Quelle: Festschrift zum 75-jährigen Bestehen der Fa. Brockhaus Söhne


Inhaltsverzeichnis
Lageplan der 5 Werke
Einleitung

Erster Teil
Geschichte der Werke Wiesenthal, Oesterau und Lettmecke 1864 bis 1924
1. Wiesenthal seit 1864
2. Oesterau seit 1874
3. Lettmecke seit 1897
4. Brockhaus Söhne 1919 bis 1924

Zweiter Teil
Geschichte der vereinigten Werke Brockhaus Söhne 1924 bis 1939
1. Wiesenthal und Oesterau
2. Plettenberg-Bahnhof
3. Soziale Einrichtungen
4. Langjährige Mitarbeiter
   a) in den Betrieben
   b) in den Außenorganisationen
5. Bestand der Werke Anfang 1939
6. Fabrikationsprogramm
Schlusswort





Jahre 1939 sind 75 Jahre verflossen seit den Anfängen der Firma Friedrich Brockhaus in Wiesenthal; 1872 ging aus ihr die Firma F. & E. Brockhaus und 1880 die Firma Ernst Brockhaus & Co hervor. Diese wurde im Jahre 1900 in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt. Die Firma Paul Brockhaus in Oesterau ist die Nachfolgerin der 1874 gegründeten Firma Julius Brockhaus & Co, Kom.-Ges.,

Oesterau und Milspe; sie blickt also heute auf eine 65-jährige Vergangenheit zurück. Im Jahre 1922 wurde die Firma ebenfalls in einer G.m.b.H. umgeändert. Seit 1919 sind beide Firmen mit den 5 Werken Wiesenthal, Lettmecke und Plettenberg-Bahnhof sowie Oesterau Abt. I und Abt. II unter eine einheitliche Leitung gestellt. Für diesen Zweck wurde die offene Handelsgesellschaft Brockhaus Söhne mit dem Sitz in Oesterau gegründet, die im Jahre 1930 auch die Maschinen und Einrichtungen übernahm.

Ein kurzer Auszug aus der 1928 im Verlag F. A. Brockhaus in Leipzig erschienenen "Geschichte der Familie Brockhaus aus Unna in Westfalen" mag einiges über die Vorfahren der in dieser Werkschronik behandelten Personen berichten.

Die Wiege des Geschlechts stand auf dem ursprünglich zum Stift Essen gehörigen freien Reichshof Brockhausen bei Unna. Um die Mitte des 16. Jahrhdt. verließen die Brockhaus den Hof und widmeten sich mehr städtischen Berufen; es finden sich Kaufleute, Ratsherren und Rechtsgelehrte, insbesondere aber auch Pastöre und Lehrer darunter.

Als Stammvater der Plettenberger Linie ist der Pastorensohn Hermann Eberhard Brockhaus zu bezeichnen, der von 1691 bis 1707 Pastor in Plettenberg war. Sein Bruder Heinrich, 1699 bis 1724 Pastor in Soest, ist Stammvater der Leipziger Linie. In Plettenberg waren die weiteren Vorfahren Meister, Vorsteher und Rechnungsführer der Tuchmacherzunft. Johann Hermann Jonathan Brockhaus, der Sohn des vorerwähnten Plettenberger Pastors, war Teilhaber einer "Strumpf-Fabrique" in Plettenberg, die unter dem Namen "Adell, Brockhaus und Konsorten" betrieben wurde. Die Fabrik war 1729 gegründet und beschäftigte 1788 an 9 Stühlen 27 Arbeiter. Sein Sohn Johann Adolf Leopold übernahm die Geschäfte, und sein Enkel Christoffel Friedrich ist nach allen Nachrichten ein erfolgreicher Unternehmer gewesen.
Friedrich Wilhelm Brockhaus, der Sohn des letztgenannten, erlangte 1814 ebenso wie seine Vorfahren das Meisterrecht in der Tuchmacherzunft, widmete sich dann aber dem Lehrerberuf. 1819 kam er an die öffentliche Schule nach Himmelmert bei Plettenberg, die 1829 nach Kückelheim in ein neues Gebäude verlegt wurde. Mit ihm wurde die Familie im Ebbecke- und Oestertal ansässig und hat seit nunmehr 120 Jahren an der Entwicklung des Tales maßgebend mitgewirkt.


Friedrich Wilhelm Brockhaus, *22.03.1793 †10.08.1878
Schullehrer in Kückelheim

Zwei Söhne von Friedrich Wilhelm Brockhaus wurden die Begründer der Fabriken in Wiesenthal, Milspe (jetzt Ernst Löwen) und Oesterau; seine Enkel und Urenkel führten die Werke weiter, während heute teilweise schon die vierte Generation in der Firma Brockhaus führend tätig ist.


Erster Teil
Geschichte der Werke Wiesenthal,
Oesterau und Lettmecke
1864 - 1924

Werk Wiesenthal 1864 - 1919

Friedrich (Fritz) Brockhaus war als dritter Sohn des Lehrers Friedrich Wilhelm Brockhaus in Himmelmert bei Plettenberg am 15. September 1828 geboren. Nachdem er seinen bisherigen Lehrerberuf 1863 aufgegeben hatte, gründete er im Jahre 1864 ein "Fabrikgeschäft" mit einigen Webstühlen zur Anfertigung von Eisen- und Messingdrahtgeweben und daraus hergestellten Drahtwaren.


Die Fabrikationseinrichtungen wie Weberei, Klempnerei und Schreinerei waren zunächst in seinem Wohnhaus und Garten in Kückelheim untergebracht, jedoch schon 1865 baute er eine kleine Wasserkraft an der Ebbecke aus und legte dort eine Drahtrolle mit Drahtzug und Glüherei an. Den bisher aus Altena bezogenen Draht konnte er jetzt selbst ziehen; es wurden daraus Siebe, Geldkassetten und Fliegenschränke, später auch Kinderwiegen hergestellt. - Infolge Kapitalmangels und des äußerst ungünstigen Standortes hatte Friedrich mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, so dass er nur mit der finanziellen Unterstützung von Verwandten, Freunden und Nachbarn den Betrieb aufrecht erhalten konnte. Am 1. 7. 1869 wurde eine Kommanditgesellschaft gegründet, in die Friedrich als persönlich haftender Gesellschafter und 4 Geldgeber als Kommanditisten eintraten. Die Gebäude und Einrichtungen konnten jetzt vermehrt werden, das Geschäft wuchs, so dass der Abschluss des Jahres 1870 erstmalig einen bescheidenen Gewinn aufwies. Da die Wasserkraft im Sommer zumeist versagte, wurde 1871 die erste 20-PS-Dampfmaschine angelegt. Die Arbeit gestaltete sich jetzt lohnender und die gute Konjunktur der ersten Jahre nach dem Krieg 1870/71 trug dazu bei, dass die Bilanzen ein besseres Bild zeigten.
Auf Drängen der Gläubiger war Friedrichs Neffe Ernst Brockhaus bereits 1867 im jugendlichen Alter von 18 Jahren nach Wiesenthal gekommen, um seinen Onkel zu unterstützen. Am 1. Juli 1872 wurde Ernst als Teilhaber und persönlich haftender Gesellschafter aufgenommen und das Geschäft fortan unter dem Namen F. & E. Brockhaus weitergeführt.

Ernst Brockhaus war geboren am 27. Dezember 1848 als ältester Sohn des Hauptlehrers Karl Brockhaus in Elberfeld und hatte nach dem Besuch des dortigen Gymnasiums eine gute kaufmännische Ausbildung genossen.

Durch den allgemeinen Niedergang des Jahres 1873 in der ganzen Geschäftswelt Deutschlands wurde natürlich auch die neue Firma in Mitleidenschaft gezogen, und es traten in den folgenden Jahren schwere Verluste ein. Die Drahtgewebeherstellung ging infolge der standortlich viel günstiger gelegenen Konkurrenz so stark zurück, dass man sich nach neuen Artikeln umsehen musste. Weder die Aufnahme von Splinten noch ein Kommissionsgeschäft brachten jedoch den gewünschten Erfolg, so dass man schließlich 1876, wie bereits 2 Jahre vorher in Oesterau, ein paar Fallhämmer anschaffte, unter denen zunächst kleine Ofenbeschlagteile angefertigt wurden. Da die Bilanz jedoch immer noch keinen Gewinn aufwies, trat Fritz Brockhaus nach Verhandlungen mit den Kommanditisten am 1. Juli 1877 von der Geschäftsführung zurück, und Ernst Brockhaus (*27.12.1848 †04.06.1915) übernahm die Leitung allein. Er baute die Gesenkschmiede weiter aus und stellte zu deren Betreuung 1879 einen Techniker Wilhelm Damm ein, der den Betrieb bis zum Jahre 1905 geführt hat. Als langjähriger treuer Mitarbeiter ist auch Fritz Wiegand zu erwähnen, der von 1883 bis 1930 als Meister, später Obermeister, tätig war.


Am 1. März 1880 schied Friedrich Brockhaus endgültig aus dem Geschäft aus; Ernst Brockhaus übernahm es und führte die Firma unter dem Namen Ernst Brockhaus & Co allein weiter.
Die Gesenkschmiede hatte inzwischen gute Fortschritte gemacht und auch der Absatz war durchaus befriedigend, so dass die Zahl der beschäftigten Arbeiter auf 22 Personen angewachsen war.


Wohnhaus Ernst Brockhaus (erbaut 1872/73)

In der Folge wurden weitere Artikel aufgenommen wie Schienenlaschen und Feldbahn-Klemmplatten, die bislang aus Temperguss hergestellt worden waren. Zu guten Preisen wurden bald bedeutende Umsätze erzielt, und die Klemmplatten haben nicht wenig zur weiteren Entwickelung des Unternehmens beigetragen, bis der Artikel in späteren Jahren unlohnend wurde. - Im Jahre 1882 kamen Nähmaschinenteile hinzu, die Ernst Brockhaus 1884 mit großem Erfolg auf der Nähmaschinen-Ausstellung in Hannover zeigte. - Sehr bald schlossen sich auch Fahrradteile an, welche die damals aufstrebende Fahrradindustrie, besonders seit der 1886 stattgefundenen Fahrrad-Ausstellung in Leipzig, in steigendem Maße bezog. Die Belieferung dieses Industriezweiges machte um die Jahrhundertwende etwa 80 Prozent des gesamten Umsatzes aus.

Ernst Brockhaus hat durch die Herstellung der genannten Artikel als Gesenkschmiedestücke in Deutschland bahnbrechend gewirkt und insbesondere zur Verdrängung der bislang führenden englischen Konkurrenz wesentlich beigetragen. Sogar das Ausland wurde Abnehmer der deutschen Ware, und besonders zu Fahrradteilen war bald ein nicht unbedeutender Export zu verzeichnen.

Infolge dieser Entwicklung wurde der ganze Betrieb auf die Herstellung von Schmiedestücken eingestellt, nachdem die Drahtwaren 1885 aufgegeben waren. Bereits 1872/73 hatte Ernst mit Hilfe seines Schwiegervaters aus Rotterdam ein für die damaligen Verhältnisse übergroßes Wohnhaus gebaut, doch fehlte ihm jetzt das Kapital, um den Betrieb gemäß den gestiegenen Anforderungen zu vergrößern. Abermals kamen ihm seine holländischen Verwandten zu Hilfe, und so entstand 1888 an Stelle der Drahtrolle der erste größere Schmiedeneubau, in dem sogar von 1888 bis 1895 in Doppelschicht gearbeitet werden musste. Steigende Umsätze und Gewinne gestatteten bald weitere Vergrößerungen: 1892 folgte ein Anbau, 1894 eine neue Schmiede von 40 Meter Länge und 1895 ein Bau für die Gesenkschlosserei. 1896 musste die neue Schmiede weiter vergrößert werden. - Trotz dieser starken Bautätigkeit konnte Ernst bis 1898 alle Schulden mit Zinsen zurückzahlen.

Im Jahre 1900 zog sich Ernst Brockhaus von den Geschäften zurück, siedelte nach Elberfeld über und übergab seinen beiden ältesten Söhnen Walther und Julius Brockhaus die Führung. Zugleich wandelte er die Firma in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung um, mit einem Stammkapital von M. 400.000, wovon Ernst Brockhaus M. 350.000 und seine Söhne je M. 25.000 übernahmen.

Walther Brockhaus war am 1.8.1874 als ältester Sohn von Ernst Brockhaus in Wiesenthal geboren, hatte nach dem Besuch der Oberrealschule in Elberfeld eine kaufmännische Lehre durchgemacht und weilte 1 Jahr zur Ausbildung in der Schweiz. - Sein am 14.10.1875 geborener jüngerer Bruder Julius besuchte das Realgymnasium zu Elberfeld und nach praktischer Ausbildung die Maschinenbauschule in Köln. 1895/96 war er zur weiteren Ausbildung in Sheffield.

Die bisher fast ausschließliche Beschäftigung in Fahrradteilen flaute im ersten Jahre der G.m.b.H. ganz plötzlich ab, da die Konjunktur in der Fahrradindustrie außerordentlich nachließ; es mussten infolgedessen abermals neue Artikel gesucht werden. Vor allem wurden Gesenkschmiedestücke für den Eisenbahn-Signalbau, Schmiedezangen, Transportösen, Spezialschlüssel und sonstige Werkzeuge aufgenommen.
Besonderen Erfolg brachte ein Hufeisen-Schweißgriff "Viktoria" aus Profilstahl, wofür mehrere Patente von Louis Enk in Leipzig erworben wurden. Nach großen Einführungsschwierigkeiten wurde der Schweißgriff bald von fast allen Hufschmieden Deutschlands zum Hufbeschlag verwendet; der Umsatz stieg bis zu 1500 to im Jahr. Zur Unterbringung der Pressen und als Lagerraum für die Schweißgriffe entstand 1904 abermals ein Neubau. Gleichzeitig wurde für den Absatz in der Schweiz auch in Zürich ein kleiner Betrieb für Schweißgriffe eingerichtet.


Seit Beginn der Automobil- und Motorrad-Industrie war es eine natürliche Folge, dass auch gesenkgeschmiedete Konstruktionsteile für die Kraftfahrzeugbranche hergestellt wurden, um so mehr, als die betreffenden Firmen zumeist schon seit Jahren treue Abnehmer in Fahrradteilen waren.


Im Jahre 1903 wurde endlich die lang ersehnte Oestertalbahn bis Oesterau und Wiesenthal erbaut, die letzte 2 1/2 km lange Strecke mit drei Brücken über den Oester- und Ebbeckebach auf eigene Kosten. Bis dahin waren alle Waren auf schlechten Straßen mit Fuhrwerk befördert worden, womit bis zu 10 Pferde tagaus tagein beschäftigt waren. Die Talbahn bedeutete eine große Erleichterung, und obwohl die Frachtkosten nicht günstiger waren als die des Fuhrwerks, hat sie bei der weiteren Entwicklung der Betriebe unentbehrliche Dienste geleistet.

Auch die von den Anliegern des Ebbecke- und Oesterbaches seit langem geplante Talsperre wurde von 1904 bis 1906 gebaut, so dass auch in trockenen Sommermonaten kein Wassermangel mehr zu befürchten war. Jetzt konnte auch ein Ausbau der Wasserkräfte in Wiesenthal und dem späteren Kaltwalzwerk Lettmecke erfolgen. Die schwierigen Arbeiten wurden 1906-07 von Walther Brockhaus in eigener Regie durchgeführt mit einem Gesamtkostenaufwand von rd. RM 250.000. Die beiden Turbinenanlagen erzeugen eine Kraft von 150 bzw. 180 PS.


Um eine regelmäßige Beschäftigung der Hämmer auch in den stillen Monaten sicherzustellen, versuchte man das Herstellungsprogramm um einige Lagerartikel zu erweitern. Im Jahre 1908 gelang es, einen Mobilmachungsvertrag über die Lieferung von fertig bearbeiteten Militärhufeisen abzuschließen, die auch schon in Friedenszeiten in ansehnlichen Mangen abgenommen wurden. Als weiterer Lagerartikel kam die Gleitschutzkette "Start" für Lastwagen hinzu, während gleichzeitig neue Abnehmer für Gesenkschmiedeteile in der optischen Industrie und im Schiffbau gefunden wurden. Die Beteiligung an der Weltausstellung in Brüssel 1910 brachte außer der Verleihung eines Grand-Prix und verschiedener Medaillen neue Kundenverbindungen und Aufträge.

(wird fortgesetzt)