Quelle: "Heimatbilder“, Beiträge zur Heimatkunde von Altena und dem Süderlande, Ferdinand Schmidt, Archivar (Altena), Sonderdruck aus den Jahrgängen 1939/40 des Altenaer Kreisblattes, S. 129-137

„Ein mittelalterliches Meisterwerk
im Altenaer Burgmuseum“

Altarbilder vom Kölner „Meister des Marienlebens“ (Hauptschaffenszeit 1460-1480)

„Unter den zahlreichen wertvollen Kunstschätzen unseres Burgmuseums befindet sich seit Jahrzehnten in dem Kapellenraum ein dreiteiliger Klappaltar, der aus der Nikolaus-Kapelle „auf dem Böhle“ in Plettenberg stammt und seinerzeit in völlig verwahrlostem und darum für kirchliche Zwecke durchaus unbrauchbarem Zustande in Münster aufgefunden und erworben wurde.


Die beiden Außenflügel des Altars zeigen, wenn der Altar geschlossen ist, links (vom Beschauer aus gesehen) eine Darstellung der Hl. Dreikönige, rechts eine Gruppe von drei Heiligen: Elisabeth in Nonnenkleidung, die einem armen Krüppel ein Obergewand überwirft; Maria Magdalena, erkenntlich an dem Salbengefäß in ihren Händen, und zwischen diesen beiden einen Bischof in reichem Gewande mit Mitra, Stab und Buch, den Hl. Gerhard darstellend, dem diese Ehre als Namenspatron des Gründers der Kapelle zufiel.

Die Außenflächen der beiden Flügel sind schon bald nach der Übernahme des Altars in das Burgmuseum glücklich aufgefrischt und erneuert worden, ohne dass man damals den Meister des Werkes erkannt hätte. Dem Beschauer mussten die beiden Tafeln ohne weiteres durch ihre vollendete künstlerische Meisterschaft auffallen, die auf einen bedeutenden Maler aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts schließen ließ.

Von einer Wiederinstandsetzung der inneren Flügelseiten und des Mittelfeldes wurde damals abgesehen, weil nach fachmännischem Rate ihr arg beschädigter Zustand bei dem damaligen Stande wohlverstandener Wiederherstellungskunst einen nur einigermaßen lohnenden Erfolg solcher Erneuerungsbemühungen kaum erwarten ließ, sondern die nicht unbeträchtlichen Kosten der Auffrischung nicht zu rechtfertigen schien.

Der außergewöhnlich hohe künstlerische Wert der Außentafeln ließ aber in dem kunstsinnigen Betreuer unseres Burgmuseums, Herrn Landrat a. D. Geheimrat Thomee, im Vertrauen auf die Mithilfe seiner bewährten Gönner, nunmehr doch den Entschluss reif werden, wenigstens einen Versuch der Erneuerung und Auffrischung auch der Innentafeln des Altars machen zu lassen, zumal das Landesmuseum der Provinz Westfalen in Münster in dankenswerter Zusammenarbeit mit dem Provinzialkonservator neuerdings - freudig begrüßt in allen Kreisen der praktischen Heimatpflege - eine besondere Werkstatt für derartige Arbeiten eingerichtet hatte, in der ähnlich stark verderbte Kunstwerke der Malerei und Plastik bereits mit bestem Erfolge aufgefrischt, geradezu gerettet worden sind. War von den alten Altarbildern wirklich noch etwas zu retten, so konnte das nur hier durch den erfahrenen Fachmann, der unter der Aufsicht der Museumsleitung nur nach den heute wieder durchgedrungenen strengen Grundsätzen musealer Wiederherstellung und Erhaltung arbeitet, geschehen, ohne dass man noch eine weitere Beschädigung der Bilder auch nicht durch früher so beliebte Verschönerungen" zu befürchten brauchte.

So wurde denn der ganze Altar als augenscheinlich stark beschädigtes Werk eines unbekannten Malers nach Münster geschickt, um nach mehreren Monaten als ein in frischen Farben glänzendes Stück von der Hand des Kölner "Meisters des Marienlebens", dessen Tätigkeit hauptsächlich zwischen 1460 und 1480 lag, nach Altena zurückzukehren.


Eine Kopie des Plettenberger Altars hängt im Heimathaus, hier die Enthüllung am 1. Dezember 1980 durch den Heimatkreis-Vorsitzenden Klaus Menschel, Pfarrer Bodo Krön und Stadtarchivar Martin Zimmer.                                                                                  Foto: Horst Hassel

Bei der Untersuchung der alten Tafeln stellte sich zunächst heraus, dass die ursprünglichen Bilder von einem Maler, dem jedes künstlerische Gefühl gefehlt haben muss, hauptsächlich aus Gründen, die mit dem Glaubenswechsel in Plettenberg um etwa 1570/80 zusammenhingen, stark überpinselt waren. Auf allen drei Tafeln hatte er den Himmel im Hintergrunde der Darstellungen gleichmäßig mit hellgrauer Farbe bedeckt, unter der er auch die goldstrahlenden Heiligenscheine der dargestellten Personen hatte vollständig verschwinden lassen. Nicht weniger war es ihm darum zu tun gewesen, die leuchtenden priesterlichen Gewänder sowohl der Heiligen wie der drei Stifterfiguren unkenntlich zu machen.

Einen dem hl. Hieronymus beigegebenen Löwen, der regelmäßig als dessen "Attribut" auf bildlichen Darstellungen erscheint, hat er derart überschmiert, dass nichts mehr davon zu sehen war. Schließlich hat er dem hl. Paulus auf dem inneren rechten Flügel einen Petrus beifügen zu müssen geglaubt und mit dessen roher Darstellung ein liebliches Bild der hl. Barbara verdeckt.

Es ist nun dem Restaurator in hohem Grade gelungen, diese Beschädigungen des ursprünglichen Meisterwerkes wiedergutzumachen. Nachdem die Übermalungen, die selbst schon wieder Jahrhunderte alt waren, in langwieriger Arbeit vorsichtig entfernt waren, traten die früheren Farben wieder und Formen wieder klar hervor, und wenn auch einzelne Stellen des Bildes, an denen die ursprünglichen Farben im Laufe der langen Zeit durch Witterungs- und andere Einflüsse vollständig verschwunden waren, nicht wieder hervorgezaubern werden konnten. So stören diese leicht verdeckten Stellen doch heute kaum noch den wunderbaren Eindruck, den die Tafeln in ihren aufgefrischten ursprünglichen Farben heute wieder auf den Beschauer macht.

Betrachten wir zunächst das Mittelbild: eine Darstellung der Kreuzigung Christi. Die hagere Figur des Heilandes gleicht sehr stark der Darstellung auf dem Kreuzigungsbilde, das derselbe Meister im Auftrag des Kardinals Nicolaus von Cues für die Hospitalkirche in dessen Heimatstadt an der Mosel malte. Links unter dem Keuze die Gottesmutter in Schmerz versunken; der Lieblingsjünger Johannes hält sie aufrecht; dahinter sieht man das Haupt der Maria Magdalena; ein Heiliger mit Schwert (Apostel Jacobus?) schließt die Gruppe nach links ab. Unter dem rechten Kreuzesarm eine Gruppe von zwei Kriegern, von denen der panzergerüstete Hauptmann Longinus besonders hervortritt, einem Juden und nach rechts abschließend dem hl. Hieronymus mit dem Löwen. Longinus erhebt die rechte Hand mit aufgereckten Schwurfingern: "Wahrlich, dieses ist Gottes Sohn!" während der Jude ihn beim Arme fasst, als wolle er sich dagegen wenden.

Zu den Füßen des Gekreuzigten knien drei Priester: die Stifter der Kapelle und des Altars in priesterlicher Kleidung, einer im Chormantel, die beiden anderen in Röchel und Stola. Nur zwei von ihnen konnten mit ihren lebenswahren Zügen unter der Überpinselung hervorgeholt werden; das Gesicht des dritten ist in neutraler Farbe nur notdürftig ergänzt worden.
Der linke und rechte Flügel des Kreuzigungsbildes tragen auf ihren inneren Flächen je drei Heiligenfiguren: links zwei Bischöfe und in deren Mitte eine heilige Nonne; rechts zwei weibliche Heilige zu beiden Seiten des hl. Paulus, der an seinem langen Schwerte kenntlich ist.


Unter den Bischöfen auf dem linken Flügel ist der hl. Nikolaus, der Patron der Kapelle, zu erkennen, der einem bettelnden Krüppel ein Almosen reicht; die hl. Nonne mit Buch und Dornenkrone dürfen wir wohl als Darstellung der hl. Klara ansprechen. Auf dem rechten Flügel ist die hl. Barbara mit dem Turme sicher zu bestimmen; die Klosterfrau mit dem Krummstab stellt die hl. Äbtissin Gertrud dar.

Aufbau und Farben der Bilder lassen mit Sicherheit darauf schließen, dass wir es mit einem Werke des berühmten Kölner Künstlers zu tun haben, der in der Kunstgeschichte als "Meister des Marienlebens" bekannt ist. In der Geschichte der Kölner Malerschule steht dieser Meister "als die überragendste und fruchtbarste Persönlichkeit in den Jahrzehnten nach der Mitte des 15. Jahrhunderts" da. Es gibt kaum einen zweiten Meister dieser Zeit und Schule, von dem ein so umfangreiches Werk zusamengestellt werden kann. Darum lässt sich auch von seinem Stil ein völlig klares Bild gewinnen.


"Ruhig und feierlich ist der Eindruck seiner Bilder mit einem monumentalen Zug", schreibt Dr. Heribert Reiners in seinem großen Werke über die "Kölner Meisterschule". "Wie wenige andere hat er die Erzählung mit dem Repräsentations- und Andachtsbild verbunden. Alles Schwere, Massige ist ferngeblieben, um die Stille nicht zu stören. Daher auch die Weiträumigkeit seiner Bilder. Es ist viel Luft um seine Figuren in großen Innenräumen und weiten Landschaften, nirgendwo etwas Beengendes, Drückendes. Die Bewegung der Personen ist vom gleichen Geist, ruhig und gemessen; ihre Gebärden sind ohne Lärm und Leidenschaft. Das gibt ihnen etwas Vornehmes und Würdevolles.

Im engsten Gefüge sind die Bilder aufgebaut. Die Gesamtkomposition ist von derselben Klarheit und Strenge wie jede Einzelfigur. In der tektonischen Gestaltung gehört der Meister zu den Besten der Schule. Sein Streben nach Einfachheit und Ruhe erklärt die Vorliebe für zentrale Komposition . . . Was darüber hinaus den Bildern ihre absolute Geschlossenheit gibt, ist die Wiederholung der tektonischen Grundfigur selbst in jeder Einzelheit. Überall Zuspitzung der Form und Fläche, ein Begegnen der Linien im Winkel, nirgendwo eine Rundung. Selbst der Kopftyp mit dem spitzen Kinn erklärt sich so, auch die Vorliebe für die Köpfe mit den spitzen Bärten und die Hervorkehrung der spitzen Schuhe.

Trotz des fast geometrischen Aufbaues bleiben Starre und Schematismus fern. Die Bewegung der Figuren wirkt in der Gebundenheit doch frei und mannigfaltig, und das Leben des Bildganzen ist stets von hohem Reichtum im Spiel der Linien und Flächen. Bei aller Verwandtschaft in leichter Typisierung entbehren die Köpfe nicht des Individuellen und der Beseelung.

Zum Verständnis der Bilder ist die Farbe unerlässlich. Sie erst gibt die letzte Bindung, ergänzt die lineare Komposition und folgt denselben Grundformen der Bildstruktur. Manche Ungleichwertigkeit mag durch Schüler- und Werkstatthilfe zu erklären sein. Das Fraueninkarnat ist hell, fast weiß, leicht nur modelliert mit rosa- und graufarbenen Tönen. Wie er dazu das Weiß von Kopf- und Halstuch stimmt, wie er andere Farben zusammenstellt, vor allem Grau mit lichtem Grün, wie er in den Tönen spielt, das alles deutet auf ein fein entwickeltes farbiges Empfinden. Linie und Farbe sind dazu hier in der Wirkung völig ausgeglichen. Erst das Kolorit gibt den Bildern ihre Flächenwirkung wieder. Das Streben nach plastischem Raum musste dem Maler ebenso fern liegen, wie nach der plastisch-massigen Wirkung der Einzelgestalt. Das sind die Stilelemente, soweit sie aus dem Hauptwerk, dem Marienleben, abzuleiten sind." So Dr. Heribert Meiners.

Wenn der beste Kenner der kölnischen Malerei des Spätmittelalters diese Charakteristik des alten Meisters der Folge der acht Bilder aus dem Leben der Gottesmutter abliest, von denen sich sieben in der Alten Pinakothek in München und eins in der Nationalgalerie in London befinden, so sehen wir sie Zug um Zug auf unseren Altartafeln bestätigt.

Das Hauptbild der Kreuzigung ebenso wie die beiden Seitentafeln von innen zeigen den strengen geometrischen Aufbau der Darstellung, wie ihn der Künstler liebte, in geradezu klassischer Ausgeprägtheit. Man beachte, wie bei den beiden Gruppen rechts und links unter dem Kreuz die vier Hauptfiguren sich genau entsprechen, und ebenso auf den beiden inneren Seitentafeln links eine weibliche Heilige zwischen zwei Bischöfen, rechts der Apostel Paulus zwischen zwei weiblichen Heiligen nicht nur in sich selbst auf einander abgestimmt sind, sondern auch bei geöffneten Tafeln dem ganzen Bilde ein sicheres, wohl ausgewogenes Gleichgewicht geben.

Bei geschlossenen Flügeln erblickte man auf der rechten Seite nochmals eine ganz ähnlich aufgebaute Gruppe von drei Heiligen: den hl. Gerhard zwischen St. Elisabeth und Maria Magdalena. Natürlich konnte ein vollkommen entsprechender Aufbau in der Darstellung der Anbetung der hl. Dreikönige auf der linken Außentafel nicht gegeben werden. Hier bildet das Christusbild inhaltlich und malerisch den Mittelpunkt der Darstellung; der Muttergottes entspricht ein stehend dargestellter König, während die beiden anderen Weisen rechts und links vor dem Gottessohne knien - also auch hier ein wohlüberlegter gleichmäßiger Aufbau der Handlung in engstem Gefüge.

Was die flächige Farbengebung betrifft, so ist diese auf der Schwarzweiß-Wiedergabe naturlich nur schwach zu erkennen; aber auch in dieser Hinsicht tritt auf unseren Altartafeln die Eigenart des Meisters klar in Erscheinung. Bis in die kleinen Einzelheiten der spitzen Schnabelschuhe und des Kopftyps mit dem spitzen Kinn geben unsere Bilder die Handschrift des Meisters des Marienlebens deutlich und unzweifelhaft wieder.

Leider hat die Forschung unter den mehr als siebenzig Künstlernamen, die uns in Köln aus der Zeit von etwa 1450 bis 1500 urkundlich überliefert sind, Namen und Person unseres Malers bisher nicht feststellen können. Wir wissen, dass er mehrfach außerhalb Kölns tätig war: außer dem Altar der Cueser Hospitalskapelle hat er auch für Linz a. Rh. einen Altar geschaffen, der noch heute an Ort und Stelle steht. Dass er für den Kardinal Nikolaus von Cues tätig war, zeugt von seinem großen Ansehen und künstlerischen Ruf.
Wer und was ihn veranlasste, für die bescheidene Hospitalskapelle auf dem Boele in Plettenberg seine Kunst für die Flügelbilder des kleinen Altars zur Verfügung zu stellen ist nicht bekannt und wird sich auch nicht mehr feststellen lassen. Jedenfalls war der Stifter der Kapelle, der Priester Gerhard Mommertz, der sie 1422 begründete, damals längst tot.

Ergänzung aus "Plettenberg - Industriestadt im märkische Sauerland, 1962, A. v. Schwartzen, S. 129:
Bei Einführung der Reformation wurde die Kapelle auf dem Boel für den lutherischen Gottesdienst hergerichtet. Im Jahre 1696 wurde sie grundüberholt. Bei dieser Gelegenheit wurde der Klappaltar aus der neuen Kapelle auf den Boel gebracht, woselbst er bis 1902 benutzt wurde. Heute befindet er sich uf der Burg Altena in musealer Pflege (*Vgl. Elisabeth Korn, Münster, Der Pfarrer Heinrich Steinhoff und der Wiederaufbau der Plettenberger Kirche im 15. Jahrhundert, in 'Westfalen', 38. Band, Heft 2/3, 1960)


Lexikon für die Stadt Plettenberg, erstellt durch Horst Hassel,
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