Der Stadtbrand von 1725
wie er in dem um 1876 erstmals veröffentlichten Roman "Saat und Ernte" (Untertitel "Eigene Wege") von "W.B." (vermutlich "Wilhelm Brockhaus") beschrieben wird:
S. 202: . . . In demselben Augenblick ertönt ein zweiter Schrei. Der Schreckensruf
"Feuer! Feuer!" braust durch die Straßen. Eine Minute später schlägt die Flamme
aus den Kellerfenstern der Sonnenwirtschaft.
S. 209: . . . Es hatte bereits zehn geschlagen. Da - mit einem Male - veränderte
sich die Szene. Von der Straße her ließ sich ein schauerliches Geheul, kurz darauf
der dumpfe Ton der Brandglocke vernehmen. Das Trauerspiel einer furchtbaren
Feuersbrunst hatte mit allen seinen Schrecken begonnen. Es war der 12. April 1725.
Die beiden Männer stürzten heraus. Eine vom Mond beleuchtete Rauchwolke bezeichnete
ihnen die Stätte des Unglücks. Eine unabsehbare Menschenmenge wogte durch die
Straßen. "Wo? Welches Haus brennt?" schrie man wirr durcheinander. "In der
Sonnenwirtschaft"," tönte es von verschiedenen Seiten; und dorthin wälzten sich nun
die Massen. Es folgten nur wenige Minuten, und schon schaute man in die dunkle Glut
einer ungeheuren Feuersäule, die ihren Qualm den Wolken zusandte. Lauter und
dringender mahnte die Brandglocke, ängstlicher und wilder ertönte der Hilferuf.
"Der Sonnenwirt ist noch in seinem Hause," schrie eine Stimme, deren schriller Klang
das Geknister des Feuers übertönte. Und wirklich erschien in einem der Fenster die
weiße Zipfelmütze und darunter das von Angst verzerrte Gesicht des unglücklichen
Hausbesitzers.
"Flugs, die Leiter her!" rief Werner entschlossen einigen Männern zu, die soeben
eine solche an ein anstoßendes Gebäude gelehnt hatten, um hier dem Eindringen des
Feuers vorzubeugen. Die Leute gehorchten; und im nächsten Augenblick stand die
Leiter an einer noch verschont gebliebenen Stelle des brennenden Hauses. Werner
machte Miene, nach oben zu steigen.
"Es wird nicht gehen; die Gefahr ist groß," schrien mehrere Stimmen. "Ein
Menschenleben ist in Gefahr," rief Werner zurück und kletterte die Leiter hinan.
In demselben Augenblicke erschien in der von Flammen umzüngelten Tür ein junges
Mädchen, eine schwere Bürde auf ihrem Rücken tragend.
"Kätchen! Kätchen! O, das Kind ist verloren!" schrie es von allen Seiten. Wirklich,
es war unsere kleine Freundin. Auf ihren Schultern ruhte der Kopf des bewußtlosen
Konrads. Eine Zeit lang stand sie ratlos da und blickte ängstlich in die wütend
emporlodernden Flammen. Niemand wagte es, dem armen Kinde Hilfe zu bringen, denn
die Hitze war entsetzlich groß. Es war ein verhängnisvoller Moment. Da plötzlich
bahnte sich eine in Lumpen gehüllte weibliche Gestalt einen Weg durch die Haufen,
stürzte sich wie wahnsinnig in die Flammen, erfaßte die beiden Kinder mit einer
Kraft, die ihr die Verzweiflung eingab, und bringt sie wie im Fluge aus dem Bereiche
der Gefahr an einen sicheren Platz, wo unter brausenden Hurra-Rufen hunderte ihre
Hände ausstreckten, um die Geretteten zu empfangen.
Unterdes hatte Werner das Fenster erreicht, wo noch immer die totenbleiche Gestalt
des Sonnenwirts, einen markerschütternden Schrei ausstoßend und mit Gebärden der
Verzweiflung die Hände ringend, zu sehen war. Der Unglückliche schien seinen
Retter nicht zu gewahren, der mit Auferbietung seiner ganzen Kraft und mit
Hintansetzung des eigenen Lebens durch kräftige Axthiebe die Fensteröffnung
erweiterte und mit lauter Stimme den Zagenden ermunterte, seinen Fuß auf die
Leiter zu setzen. Dieser stutzt, als er die Stimme des Verwalters hört; aber es
ist keine Zeit zu verlieren. An allen Gliedern zitternd, betritt er endlich die
Leiter, klammert sich an den starken Mann, der jetzt sicheren Schrittes, dicht
in der Nähe der gierig um sich leckenden Flammen, den nicht minder gefährlichen
Rückweg antritt.
Fast gelähmt vor Schreck und Entsetzen starrten die Untenstehenden das Schauspiel
an. Einer solchen Gefahr die Stirn zu bieten, erschien allen mehr als kühn zu
sein. Werner aber, sobald er mit seiner Bürde den Boden erreicht hatte, übersprang
mit der Gewandtheit eines Jünglings mehrere brennende Gegenstände und näherte
sich dann einem Wasserbehälter, um den von den Flammen ergriffenen Überrock des
Wirtes zu benetzen, während dieser selbst wie leblos zu den Füßen seines Retters
zu Boden sank.
Schon beim Beginn des Brandes hatte sich an der entgegengesetzten Seite des Hauses
eine Szene ähnlicher Art abgespielt. Ein furchtbares Jammergeschrei hatte die
zuerst zur Löschung herbeigeeilte Mannschaft nach dieser Gegend gelockt; und hier
gewahrte man in dem uns bekannten Kellerfenster die Oberteile zweier menschlicher
Körper, die, durch den Qualm fast erstickt, mit verzweifelter Anstrengung rangen,
zu gleicher Zeit (S. 213:) dem Orte des Schreckens zu entrinnen, aber gerade
dadurch ihr Entrinnen unmöglich machten.
Noch bevor aber die Herbeigeeilten Hilfe bringen konnten, war es dem einen endlich
gelungen, den anderen in den Feuerpfuhl des Kellers zurückzustoßen und sich
selbst durch das enge Fenster zu zwängen. Mit der Behendheit eines Rehes rannte
dann der Befreite durch die immer mehr anschwellenden Menschenhaufen und war im
Nu verschwunden.
Ohne Zweifel war das Feuer im Keller zuerst ausgebrochen und hatte bald an den
gefüllten Spiritus- und Branntweinfässern hinreichende Nahrung gefunden und sich
schnell nach allen Seiten ausgebreitet.
Und wieder hörte man in der Tiefe ein Jammergeschrei; und noch einmal erschien
in der engen Öffnung der Oberkörper einer männlichen Gestalt, deren Kleider bereits
von den Flammen ergriffen waren. Ein beherzter Mann sprang schnell hinzu, zog den
Unglücklichen aus seinem Versteck hervor, schleppte ihn nach dem Marktplatze, wo
er, von einem Wasserstrahl übergossen, erschöpft zu Boden sank und, da es noch
viel zu thun gab, vor der Hand seinem Schicksal überlassen wurde. Die hochlodernde
Flamme beleuchtete mit zitterndem Lichte die Jammergestalt des Unglücklichen.
Seine Kleider waren ganz verschrumpft und zum Teil verkohlt und hatten bereits
begonnen sich hie und da vom Körper abzulösen und große Brandwunden an Hals und
Rücken bloßzustellen. Regungslos lag er am Boden. Ein jeder, der ihn sah, wich
scheu zurück.
Etwa zehn Minuten später brachte das in Lumpen gehüllte, uns bekannte Weib, die
beiden Kinder hierher, die sie, wie wir wissen, mit wahrem Heldenmute aus den
Flammen gerissen hatte. Das dadurch entstehende Geräusch schien den Unglücklichen
aus seiner Betäubung wachgerufen zu haben. Er stöhnte laut; aber kaum war das arme
Weib seiner ansichtig geworden, so stürzte es mit lautem Geschrei über ihn her. -
In diesem Augenblicke brach mit weitschallendem Gekrache ein Teil des brennenden
Hauses zusammen. Eine unbeschreibliche Verwirrung entstand unter der Menge; aber
durch all' das Getöse hindurch erhoben hunderte von Stimmen den Ruf:
Wirklich stand das der Sonnenwirtschaft so nahe gelegene alte Gebäude in lichtloher
Flamme. Die Menge stob auseinander und räumte zum Teil den ganzen Marktplatz.
S. 217: . . . Die dumpfen Töne der Turmglocke waren längst verstummt. Mit einer fast
unbegreiflichen Schnelligkeit griffen die gierigen Flammen immer mehr um sich und
fanden überall hinreichenden Zündstoff. Angefacht durch den sich verstärkenden
Nachtwind setzte das gewaltige Feuermeer sein Toben in immer größeren Umkreisen
fort. Auch die Kirche blieb nicht verschont. Noch war seit Beginn der Feuersbrunst
keine halbe Stunde verflossen, so züngelten die Flammen an mehreren Stellen des
Hauptturmes und beleuchteten das stolze, in Kreuzform gebaute und mit neun Türmen
versehene Gebäude. Bald bekundete der noch lange nachsummende Ton einer zu Boden
stürzenden Glocke, daß das obere Gebälk bereits durchgebrannt war. Es klang wie
ein Grabgeläute.
An ferneres Löschen dachte kaum noch jemand. Die Verwirrung war zu groß. Das Rufen
der Männer, das Jammern der Weiber, das Heulen der Kinder, das Brüllen der Flammen,
das Krachen der zusammenstürzenden Häuser - dies alles schnurrte mißtönend und
ohrenbetäubend durcheinander. Ein jeder war nur auf seine eigene Sicherheit bedacht.
In der Nähe der Böler Kirche, auf demselben Platze, wo jene uns bekannten Spießgesellen
ihre Vorkehrungen zu dem beabsichtigten Diebstahle trafen, beleuchteten die (S. 218:)
Streiflichter der Flammen ein seltsames Schauspiel. Bis hierher hatte Franz, jener
Unglückliche, den man aus dem brennenden Keller hervorgezogen, - gestützt auf sein
armes Weib - seine Schritte gelenkt und war hier unter den entsetzlichen Qualen, die
ihm seine Brandwunden verursachten, zu Boden gesunken. Wie ein treuer Wächter stand
hier der Esel und schien, phlegmatisch den Kopf erhebend, die Störung durchaus nicht
begreifen zu können. . .
. . . Sie hatte auf dem Wege hierher aus den abgebrochenen Worten schließen können,
daß Mäckes Joseph in den Besitz einer großen Summe Goldes gekommen sei und dann, als
der Brand ausgebrochen war, das Weite gesucht habe. Jedenfalls hatte Franz, der
völlig berauscht auf einem Haufen Lumpen und anderen leicht entzündenden Stoffen
gelegen, unvorsichtigerweise mit dem Feuer seiner Pfeife den Brand verursacht und,
wie wir wissen, kaum das nackte und erlöschende Leben gerettet. . .
S. 220: . . . Krampfhaft biß er seine Zähne zusammen. Ein namenloser Schmerz,
hervorgerufen durch die Brandwunden, die seinen Körper überdeckten, sowie durch
seine inneren Verletzungen - eine Folge der übermäßigen Anstrengungen, um sich
durch das enge Kellerfenster zu zwängen - beraubte ihn mehr und mehr seiner Sinne.
Es folgte ein Blutsturz, und der Unglückliche war an seinen Ort gegangen.
Das unglückliche Weib war wie zur Bildsäule geworden. Starr hingen ihre Blicke an
der regungslosen Gestalt ihres Mannes, beleuchtet von den immer noch hochlodernden,
gierig um sich fressenden Flammen. Aber ihr Auge fand keine Träne; kein Seufzer
erleichterte ihre Brust.
In der Stadt wütete das Feuer in seiner ganzen Gräßlichkeit fort. Noch vor Mitternacht
war der größte Teil der Häuser eingeäschert und zu einem Schutthaufen gworden. Der
12. April 1725 hatte sich den Ruhm eines schauerlichen Gedenktages errungen.
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