WR Plettenberg vom 11.07.2001 Abschied auf Raten: "Werde meine Kunden sehr vermissen"
Plettenberg. "Guten Morgen, du alte Hexe." - "Mach bloß, dass du raus kommst!" So das ganz normale Begrüßungsritual
zwischen Lebensmittelhändlerin Heidemarie Hardt und einem ihrer "vielen lieben Kunden". Har(d)t aber herzlich eben. Gerade
dieses Geflachse werde sie vermissen, sagt die stets gut gelaunte Plettenbergerin jetzt. Denn: Nach 38 Jahren hat sie ihr Geschäft
am 1. Juli abgegeben.
Vor mehr als 50 Jahren wurde der Lebensmittelladen an der Herscheider Straße 20 von Heidemarie Hardts Schwiegermutter
gegründet. "Die treuesten Kunden kaufen schon seit 45 Jahren bei uns ein", so die gelernte kaufmännische Angestellte, die
die Familientradition gemeinsam mit ihrem vor einiger Zeit verstorbenen Ehemann Max fortführte. "Es lag mir daher am Herzen,
dass auch nach meinem Abschied alles weiterläuft", so die 57-Jährige.
Suchen musste sie ihren Nachfolger Tarek Babuscu übrigens nicht, er kam von ganz alleine. "Vor zwei Jahren erkundigte er sich,
ob er meinen Laden nicht übernehmen könne", schildert Heidemarie Hardt. "Damals wollte ich aber noch nicht aufhören und bat
ihn, in zwei Jahren noch einmal wieder zu kommen. Das hat er dann tatsächlich getan." Sonst, verrät Heidemarie Hardt seufzend,
sonst hätte sie wohl noch nicht aufgehört. Es fällt ihr merklich schwer, Abschied vom Berufsleben zu nehmen. Wen wundert´s,
war Arbeit doch bislang ihr ganzer Lebensinhalt.
Urlaub? Gab´s nicht. Nachts um 2.15 Uhr klingelte der Wecker - es mussten schließlich Vorbereitungen getroffen werden: Wurst und
Käse schneiden, die frischen Brötchen in Empfang nehmen und belegen, die Zeitungen vom Vortag zurückschreiben und die aktuellen
Exemplare einsortieren, Regale nachfüllen und, und, und. Wenn dann die ersten Kunden eintrudelten, kam oft die Frage: Wie machen
Sie das nur, dass sie so früh morgens schon so gute Laune haben? Die Antwort: Heidemarie Hardt war bereits seit Stunden auf den
Beinen. Jeden Tag. Auch sonntags. Deshalb war das Geschäft auch für "Vergessliche" immer wieder eine beliebte Anlaufstelle.
Noch klingelt der Wecker weiterhin mitten in der Nacht. Auch sonntags. Denn noch steht sie ihrem Nachfolger mit Rat und Tat zur
Seite. Auch Sonntags. In Rente auf Raten, nennt man das wohl. "Ich werde die intensiven Kontakte zu den Kunden entsetzlich
vermissen. Viele habe ich schließlich aufwachsen sehen", so die Plettenbergerin, die über 30 Jahre lang auch mit einem Verkaufswagen
durch die Straßen der Vier-Täler-Stadt gezogen ist. In einer Zeit, als es die Menschen noch nicht so eilig hatten, als es noch an jeder
Ecke einen "Tante-Emma-Laden" gab, als noch ambulante Milchhändler wie Oppermann und Schulte herumfuhren und Plettenberg
über eine zentrale Molkereiverteilerstätte verfügte.
"Heute müssen wir lange suchen, um einen Lieferanten zu finden, der uns ,Kleine´
noch beliefert", weiß die Kauffrau. "Und dafür zahlen wir dann das Doppelte." Doch dem ständigen Preiskampf gegen die großen
Ketten bot Heidemarie Hardt mit einem konkurrenzlosen Service Paroli. Die Kunden dankten es ihr.
Zeit für Hobbies hatte die (Un-)Ruheständlerin bislang nicht. Doch Langeweile wird bestimmt nicht aufkommen. Dafür sorgen
schon die drei Enkel Alexander (5), Christine und Matthias (beide 9), die sich sehr darüber freuen, das Omi endlich mehr Zeit für
sie hat. Alexander hat auch schon eine gute Idee: "Oma, wenn du mal Tennis spielen willst: Ich hab´ jetzt einen Schläger." Und
den Dreh mit dem Aufschlag hat die 57-Jährige mit Sicherheit auch schnell raus: Har(d)t und platziert . . .
Von Sonja Biedebach
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