eingereiht werden
konnten.
Einige Gesellschafterfirmen gaben ihre
Lehrlinge im letzten Jahr der Lehrzeit in die
Lehrwerkstatt, um sie mit allen bei der anschließenden
Lehrabschluß-Prüfung vorkommenden Aufgaben
restlos vertraut zu machen. Wertvoll ist die oben
aufgezeigte betriebsnahe Ausbildung auch insofern,
als die Lehrlinge sich der Wichtigkeit ihrer Arbeit
bald bewußt werden, da ja ihr Stück irgendwie
nützliche Verwendung findet oder die Maschine
arbeitet, weil "ihr" Stück darin eingebaut wurde.
Um die so erworbenen praktischen Kenntnisse fest
zu untermauern, wurde bald nach Errichtung der
Lehrwerkstatt in eigenen Räumen Werksunterricht
erteilt, in dem einmal die in der Praxis autgetretenen
Fragen behandelt, und zum anderen die in der
Berufsschule durchgenommenen Themen und Aufgaben
wiederholt wurden.
So kann wohl gesagt werden, daß sich eine Ausbildung
in einer Lehrwerkstatt viel gediegener und
für den Lehrling wie auch für die Lehrfirma weit
erfolgreicher gestaltet. Allerdings sind auch die
Ausbildungskosten für die Lehrfirma wesentlich
höher, wenn eine Ausbildung in der Lehrwerkstatt
erfolgt.
Die Lehrwerkstatt ist ein Zuschußunternehmen und
trägt den Charakter der Gemeinnützigkeit, da nach
den vertraglichen Bestimmungen niemand am Vermögen
und an eventuellen Gewinnen beteiligt ist.
Sie wurde einzig und allein aus dem Grunde errichtet,
um die in der Ausbildung nachwachsende
Jugend fachlich besonders zu fördern.
Bereits nach den ersten Jahren wurden einige
Maschinen erneuert, die Einrichtung verbessert und
Werkzeug angeschafft. Bald wurden auch Schweißarbeiten
durchgeführt. Dann traten Schwierigkeiten
auf, die durch den inzwischen eingetretenen Krieg
bedingt waren. Bewirtschaftete Werkstoffe mußten
von den Auftraggebern mitgeliefert werden. Von
der Wehrmacht wurde in den oberen Räumen eine
Waffenmeisterei eingerichtet. Diese Tatsache brachte
nach Kriegsschluß der Lehrwerkstatt mehrere
erhebliche Schwierigkeiten mit der Besatzungsmacht.
Das Stammkapital, das bereits nach einjährigem
Bestehen der Lehrwerkstatt um 10.000 RM auf
40 000 RM bei Hinzunahme von zehn weiteren
Gesellschafterfirmen erhöht worden war, wurde 1951
gerichtlich auf 20 000 DM umgestellt.
1946 trat Ing. Middelhauve aus der Leitung der
Lehrwerkstatt aus, um im Betrieb seines Schwiegervaters
eine leitende Stelle zu bekleiden. Sein Nachfolger
war Ing. Franz Richard aus Attendorn bis zum
Jahre 1951. Er verließ Plettenberg, um in Attendorn
einen galvanischen Betrieb einzurichten bzw. zu
übernehmen. Seit diesem Zeitpunkt ist Ing. Albrecht
von Schwartzen Leiter und Geschäftsführer der
Lehrwerkstatt. Lehrmeister Friedrich Meyer, der
von Anbeginn seinen Dienst hier versah und als
ein väterlicher Freund der Jugend sehr geschätzt
war, verstarb leider im Januar dieses Jahres, ohne
sein und der Lehrwerkstatt 25jähriges Jubiläum
miterleben zu können.
Außer den vorgenannten Leitern und Geschäftsführern
der Lehrwerkstatt waren von seiten der
Gesellschafterfirmen gleichzeitig Geschäftsführer:
1937 bis 1939 der Hauptinitiator und Mitbegründer,
Fabrikant Friedrich Wilhelm Schade; 1939 bis 1962
Fabrikant Dipl. Ing. Egenolf Engelhard und seit 1962
Fabrikant Norbert Iber.
Vorsitzer des Beirates der Lehrwerkstatt waren:
1937 bis 1951 Fabrikant Friedrich Wilhelm Schade.
Aus Gesundheitsrücksichten mußte er seine Tätig-
keit aufgeben. Bis zu seinem Tode im Jahre 1954
war er Ehrenvorsitzer des Beirats. 1951 bis 1959
Dipl. Ing. Werner Goedecke von der Firma Graewe
& Kaiser und seit 1959 Dr. Dipl. Ing. Werner Heil
von der Firma Ohler Eisenwerk.
Die bereits vor Bestehen der Lehrwerkstatt hier
durchgeführten Berufswettkämpfe fanden auch weiterhin
statt. Daneben wurde die Lehrwerkstatt von
der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer
zu Hagen bei den halbjährlichen Facharbeiterprüfungen
für den Raum Plettenberg-Werdohl-Herscheid eingeschaltet.
Seit 1937 wurden rund 2400
Facharbeiter-Prüfungen in den Räumen der Lehrwerkstatt
durchgeführt. An der theoretischen Kenntnisprüfung
beteiligten sich auch regelmäßig Lehrwerkstattleiter
und -meister.
Ausgebildet wurden
in den verflossenen 25 Jahren rund l 100 Lehrlinge,
davon 40 Prozent Werkzeugmacher, 10 Prozent
Betriebsschlosser, 10 Prozent Maschinenschlosser, acht
Prozent Stahlformenbauer, 12 Prozent Dreher und
rund 20 Prozent sonstige Berufe. Da die Lehrwerkstatt
von den Technischen Hochschulen und den
staatl. Ingenieurschulen eine entsprechende
Ausbildungsgenehmigung hat, erhielten im Laufe der
Zeit hier viele Studenten ihre Grundausbildung.
Inzwischen wurde eine Reihe neuer Maschinen
angeschafft und alte verschrottet. Die Einrichtung
wurde wesentlich verbessert und die Werkzeugbestände
weitgehend erneuert. Alles in allem gesehen
ist die Vielseitigkeit in den Aufgaben sehr
groß. Durch gute Arbeit ist die Geschäftsverbindung
weit über den Rahmen des Gesellschafterkreises
hinaus eine sehr gute. Die Lehrwerkstatt ist heute
aus dem Wirtschaftsleben der Stadt nicht mehr
wegzudenken.
|