Gemäß einer Verfügung der Königl. Regierung vom 18. März 1822 war der
Plettenberger Bürgermeister verpflichtet, eine Chronik der Stadt Plettenberg
aufstellen zu lassen. Der Bürgermeister beauftragte den reformierten Prediger
Johann Carl Paffrath mit der Erstellung der Chronik. Der schrieb dann im
Juni 1823:
Plettenberg im Jahre 1823 Wenn der Chronik-Schreiber von Plettenberg seinen beinahe 20jährigen lieben
Aufenthaltsorte, das Merkwürdige in den gegenwärtigen Ereignissen, in dem
Thun und Treiben der Menschen und dem Erfolg des mancherlei Strebens, einfach
und treu nach seiner Kunde erzählen soll, so kann er gleich anfangs den
Schmerz nicht bergen, der ihn bei dem Gedanken befällt: Was könnte
Plettenberg sein, und was ist es durch Schuld äußerlicher Verhältnisse und
den Geist seiner Bewohner?
Gewiß liegt Plettenberg in einem herrlichen und gesegneten Erbe; gesegnet zu
jeder Art menschlicher Betriebsamkeit, zu Landbau und Viehzucht sowohl als
zu Fabriken, Künsten und Gewerben; mit fröhlicher Jagd von klein und grob
Wild, mit guten Fischereien, mit waldbekränzten Bergen ringsum (letztere
sind aber seit der Markentheilung gewaltig lichter geworden).
Woher mag der Geist einer erwerbsamen Thätigkeit im Allgemeinen immer mehr
verschwinden und der Wohlstand seiner Bürger mit jedem Tag mehr sinken?
Sind’s vielleicht die zu großen Begünstigungen der Natur und die leichte
Art, wie hier die Menschen ihre nothwendigsten Erhaltungsmittel aus ihrer
freigebigen Hand nehmen, was die Thätigkeit und den Speculations-Geist
erschlafft? Ist's die abgeschiedene Lage des Orts, und der durch den Mangel an Chausseen erschwerte Verkehr mit anderen Gegenden, was Auswärtige abhält, hier neue Fabrikanlagen zu gründen? Ist's die Überfüllung mit Fremdlingen, die weiter nichts mitbrachten, als die Lust, auf Kosten der weniger bemittelten Bürger zu zehren, was so verderblich auf das Fortkommen einwirkt?
Oder sind's bloß die allgemeinen Zeitverhältnisse, die so drückend auf's
Ganze sich zeigen? Plettenberg, eine schon alte, von frühher in dem fabrikreichen Bergischen nicht unbekannte Stadt auf der Grenze des Märkischen Süderlandes, hat sich aus dem Brande 1725 nicht ansehnlich wieder erhoben, zählt gegenwärtig mit den Außenbürgern zwar 237 Häuser-Nummern, wo es früher nur 92 Häuser gehabt haben soll; allein ein gutes Drittheil könnte man eben so gut Hütten nennen, weil sie alle in verfallenem Zustande sind, ihren Bewohnern keinen Schutz vor Kälte und Witterung darbieten, und sowohl ihrer Einrichtung als ihrem äußerlichen Ansehen nach füglich eine Stelle in Polnischen Dörfern verdienten. Die Einwohner ernähren sich nach theils von der Stahl-, Osemund-, Sensen-, Nadel-, Papierfabrikation; theils von Verfertigung grober Tücher und des Stamets, Lohgerbereien, Töpferfabriken, bürgerlichen Gewerben und Landwirtschaft, aber mit gelähmter Kraft und also nur dürftig. Die Stadt liegt in einer angenehmen und reizenden Gegend am Zusammenfluß dreyer Bergwässer, der Grüne, Oester und Else, welche, nachdem sie mehrere Mühlen, Lohgerbereien und Hammerwerke getrieben, vereinigt eine 1/4 Stunde von da in die Lenne fallen; zwischen 2 Bergreichen, die sich in mancherlei Vorsprüngen bis zum Lennetal hinziehen; und bietet in ihrer Umgebung die beste Oertlichkeit zu Fabrikanlagen dar.
Die gegenwärtigen Besitzer einzelner Fabrikanlagen sind
An Altertümern ist Plettenberg gegenwärtig arm. Die Zeit mag
mehrere zerstört haben und ihre Geschichte ist verschollen. Selbst
die Überreste aus vergangener Zeit, das Haus Schwarzenberg, Kobbenrodt,
die protestantische Simultan-Kirche, die Böhler Kirche, die mehrere
Jahrhunderte zählen, schweben im Dunkeln und dürften sich selbst bei
mühsamen Durchstöbern mangelhafter kirchlichen und Familien-Papiere
schwerlich zu einem größeren Grade von Helligkeit erheben lassen,
als schon durch die Notizen-Sammlung geschehen ist, welche J. D.
von Steinen in seiner Historie der Stadt und des Amtes Plettenberg
- Lemgo 1755 - aufgestellt hat.
Das Haus Schwarzenberg, welches gegenwärtig den Freiherrn von
Plettenberg-Bodelschwingh zum Besitzer hat, gleicht einer Ruine. Die
ansehnlichen Besitzungen der von Plettenbergschen Familie, welche
noch dieses Haus bewohnet, sind vor und nach an einzelne Eigentümer
übergegangen. Die Gerechtsame dieses Hauses sind teils durch die
Landesherrliche Aufhebung des Mühlenzwanges und durch andere, neuere
Staatsverordnungen, teils durch mehrere Rechtsstreite in der jüngeren
Zeit geschmälert worden. Die Töne der gesellschaftlichen Freude verstummen
auf dem früheren Sitze des Ansehens, des Wohlstandes und der
Heiterkeit immer mehr. Nur die ewig junge, kraftvolle, durch ihre
seltsame Bildungen wild romantische Natur ladet daselbst den Verehrer
ihrer Reize zu genussreichen Spaziergängen ein.
Das Haus Kobbenrodt, welches in der Stadt liegt, ist durch die
Erben des früheren Besitzers Diedr. Esselen, Richter hierselbst, an
die Familie des verstorbenen Predigers Volkmann und von diesem an die
Familie des ehemaligen hiesigen Polizei- und Justiz-Bürgermeisters
Dulheuer, der als Ober-Bürgermeister in Iserlohn starb, und dessen
ältester Sohn jetziger Land- und Stadt-Richter hierselbst ist,
übergegangen, wird nicht bewohnt, sondern dient wegen seiner
unzweckmäßigen Einrichtung bloß als Nebengebäude.
Bei der von Engelbert, Grafen von der Mark, der 1345 Bischof zu
Luick (Lüttich) geworden, erbaut sein sollenden Plettenbergischen
Simultan-Pfarrkirche verdient folgendes bemerkt zu werden, dass,
da sie sowohl im Äußerlichen als Innerlichen vor und nach zerfallen
und zum Gottesdienst fast unbrauchbar geworden, im vergangenen Jahr
1822 von dem Kirchen-Consistorio, von den Consistorien beider
protestantischen Gemeinden, dem Bürgermeister und Gemeinderat
der Beschluss einer völligen Reparatur gefasst und ausgeführt
wurde. Nachdem durch die Prediger beider evangel. Konfessionen
mit einigen Deputierten in der Stadt und Amt Plettenberg eine
Kollekte von dem Ertrag über 700 Rtlr. gehalten, schritt man
zu den notwendigen Reparaturen des Innern.
Unter Leitung der von beiden Konsistorien ernannten Deputierten,
Herrn Obervorsteher Dulheuer, Peter Geck, Diedr. Gregory, W.
Homberg und W. Stahlschmidt von Himmelmert, wurden nach gemachtem
Plane alle Stände (Stände sind Bänke) in der unteren Kirche
herausgenommen, der eingesunkene Boden 2 Fuß mit Erde und Steinen
erhöht, so dass man vom Kirchhofe, von welchem sonst einige Stufen
in die tiefer liegende Kirche führten, jetzt geraden Weges in
die Kirche gehen kann. Es wurden nicht allein neue, bequemere
und besser gelichtete Stände wieder an die Stelle der alten
gesetzt, sondern auch die Hauptgänge, die nach dem Chor führen,
so gut wie dieses letztere selbst mit viereckig gehauenen Steinen
aus Herdicke würfelartig besetzt und dem letzten eine bessere
Einrichtung gegeben; alle Fenster repariert, selbst da, wo das
Licht mangelte, neue gebrochen; die Galerie erhöht und
zweckmäßger eingerichtet, die Kirche aufs Neue geweißt und
allen Ständen sowie der Orgel ein neuer passender Anstrich gegeben,
so dass sie gegenwärtig, so wie es ihre erste Konstruktion
zuließ, eine zur Gottesverehrung einladende Gestalt gewonnen
hat, nur bleibt noch ein geschmackvoller Altar und Kanzel zu
wünschen.
Ein paar Jahre vorher war durch die Freigebigkeit einzelner
Gemeindeglieder eine neue Glocke, für die dritte zersprungene,
angeschafft und in Asseln durch den Glockengießer Rinke gegossen
worden, welches 160 Rtlr. und die alte Glocke kostete.
Es wird jetzt darauf gedacht, auch dem Äußeren der Pfarrkirche
ein anständigeres Ansehen zu geben, sowie der neben der Kirche
liegenden neuen Kapelle eine passende Einrichtung, um sie ihrer
früheren kirchlichen Bestimmung wieder zuzuführen, und eine
gehörige Sakristey statt der alten, gefängnisartigen und
gesundheitsvergiftenden, einzurichten. An die Stelle des um
die Kirche liegenden alten, überfüllten und unbrauchbar gewordenen
Kirchhofes, dessen Abschaffung schon lange beschlossen war, ist
jetzt ein neuer, auf dem dem luth. Pastorat gehörigen Lande,
dem Böhle, neben dem reformierten Schulgarten, angekauft, und wird
bald zum Gebrauch eröffnet werden. Hierdurch hilft die Stadt nicht
allein einem alten Uebelstande ab, der jeden gefühlvollen Einheimischen
und Fremden beleidigte, sondern hebt auch zugleich manchen Keim
des Bösen aus dem Boden, der Nichtachtung der Würde selbst gestorbener
Menschen erzeugt hat und erzeugen konnte. Möge es ein einfacher,
würdiger, dem Namen entsprechender Friedhof für unsere Toten werden.
Seine Lage ist gut auf einem hoch liegenden Plane, so recht der
Morgensonne gegenüber, die ihn aus den Gefilden der Unsterblichkeit
mit ihren ersten Strahlen begrüßt und Hoffnung des ewigen Lebens weckt.
Die Aussicht ist heiter, wie des Christen übers Grab.
In der Nähe befindet sich die Böhler Kapelle mit ihrem der
lutherischen Gemeinde ausschließend angehörigen kleineren Kirchhofe.
Diese Kapelle wird noch wie sonst gebraucht, und hat im vergangenen
Jahre eine notwendige Verbesserung an der Westseite erhalten. Mögen
die Töne des höheren Friedens, die das Wort des Evangeliums und das
Lied der versammelten Gemeinde verkünden, lieblich verhallen über den
Grabhügeln unserer geliebten Vorangegangenen, die uns einst am Orte,
auch unserer eigenen Ruhe bewillkommnend, uns führen werden in die
Wohnungen des Vaters.
Die noch in jüngerer Zeit so zahlreich um Plettenberg gelegenen Capellen
(an der Zahl, außer der Böhler, noch 9, nämlich zu Böddinghausen,
Eyringhausen, Himmelmert, Holzhausen, Köbbinghausen, Pasel, auf dem
Schwarzenberg, zu Sonneborn und Landemert) sind alle jetzt, außer der
in der Capelle gewesenen Glocke, durch die Hand der Zeit zerstört. Sie
hat so wenig des Heiligen als des Weltlichen geschont. Die Glocke dient
noch zum Morgen- und Abendläuten und beim Sterben und Begräbniß der
Menschen.
So hat die Zeit auch die Örter profanirt, die früher durch Erinnerungen
an die Vorzeit das Gemüth des Gläubigen in frommer Schauer versetzten.
Keine Spuren von einer heiligen Linde und Heiligenhause mehr unter Bremke;
kein Heiligenhaus, keine Klause mehr an der Bracht, kein geweihter
Siepen mehr auf dem Broke. Frischer lebendiger Rasen und Waldgrün und
die Pflugschar und das Grabscheidt und munterer Hirtengesang und der
wolligen Heerde Blöcken, wo sonst Bußpsalme tönten oder Geißelhiebe den
alten Adam tödten sollten. So wechselt Weltliches mit sogenanntem
Geistlichen - aber Gottlob! Wenn veraltete Formen (das unbrauchbare
Gerüste) fallen, so erwachet neuer, besserer Geist, wie die Frühlingsblume
auf Ruinen, und wir haben der Vorsehung zu danken, daß sie es heller,
doch nicht kälter werden läßt.
Wo sonst Kapellen standen, werden jetzt Schulen erbaut. Wo sonst der Hirte,
der Leinweber, der invalide Soldat für Kost und Lohn das junge Menschengeschlecht
leitete, sollen jetzt geprüfte und sittliche Lehrer angestellt und anständig
unterhalten werden, um statt der sonst von Geschlecht zu Geschlecht
fortgepflanzten Vorurtheile und Unwissenheit, frühzeitig bei dem jungen
Völkchen das Bewußtsein seiner Menschenwürde zu wecken und es zu
brauchbaren Staatsbürgern bilden zu helfen. Das Nützliche und das Gute
sollen sich geschwisterlich die Hand reichen. Möge der edle Zweck erreicht
werden! Es liegt im Plane, in Himmelmert, zu Bremke, zu Leinscheidt und
zu Landemert neue Schulen zu erbauen. Schon sind intremistische Lehrer
angestellt. Das städtische Schulwesen wird auch wol bald organisirt werden.
Gegenwärtiges Beamten-Personal
Gegenwärtiger Gemeinderath:
Ärztliches Personal
Kirchliche Beamten
Neue städtische Gebäude
Neuere Tagesvorfälle
Bis zum 1sten Junius 1823 Paffrath |